Blog – Dennis Schmolk https://dennisschmolk.de/category/blog/ Kontakt: dennis@dennisschmolk.de Mon, 16 Dec 2024 16:03:54 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.7.1 https://dennisschmolk.de/wp-content/uploads/2023/08/cropped-oKajK5kXZmHLTZso5N5C-1-2mlpj-32x32.png Blog – Dennis Schmolk https://dennisschmolk.de/category/blog/ 32 32 Kurzrezension: „Tarot“ (US-Horrorfilm, 2024) https://dennisschmolk.de/2024/12/16/kurzrezension-tarot-us-horrorfilm-2024/ https://dennisschmolk.de/2024/12/16/kurzrezension-tarot-us-horrorfilm-2024/#respond Mon, 16 Dec 2024 16:03:54 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=6679 Dieser Beitrag erschien zuerst bei Tarot-Guide.de. Das Tarot spielt in der Popkultur immer wieder eine (meist kleine) Rolle, ganz besonders in Genres, die sich mit dem Unheimlichen, Verborgenen, Mysteriösen befassen. Dezidierte „Tarot-Horrorfilme“ gibt es aber nicht viele. Umso spannender, dass 2024 gleich mehrere filmische Interpretationen entstanden: Einerseits die koreanische Serie „Tarot“, andererseits ein ebenfalls einfach „Tarot“ genannter US-amerikanischer Horrorfilm. Um diesen geht es hier. Handlung und Charaktere Achtung! Die folgende ... Mehr

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Das Tarot spielt in der Popkultur immer wieder eine (meist kleine) Rolle, ganz besonders in Genres, die sich mit dem Unheimlichen, Verborgenen, Mysteriösen befassen. Dezidierte „Tarot-Horrorfilme“ gibt es aber nicht viele. Umso spannender, dass 2024 gleich mehrere filmische Interpretationen entstanden: Einerseits die koreanische Serie „Tarot“, andererseits ein ebenfalls einfach „Tarot“ genannter US-amerikanischer Horrorfilm. Um diesen geht es hier.

Handlung und Charaktere

Achtung! Die folgende Beschreibung enthält diverse Spoiler, und auch wenn der Plot insgesamt vorhersehbar ist, sollte man sich ggf. erst den Film ansehen!

Eine Freundesclique um die 20 mietet sich ein altes Herrenhaus, um in den Geburtstag einer der Anwesenden hinein zu feiern. Auf der Suche nach mehr Alkohol dringen sie in einen abgesperrten Keller voller Kuriositäten ein — und finden ein altes, handgemaltes Tarot-Deck. Eine der Anwesenden (man könnte sagen: die Protagonistin) entpuppt sich nicht nur als Astrologie-Expertin, sondern auch als kartenkundige Wahrsagerin.

Die anderen lassen sich – manche begeistert, andere widerwillig – von ihr die Karten nach einem sehr eigenwilligen astrologischen System legen. Alle bekommen als „So wird das alles enden“-Karte einen Trumpf (etwa Der Narr, Der Eremit, Der Magier).

Der Horror beginnt

Zurück in der Zivilisation und nur etwa 20 Minuten nach Start des Films beginnen dann nach Horrorfilm-Manier die Charaktere, einer nach dem anderen zu sterben. Dabei werden sie jeweils von einem Monster, das ihrem Schicksals-Trumpf entspricht, mehr oder weniger brutal ermordet. Das weiß aber nur die Zuschauerin, denn zunächst sehen die Tode nach Unfällen aus – auch wenn man sich nur schwer vorstellen kann, wie jemand „acht Volltreffer mit einer Dachbodenleiter“ für einen Unfall halten kann.

Die Polizei ist jedenfalls keine Hilfe, aber im Internet finden die jungen Erwachsenen eine heiße Spur: Eine „in der Astrologie-Community umstrittene“ Wahrsagerin hat über mysteriöse Todesfälle nach Tarot-Readings publiziert. Von ihr erfahren unsere Protagonistinnen, was hinter dem Ganzen steckt.

Die ahistorische Hintergrundgeschichte

Im 18. Jahrhundert hatte eine ungarische Wahrsagerin („The Astrologer“) großen Erfolg mit ihrem eigenen, astrologisch informierten Legesystem — zufälligerweise (?) demselben, das auch die Protagonistin nutzt. Durch diese Kombination von Horoskop und Tarot konnte „sie „The Astrologer“ die Zukunft treffsicher vorhersagen. Ihr Dienstherr, ein Graf, war aber mit der Prophezeiung unzufrieden, dass seine Frau mit Kind bei der Geburt sterben würde. Er jagte sie davon. Als die Prophezeiung dann aber eintrat, bezichtigte er die Wahrsagerin der Hexerei und ermordete „an eye for an eye“ deren Tochter.

Die (bis dahin unschuldige) Wahrsagerin sann von nun ab nur noch auf Rache an den Mördern ihres Kindes und der ganzen Welt — hier klingt ein „Female-Rage“-Motiv an, das nachvollziehbar ist, aber unterentwickelt bleibt. Die Wahrsagerin opferte sich sodann selbst in einem düsteren Ritual und versah ihr Tarot-Deck mit der magischen Fähigkeit, jeden zu töten, dem mittels des Decks (und der astrologischen Legeweise) die Zukunft vorhergesagt wurde. Genau so kam es – und kommt es heute wieder, denn das Deck unserer Protagonistinnen ist freilich genau dieses alte Deck.

Eine historische Anmerkung sei gestattet: Die astrologischen Korrespondenzen des Tarot sind, soweit mir bekannt, eine Erfindung des 19. Jahrhunderts und insbesondere von Eliphas Levi. Mir ist nicht bekannt, dass die Großen Arkana vorher bereits mit Sternzeichen oder Planeten assoziiert worden waren – sicherlich nicht im (späten) 18. Jahrhundert, wo die esoterische und divinatorische Verwendung des Tarot gerade erst in Mode kam. Und sicherlich nicht in Ungarn. (Zudem sei darauf hingewiesen, dass es unwahrscheinlich ist, dass eine ungarische bäuerliche Wahrsagerin ihre Karten englisch beschriften würde.)

Das Finale: Fate isn’t sealed

Ab sofort klickt die „Threat Clock“, weitere der jungen Leute sterben, aber schließlich gelingt es der Protagonistin, „The Astrologer“ zu besiegen: indem sie ihr die Karten legt und sie daher mit den eigenen Waffen schlägt. Dass hierbei auch noch eine Liebesgeschichte ihr Happy End findet und die Protagonistin ihren kindheitstraumabedingten Leitsatz, das Schicksal sei unabänderlich, überwindet, ist eher Nebensache.

Bewertung

Insgesamt gibt es am Film einiges auszusetzen. Sehr viele der Jump-Scare- und Horror-Effekte wirken ziemlich billig oder schlecht getimed. Zudem sind viele Entscheidungen von Charakteren nur bedingt nachvollziehbar. Man kennt es aus dem Horror-Genre.

Am Ende bleiben zudem leider einige wichtige Fragen offen. Etwa:

  • Wem gehört eigentlich das Haus, in dem die Jugendlichen das Deck finden?
  • Wie ist das Kartenlegen für „The Astrologer“ möglich, wenn ihr Geburtshoroskop nicht bekannt ist?
  • Woher kennt die Protagonistin das Legesystem („Spread“) der Astrologin aus dem 18. Jahrhundert?

Solche Auslassungen wirken weniger „mysteriös“ als vielmehr nicht zu Ende gedacht.

Tarot-Kritik

Und auch Tarot-spezifisch kann man sich beschweren:

  • Das Tarot kommt vor allem als stimmungsvolle Requisite vor – und als Inspiration für die Monstren, denen die Teenager zum Opfer fallen. Man wird das Gefühl nicht los, dass hier Potenzial verschenkt wurde, wenn man an „symbolische Horrorfilme“ wie „The Ninth Gate“ („Die neun Pforten“) denkt. Das Tarot wird einfach nur genutzt, um Jump Scares und Todesszenen zu rechtfertigen.
  • Die esoterische Moral des Films könnte lauten: Benutze nie das Deck eines anderen, um die Karten zu legen! Diese Regel wird von der Protagonistin gebrochen, als sie zum Deck aus dem Keller greift — und der Horror des Films ist die direkte Folge dieser Regelübertretung. In der realweltlichen Praxis des Tarot scheint diese Regel aber keineswegs unwidersprochen.
  • Die Todesarten sind relativ willkürlich. So lockt die Laterne (Der Eremit) einen Charakter in einen U-Bahn-Schacht, um ihn dann vor eine einfahrende Bahn zu scheuchen. Und Die Hohepriesterin erschlägt einen anderen Charakter schlicht mit der Dachbodenleiter (s.o.). Der Magier ist einfach ein Bühnenmagier, der einen weiteren Charakter zersägt. Das ist alles sehr oberflächlich und wenig „esoterisch durchdacht“, wenn auch teils sehr unterhaltsam.
  • Die Tarot-Expertin, die den Jugendlichen hilft, stirbt durch eine Karte der kleinen Arkana: Sie wird von sechs Schwertern durchbohrt. Warum man hier eine sehr positive Karte wie die Sechs der Schwerter, die eher für Reise und Veränderung steht, wählte, entzieht sich meinem Verständnis. Die Neun der Schwerter wäre passender gewesen.
  • Sinngemäß gilt das genauso für die Todesursache „Zwei der Münzen“ des ungarischen Grafen, die als Handschellen in der Badewanne intrepretiert wurde.

Das Positive

Man sollte den Film aber dennoch gucken. Warum?

  • Die Atmosphäre ist gut. Sie changiert zwischen „Final Destination“-Vibes, „Evil Dead“-Beschwörungs-Reue und altmodeischem Massachusetts-Haunted-House-Horror. Das Ganze würde auch als Rollenspielkampagne (etwa für „Call of Cthulhu“) sehr gut funktionieren.
  • Einige der Charaktere sind sympathisch und unterhaltsam, zum Beispiel der vapende True-Crime-Fan-Nebencharakter, der regelmäßig und messerscharf die Situation analysiert, aber nur überlebt, weil ihn sein Mitbewohner im Aufzug überrascht — kurz bevor ihn „Der Narr“ dort fressen kann.
  • Es gibt einige großartige Zeilen: „Er ist ein Erdzeichen, und man hat ihn im Dreck gefunden!“, als Beweisführung, dass Astrologie funktioniert. Und: „Sie ist innerhalb der astrologischen Community aber sehr umstritten“ als Charakterisierung der hilfreichen Tarot-Expertin aus dem Internet.
  • Die finale Lehre — das Schicksal ist nicht festgelegt, man kann es ändern — ist sympathisch, gerade bei einem Film über esoterisch-okkulte Weissagungspraktiken.
  • Aber am wichtigsten: „Tarot“ nimmt sich nicht ganz ernst, im Gegensatz etwa zu Filmen wie „Hereditary“, die dann ihrem Anspruch doch nicht gerecht werden können.

Fazit: Sehenswert.

PS: Der Film beruht übrigens auf dem Roman Horrorscope von Nicholas Adams (Pseudonym von John Peel). Darin scheint Tarot aber keine Rolle zu spielen:

A 1992 young adult horror novel about a serial killer targeting high school students. He chooses his targets based on their zodiac sign and that day’s horoscope

 

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Tarot & Art: An Interview with Ginevra Petrozzi https://dennisschmolk.de/2024/11/25/tarot-art-an-interview-with-ginevra-petrozzi/ https://dennisschmolk.de/2024/11/25/tarot-art-an-interview-with-ginevra-petrozzi/#comments Mon, 25 Nov 2024 16:23:35 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=6636 Anmerkung: Die deutschsprachige Übersetzung findet sich auf tarot-guide.de. Dieser Artikel dient der Dokumentation des Original-Interviews. In October, I saw an arte Twist episode on contemporary witches and their relationship to art and design. This inspired me to ask one of the portrayed artists, Ginevra Petrozzi, some questions on her tarot practices and the symbolic use of mysticism and witchcraft in her work. On her website, Ginevra writes: Digital esoterism explores ... Mehr

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Anmerkung: Die deutschsprachige Übersetzung findet sich auf tarot-guide.de. Dieser Artikel dient der Dokumentation des Original-Interviews.

In October, I saw an arte Twist episode on contemporary witches and their relationship to art and design. This inspired me to ask one of the portrayed artists, Ginevra Petrozzi, some questions on her tarot practices and the symbolic use of mysticism and witchcraft in her work.

On her website, Ginevra writes:

Digital esoterism explores how divination tools might be refashioned in order to reclaim a sense of agency against Big Data, which, in the era of Surveillance Capitalism, has become a quasi-magical entity predicting and programming the future. Reaching into the origin of magic as an anti-capitalist tool could change the way we perceive modern systems of control such as Big Data, and Surveillance Capitalism, which often, without our consent and knowledge, guide our choices and actions. […] Ginevra Petrozzi performs readings placing Tarots in a digital perspective and reading digital realities using the smartphone, like one would read a Tarot card. Ads based on your Google search history, suggested Instagram posts linked to online interests: what do these modern signs, this automated flow of content algorithms fill our phones with daily, say about us and our future?

There’s also a video on Youtube:

When and how do you use Tarot in your work as an artist?

I start my experience as a Tarot reader, and a passionate lover of divination techniques. I attempt to translate my knowledge of symbols and pattern recognition that I gathered from reading cards, to finally interpret algorithmic content. The conversation is always a negotiation of meaning between the querent and I. I bring my sensibility as a reader, they bring their own experience as the holders of the smartphone. Everything passing through there is something they have planted before in some way.

So one suggested content can indeed presage a positive or negative outcome, but not as a self-standing statement. It is always put in perspective, as much as in Tarots, where each card needs to be mediated in the type of question being asked, or the feeling of the reading throughout.

Why did you choose tarot as a tool? It seems to be more about the practice of cartomancy than the „structure“ of the 78 cards.

Credits: Design Academy Eindhoven, 2021, Photographer: Pierre Castignola
Digital Esoterism. Credits: Design Academy Eindhoven, 2021, Photographer: Pierre Castignola

First came the cards. I have always been fascinated by the magic world, narrated by De Martino, Frazer, Federici. Studying the laws of magical thinking, and divination in particular, I realised how similar the ancient world was to our current situation. I took the role of the witch, or the Tarot reader specifically, to offer myself as a mediator between the process of receiving a future (suggested by automated tools) and interpreting it (changing its purpose).

How does reading smartphones like cards help a „digital sovereignty“ in our late modern times? Is it about making visible what the algorithm, designs, interfaces usually hide – like making visible symbols that are normally hidden in artwork?

In an undefined past, the future presented itself as fate, a pre-written path. Divination, as the art of foretelling the future through various techniques, was perfectly plausible. It allowed to peek behind a curtain of something already decided. This would grant a sense of agency and control to people, petrified by the inescapability of chaos and determined nature of their destiny. With modernism, and enlightenment, the future slowly became something to be built, action by action, reinforced by the promises of neoliberalism.

With my practice I challenge the open nature of the future. I argue that the future still feels like fate, only regulated by different “magical” agents. In the case of our current system, it is Big Tech corporations, algorithms and predictive networks that try to regulate our future and fixate it. Reading and interpreting these signs become a way to resist their sovereignty over our future.

What other projects about „digital esoterism“ are you working on right now?

I am working on a system of locked doors to enclose digital screens, and depicting apotropaic decorations usually found on architectural components.

What other artists you like have worked with tarot?

Adelita Husni Bei („The Reading“, ed.) and Valentina Desideri („Poethical Reading“, ed.) are my all time favorites, and an absolute source of inspiration since the start of my studies.


Ginevra Petrozzi (Website, Instagram) is an interdisciplinary designer and artist currently living and working in The Netherlands. She completed her MA in Social Design from Design Academy Eindhoven in 2021, for which she received a Cum Laude, Best Thesis Award, and won the Gijs Bakker Award 2021. Currently, she is exploring the possibilities of mysticism and the occult within the landscape of contemporary techno-politics. In this framework, she took the role of a “digital witch”, reclaiming the archetypal role of the sorceress as a healer, and as a political rebel.

 

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Ein paar Gedanken zu Magie, Okkultismus und Co. https://dennisschmolk.de/2024/11/10/ein-paar-gedanken-zu-magie-okkultismus-und-co/ https://dennisschmolk.de/2024/11/10/ein-paar-gedanken-zu-magie-okkultismus-und-co/#respond Sun, 10 Nov 2024 08:52:49 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=6615 Es sei ein (weiterer) kurzer Hinweis auf meine „Arbeit“ drüben bei Tarot-Guide.de erlaubt – auch, um die hiesige Stille ein Stück weit zu erklären. Ich werkle dort an einem soziologischen (und damit aufklärend-abklärenden) Hobbyprojekt zum Thema Tarot, Esoterik und Co. Ursprünglich hatte mich ja vor allem der Zusammenhang von Subversion bzw. „Gegenkulturen“ und Esoterik interessiert. Dazu entstanden im Studium u.a. auch die beiden Theosophie-Arbeiten. Meine These bleibt, dass sich esoterische Systeme ... Mehr

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Es sei ein (weiterer) kurzer Hinweis auf meine „Arbeit“ drüben bei Tarot-Guide.de erlaubt – auch, um die hiesige Stille ein Stück weit zu erklären. Ich werkle dort an einem soziologischen (und damit aufklärend-abklärenden) Hobbyprojekt zum Thema Tarot, Esoterik und Co. Ursprünglich hatte mich ja vor allem der Zusammenhang von Subversion bzw. „Gegenkulturen“ und Esoterik interessiert. Dazu entstanden im Studium u.a. auch die beiden Theosophie-Arbeiten.

Meine These bleibt, dass sich esoterische Systeme tendenziell sowohl für konservative als auch für progressive Zwecke einsetzen lassen, und dass es schwer ist, im Vorfeld abzusehen, wofür sie ge- oder missbraucht werden. Gerade in mystischen Strömungen, die einen individuellen (und nicht durch Tradition, Autoritäten, Organisationen vermittelten) Zugang zu Heil, Gnade, Erleuchtung oder was auch immer versprechen, sehe ich aber durchaus eher machtkritische als -legitimierende Faktoren.

Anyways: Womit befasse ich mich auf tarot-guide.de? Mit den ersten Ansätzen zu einer Analyse von Praktiken des Esoterischen, könnte man sagen. Und zwar sehr spezifisch am Beispiel des Tarot. Warum Tarot? Weil ich das a) schon immer spannend fand, es b) hübsch ist und c) hier m.E. die Bereiche/Felder/Systeme Magie, Religion, Mythos und Kunst einzigartig zusammenkommen. Was meine ich mit Magie? Ich zitiere mich kurz selbst aus der Einleitung zu einer Bibliographie:

Ich suche seit langem nach Ansatzpunkten einer „Soziologie der Magie“, worunter ich alles zusammenfasse, was weder ganz in den Bereich der Religion noch der Wissenschaft fällt, aber Strukturmerkmale dieser Felder (oder Systeme) besitzt. Und wenn ich sage: nicht in den Bereich der Religion oder Wissenschaft fallen, dann meine ich vor allem, dass diese Felder nichts mit der Magie zu tun haben wollen: Wissenschaft behauptet selten, „magisch“ zu sein, und Religion auch nicht.

Wohl aber beanspruchen Vertreterinnen der Magie regelmäßig, „wissenschaftlich“ vorzugehen und sich auf religiöse Wahrheiten zu stützen. Damit haben wir auch einen ersten Hinweis, worum es geht: um Wahrheit(en) und damit um legitimes Wissen. (Dies soll nicht leugnen, dass sich andere Felder, Politik und Kunst etwa, die Magie zu Nutze machen können, oder dass sie auch immer rückgekoppelt ist an Wirtschaft.)

Das alles muss man dann freilich wieder abgrenzen von anderen „Wissensgebäuden“, die zwar irrational (oder sub-/hyper-/para-rational), aber nicht mit magischer Semantik aufgeladen sind — also etwa dem Bereich conspiracy theories. Verschwörungstheorien können, müssen aber nichts mit Magie/Esoterik/Okkultismus zu tun haben.

Mal sehen, wo dieses Projekt hinführt. Auf jeden Fall gibt es drüben schon eine kleine Deck-Datenbank sowie „Kartenbedeutungen“, die unabhängig von einzelnen Decks bzw. „deck-übergreifend“ „funktionieren“. Dafür habe ich mich natürlich von ChatGPT unterstützen lassen — es ist schon sehr spannend, was LLMs über Esoterik „denken“.


Beitragsbild: Dall-E zu „sociological scholarship around esoteric belief systems“, extra für Fabi.

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Tech-Update: Tschüss Chrome, Google Photos und domainssaubillig.de https://dennisschmolk.de/2024/10/28/tech-update-tschuess-chrome-google-photos-und-domainssaubillig-de/ https://dennisschmolk.de/2024/10/28/tech-update-tschuess-chrome-google-photos-und-domainssaubillig-de/#comments Mon, 28 Oct 2024 19:44:55 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=6585 „Liebe ist kein sanftes Dahinsegeln, sondern eine Einladung zur herausfordernden Katastrophe, die im besten Fall Selbstentwicklung bringt. Social Media fasst nicht die Absurdität der Liebe – deswegen wird sie in der Realität oft übersehen.“ (Johanna Degen, Sozialpsychologin, BrandEins) Das gab’s zu Studienzeiten nicht: Ein Monat ohne Update ist vergangen! Das liegt u.a. daran, dass ich alle Hände voll zu tun habe mit … Leben und dem ganzen Rest. Da schwirren ... Mehr

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„Liebe ist kein sanftes Dahinsegeln, sondern eine Einladung zur herausfordernden Katastrophe, die im besten Fall Selbstentwicklung bringt. Social Media fasst nicht die Absurdität der Liebe – deswegen wird sie in der Realität oft übersehen.“
(Johanna Degen, Sozialpsychologin, BrandEins)

Das gab’s zu Studienzeiten nicht: Ein Monat ohne Update ist vergangen! Das liegt u.a. daran, dass ich alle Hände voll zu tun habe mit … Leben und dem ganzen Rest. Da schwirren hauptberufliche Projekte herum, nebenberufliche Projektchen vor allem beim digital publishing report (was mich dieses Jahr sogar auf die Frankfurter Buchmesse führte!) und eine Menge Freizeitstress.

Außerdem fehlen mir neben der Muße auch so ein bisschen Anlass und Motivation, zu bloggen. Das könnte sich aber demnächst ändern, denn meine akademischen Bemühungen gehen ggf. in die nächste Runde … stay tuned.

Fotos auf Nextcloud

Schon vor einigen Monaten habe ich mein Nextcloud-Setup hochgestuft. Statt 20 GB auf einem Uberspace habe ich jetzt 1 TB auf einem Hetzner „Storage Share“, für quasi denselben Preis (5 Euro im Monat). Ich bezahle generell lieber für ein eigenes (managed) Hosting als für sowas wie Google Drive oder Dropbox. Die Uberspace-Variante wurde dann aber doch zu klein. Bislang bin ich hochzufrieden — läuft einfach.

Wenn man schon ein Terabyte Platz hat, liegt es natürlich nahe, da auch speicherhungrige Sachen wie „alle alten Fotos“ hin umzuziehen. Bislang habe ich aus Faulheit einfach mein Android-Phone alles auf Google Photos hochladen lassen und mich damit begnügt.

Weg von Google!

Aber corrupted files und andere Probleme mit Drive/Photos haben mich schon länger umgetrieben. Datenschutz war ein geringeres Thema — ich gehe als Besitzer und Benutzer eines Androids eh davon aus, dass Google alles mitbekommt, was ich so tue, egal, wie ich meine Einstellungen treffe.

Es geht also eher um Datenhoheit, zumal mir auch die 15 GB Drive langsam vollzulaufen drohen und ich mich nicht von der Gnade eines potenziell jederzeit Quota verringernden kapitalistischen Unternehmens abhängig machen will.

Wie kriegt man die Fotos da raus?

An sich ist das ganz simpel: Man exportiert einfach alle Fotos. Das bietet Google über Takeout an (vermutlich nicht freiwillig, sondern aufgrund irgend eines Gerichtsurteils). Wenn man dann seine x GB in y Zip-Files heruntergeladen hat, stellt man aber fest: Man bekommt alle Foto-Dateien mit dem heutigen Tag als Erstell-/Änderungsdatum, und dazu eine riesige Menge an EXIF-JSONs. Da zumindest ich meine Fotos chronologisch ordnen und sortieren will, hilft das natürlich nicht viel. Zwar kann man die meisten Fotos aufgrund des Dateinamens sortieren, wenn die den Timestamp inkludieren, aber über 23 Jahre hatten verschiedene Geräte verschiedene Benennungs-Konventionen, und Software wie „Nextcloud Memories“ beruht auf Dateieigenschaften und nicht auf Dateinamen oder Ordnerstrukturen.

Also müsste man

  1. aus jeder EXIF-JSON den Timestamp nehmen und
  2. in die Metadaten des korrespondierenden Bildes packen.

Das geht sicherlich mit Batch-Bearbeitung in einer beliebigen Sprache, aber dafür war ich zu faul. Daher habe ich ein wenig gegooglet und „Google Takeout Helper“ gefunden. Der macht genau das, schnell und einfach und plattformunabhängig. Danach mit einer Software wie Visipics eventuelle Dubletten rausfischen und alles in die Nextcloud schieben. Google-Photos-Backup deaktivieren und eine schlaue Nextcloud-App-Upload-Konfiguration wählen. Fertig. Als nächstes gucke ich mir vielleicht KI-Gesichtserkennungs-Tools wie Recognize oder Face Recognition an, aber alles der Reihe nach.

Firefox als Browser

Chrome deaktiviert (bald) Ublock Origin, den einzigen Werbeblocker, dem ich vertraue. Das zwingt mich leider zum Umstieg. Ich werde viele Features vermissen (vor allem die Gruppierung von Tabs). Aber was will man machen. Via Mozilla-Sync kommt man ja schon recht weit, auch plattformunabhängig. Ich werde berichten, wenn ich das eine Weile ausprobiert habe.

Weg von domainssaubillig.de!

Seit ich in meiner Jugend kurz hintereinander ILLUMINATUS! von Wilson/Shea und „Das Foucault’sche Pendel“ von Eco gelesen habe, bin ich Fan der gegenkulturellen Rolle der Esoterik. Ich habe darüber ja sogar eine Hausarbeit geschrieben. Als ich daher Ende August/Anfang September ein rabbit hole brauchte um mich von meinem Dasein abzulenken, bin ich tiiiiiieeeeeef in die Welt des Tarot gefallen. Dazu wollte ich die ganzen Decks, die ich über all die Jahre angesammelt habe, irgendwo als Datenbank dokumentieren. Da mir aber die meisten Lösungen nicht gefielen und ich sowieso mal ein bisschen mehr mit aktuellen WordPress-Themes rumspielen wollte, habe ich das dann in WooCommerce realisiert. Affiliate-Links inklusive, ich bin aber leider noch nicht reich geworden. Das Resultat kann man unter tarot-guide.de bewundern (hier die filterbare Datenbank).

Wie wird meine Eso-Website wieder erreichbar!?

Warum ich das hier erzähle? Ganz einfach: Seit heute läuft die Domain bei do.de („Domain-Offensive“, wobei ich nicht weiß, ob man das deutsch oder englisch aussprechen soll). Warum? Weil ich mit domainssaubillig.de inzwischen nur noch schlechte Erfahrungen mache. Zum ersten Mal in meinem Leben ist mir passiert, dass irgendwas am DNS-Record der Domain bei domainssaubillig kaputt gewesen zu sein scheint. Alle paar Minuten konnte der Name nicht resolved werden und die Seite war nicht erreichbar. Per Lookup-Tool sah das dann im Wechsel so aus:

Das habe ich noch nicht erlebt – das DNS hat sozusagen gewackelt, war instabil. Naja. Das wäre an sich nicht weiter schlimm, aber nachdem ich den Support von „fxmedia“ nun binnen fünf Wochen fünf Mal (per Mail sowie per Zendesk-Ticket) angeschrieben und keine Antwort erhalten habe, habe ich heute gewechselt. Und was soll ich sagen? Wenigstens das ging reibungslos. Kündigung im Kundencenter, binnen Minuten ist der Auth-Code da, neues Konto bei do.de geklickt, erste Rechnung bezahlt, DNS-Einträge konfiguriert, fertig. 20 Minuten später war die Seite wieder erreichbar, und zumindest bislang stabil.

Nach 10 Jahren …

Mein „klassisches“ Setup aus

  • Uberspace als Hoster
  • domainssaubillig.de als Registrar

hat also schon zwei Risse bekommen – die Nextcloud liegt nun bei Hetzner und die Domain bei do.de. Das Setup hatte ich so übrigens seit 2015 betrieben und es damals einfach meinem Arbeitgeber, der Münchner Verlagsgruppe, abgeguckt. Naja. The times, they are a changing …


Featured image: In Röthenbach.

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Achim Szepanski verstorben https://dennisschmolk.de/2024/09/25/achim-szepanski-verstorben/ https://dennisschmolk.de/2024/09/25/achim-szepanski-verstorben/#respond Wed, 25 Sep 2024 15:23:15 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=6549 Nur eine kurze Meldung, auf die ich bei disquiet stieß: „Achim Szepanski died this week at age 67“. Szepanski war Label-Betreiber vor allem im Bereich Glitch und experimentelle Elektronika (Beispiel-Playlist auf Spotify). Außerdem war er poststrukturalistischer Denker, Marxist und enorm komplizierter Theoretiker. Marc Weidenbaum (disquiet) verlinkt ein Interview; als R.I.P. daher einige kurze Links und Gedanken: „Black Label. Electronic-music connoisseurs depend on small independent record companies for the hard  stuff“, ... Mehr

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Nur eine kurze Meldung, auf die ich bei disquiet stieß: „Achim Szepanski died this week at age 67“. Szepanski war Label-Betreiber vor allem im Bereich Glitch und experimentelle Elektronika (Beispiel-Playlist auf Spotify). Außerdem war er poststrukturalistischer Denker, Marxist und enorm komplizierter Theoretiker.

Marc Weidenbaum (disquiet) verlinkt ein Interview; als R.I.P. daher einige kurze Links und Gedanken:

Plus:


Featured Image: Dall-E via ChatGPT, Prompt: „A dystopian sci-fi scene symbolizing ‚Poststructuralism‘ and ‚Glitch-Music.‘ The image features abstract, fragmented cityscapes with shattered digital elements, distorted buildings, and glitchy, broken textures. Neon lights flicker inconsistently, casting erratic shadows. In place of any text or writing, there is now a rhizomatic network of glowing, interconnected nodes and roots, symbolizing decentralization and interconnection. The environment is filled with disrupted, distorted shapes and patterns. There are no people, just floating symbols, broken screens, and fragmented structures, symbolizing the breakdown of meaning and structure, with layers of glitchy, cybernetic aesthetics. The overall atmosphere is dark and chaotic, illuminated by unpredictable flashes of light and distorted digital noise.“

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100 https://dennisschmolk.de/2024/09/18/100/ https://dennisschmolk.de/2024/09/18/100/#comments Wed, 18 Sep 2024 15:27:47 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=6482 So langsam muss man es einsehen: Das Thema Sabbatical ist lange schon zu Ende, das Studium nun auch. Man hat vielleicht bemerkt: Das Bloggen kommt unter die Räder; es mangelt an Zeit bzw. Muße, Eindrücken, Inspirationen, Anlässen und der Routine. Ist aber vielleicht auch gut so. Jedenfalls: Ich habe gefühlt wieder Feierabend, Wochenenden etc. Das hat mir tatsächlich gefehlt. (Vielleicht bin ich, entgegen der Meinung einiger naher Menschen, doch nicht ... Mehr

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So langsam muss man es einsehen: Das Thema Sabbatical ist lange schon zu Ende, das Studium nun auch. Man hat vielleicht bemerkt: Das Bloggen kommt unter die Räder; es mangelt an Zeit bzw. Muße, Eindrücken, Inspirationen, Anlässen und der Routine. Ist aber vielleicht auch gut so. Jedenfalls: Ich habe gefühlt wieder Feierabend, Wochenenden etc. Das hat mir tatsächlich gefehlt. (Vielleicht bin ich, entgegen der Meinung einiger naher Menschen, doch nicht der geborene Selbstständige Schrägstrich Unternehmer …)

Jedenfalls: Das Zeugnis ist da.

Und damit wird es Zeit für ein paar letzte Jena-Eindrücke:

Grafitti und ein neuer Rosa-Band, der mich aber nicht überzeugte (bei Thalia durchgeblättert).

Futter für Material und Ideal

Finale Speisen: Mensa und Fritz Mitte, es geht also kartoffellastig, aber nicht im Kartoffelhaus zu Ende.

Immerhin gelang es mir, die Thoska auf 4 Euro zu drücken. Diesen Rest schenke ich dem Studierendenwerk.

Die Thulb wollte freilich auch nochmal besucht werden.

Wahlkampf und Co.

Außerdem war Wahlkampf in Thüringen, als ich zuletzt dort war. Im gesamten Zentrum sah ich wenig Wagenknecht und keine (!) AfD.


Was es aber zuhauf gab: viele Plakate an einer Stange. Rekord vorm botanischen Garten waren 6 Wahlplakate untereinander. Quantität können sie da oben also; über die Qualität lässt sich streiten. „Anstand und Haltung“ bzw. „Nähe und Vertrauen“? Oder gar „ausgebildeter Polizist“:

Ich meine … entweder, das ist ein Polizist. Dann sollte er aus meiner Warte idealerweise eine Ausbildung als solcher genossen haben. Oder er hat keine Ausbildung, dann finde ich, dass er nicht als Polizist arbeiten dürfen sollte. Aber vielleicht ist meine Welt zu einfach. Auch beim Thema Zugänge: zu Bildung und Arbeit lasse ich mir ja noch eingehen. Aber was ist „Zugang zu Teilhabe“? Das macht ja andersrum mehr Sinn: „Teilhabe an Zugängen“, da kann man sich vorstellen, wie jemand vor einer Tür steht und Zoll erhebt, weil er Teilhaber der Tür ist.

Dem „BSW“ muss man dann leider zugute halten, dass es immerhin eine markige Position aufs Plakat bekommt. „Rechnen statt Gendern“ mag doof sein, aber verständlich.

N.B.: Die unverschämte Schönheit hätte ich mir gerne angeguckt, und wäre dafür auch pünktlich in der Stadt gewesen; aber entgegen dem oben gezeigten Plakat startete die Ausstellung keineswegs am 17. August, sondern kommt laut Störer erst Mitte September. Schade.

Vom UHG und seinem Innenhof, der mir sommers wie winters ein angenehmer Ort für Dampf & Kaffee war, musste ich mich natürlich auch verabschieden.

PS: #100

Nun haben wir also den Abschluss erreicht. Thanks for staying with me. In 12 Tagen werde ich exmatrikuliert und bin (mindestens zeitweise) wieder Philister.

Laut meiner Zählung im Archiv ist das hier der Beitrag Nummer 100 zum Thema Sabbatical. Damit langts dann aber auch mal. Kategorie zu.


Beitragsbild: Was man alles am Ende bekommt.

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Lose Urlaubsgedanken 2024 https://dennisschmolk.de/2024/08/29/lose-urlaubsgedanken-2024/ https://dennisschmolk.de/2024/08/29/lose-urlaubsgedanken-2024/#comments Thu, 29 Aug 2024 08:14:25 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=6503 Ich war einige Tage wandern, von Bayerisch-Schwaben nach Südmittelfranken. Hier ein paar lose Gedanken, damit sie nicht verloren gehen. Heimatzeitung und Volksesoterik Sagt jemandem die „Altbayerische Heimatpost“ etwas? Mir bislang auch nicht. Aber wenn man Urlaub hat, kann man so etwas ja mal kaufen. In der Ausgabe der entsprechenden Woche gab es sogar einen nett zu lesenden Artikel über das erste Nürnberger Theater — auf der Insel Schütt und gegründet ... Mehr

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Ich war einige Tage wandern, von Bayerisch-Schwaben nach Südmittelfranken. Hier ein paar lose Gedanken, damit sie nicht verloren gehen.

Heimatzeitung und Volksesoterik

Sagt jemandem die „Altbayerische Heimatpost“ etwas? Mir bislang auch nicht. Aber wenn man Urlaub hat, kann man so etwas ja mal kaufen. In der Ausgabe der entsprechenden Woche gab es sogar einen nett zu lesenden Artikel über das erste Nürnberger Theater — auf der Insel Schütt und gegründet in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges, was für entsprechenden Aufruhr sorgte. Anderes im Heft war sentimentale Heimatduselei, etwa ein Romanauszug aus dem Rosenheimer Verlagshaus. Brrr.

Was mir aber bei meiner Spurensuche nach Volksspiritualität half: Anstelle eines Horoskops gab es hier eine Seite über die Mondphasen der anstehenden Woche. (Die wurden aber wiederum in Korrespondenz mit Planeten und Sternbildern gesetzt, also ging es doch irgendwie auch um Astrologie.) Jedenfalls: Mit dem Mond lässt sich, auch im entsprechenden Eso-Regal der kleinstädtischen Buchhandlungen, etwas anfangen.

Gänzlich tot scheint alles rund um Tarot. Rupprecht und kleinere Buchhandlungen führen eher „Orakelkarten“ oder „Schutzengel-Kärtchen“.

Apropos Rupprecht, hier fand ich dann doch noch etwas zum Tarot:

Warum genau diese Auswahl auf Kniehöhe hängt, müsste man die entsprechenden Buchhändler(innen) fragen.

Abgesehen davon findet sich in den ländlichen Regionen vor allem Marienverehrung (allerdings nur bis zur mittelfränkischen Grenze). Beeindruckend: In Maria Brünnlein (bei Wemding) hört man im gesamten Kirchenschiff das Plätschern besagten Brünnleins, das sich hinter einer Marienstatue verbirgt.

Passend dazu kann man vor Ort Wasserfläschchen zum Abfüllen erwerben, und natürlich diverse Devotionalien. Ansonsten ist es hier (und das habe ich auch anderswo gesehen) Brauch, der Kirche Dankbilder zu stiften, wenn die Muttergottes Nothilfe geleistet und jemanden geheilt hat.

Ich bin mir noch nicht ganz sicher, wie christlich ich das finde. Diese Brunnen- und damit Wasser-Verehrung hatte für mich einen eher heidnischen Touch; der Heiligen-Polytheismus ja sowieso. Und nun zu Profanerem.

Sonstige Lektüren

Außerdem kam ich mal wieder dazu, eine komplette ZEIT zu lesen. Mannmannmann ist das jedes Mal viel Content. Aber dadurch trägt die ZEIT zur Urlaubsstimmung bei: Wann sonst hat man Zeit dafür …?

Auf der Heimreise erstand ich in Weißenburg noch ein Bändchen über Medienethik, KI und Gefühle; vielleicht steckt da ja noch eine Erweiterung (m)eines Dissertationsthemas drin.

Pappenheim und Schwurbeleien

Ein Abenspaziergang durch Pappenheim brachte Verwunderliches zu Tage. Nahe der Tourist-Info findet sich ein Cafe mit relativ eindeutigen Sinnsprüchen, mit Kreide auf die Scheiben geschrieben:

Man kann das Wortspiel „Ent-nancy-fizierung“ würdigen und Magazinverbote doof finden, aber im Zusammenspiel mit dem Rest scheint hier weniger eine Politikkritik als ein (unreflektiertes?) Bekenntnis zu einer Querdenker-Subkultur zu bestehen. Anderes ist dann ganz doof:

Ich meine, wer bekämpft denn Menschen, um Platz für Autos zu schaffen …? Das sind eher nicht die Grünen. (Naja, Winfried Kretschmann, okay.) Die NATO-EZB-Liste ist ein alter Hut. Aber das Tetris-Bild lässt sich ja auch andersrum lesen. Hier steht:

Tetris hat uns gelehrt, daß [sic] wir verschwinden, wenn wir versuchen, irgendwo reinzupassen.

Wird nicht eher ein Schuh draus, wenn man sagt: „Tetris hat uns gelehrt, dass ziemlich schnell Game Over ist, wenn nichts irgendwo reinpasst“?

Barock und der Fuß aus dem Stuck

In der Kirche in Otting fand sich dieses Decken-Stuck-Relief mit Gemälde:

Korrekt. Da schauen Füße raus. Das kam mir nicht ganz unbekannt, wenn auch bemerkenswert vor. Die Wikipedia weiß denn auch:

Ein typisches Kennzeichen des Barock ist die Tendenz zum Gesamtkunstwerk. Was in dieser Epoche gebaut oder künstlerisch geschaffen wurde, sollte einen gemeinsamen Zug haben und harmonische Ensembles bilden. Das ist besonders gut in noch bestehenden barocken Kirchen zu erkennen, in denen Architektur, Plastik und Malerei nicht nur miteinander harmonieren, sondern sogar ineinander übergehen – so kann ein Putto, eine Wolke oder ein Vorhang am Rand eines Gemäldes in Form von Stuck plötzlich plastische Gestalt annehmen. Oder es streben Säulen einem Deckengemälde zu und verwandeln sich dort zu Scheinarchitektur.

Ob man den Fuß aus dem Deckenbild nun als „harmonisches Gesamtkunstwerk“ oder unfreiwillige Komik erlebt, sei dahingestellt.

Fun fact: Ich finde, dieses Gotteslamm guckt hämisch, verschlagen und selbstzufrieden. Okay, den Tod zu besiegen und die Menschheit von der Erbsünde zu erlösen ist ne coole Nummer, aber sollte das Agnus Dei nicht trotzdem ein bisschen bescheiden und freundlich bleiben …?

Versorgungslage

Leider war es auf den meisten Dörfern nicht möglich, irgend etwas zu erstehen. Eine positive Ausnahme: In Langenaltheim fand sich nicht nur ein Bäcker (der leider eine lange Mittagspause macht), sondern sogar ein kleiner Getränkemarkt. Man muss an der Haustür klingeln, aber dann bekommt man sogar gekühltes alkoholfreies Bier in Einzelflaschen. So muss das!

Deutschlandticket

So langsam muss ich mich darum kümmern, dass ich ab Oktober wieder ein VAG-DT (also eine Plastikkarte) habe. Zum Glück ist dann der Quatsch mit der Mein-Jena-App vorbei. Auf der Rückfahrt etwa wollte der Ticket-QR-Code einfach nicht laden. Ich hätte es ja auf ein Knöllchen und den nachfolgenden Streit angelegt, aber die Zugbegleiterin war offenbar an technische Schwächen gewöhnt und ließ mich einfach so weiter mitfahren.

Kärwabaum-Nachtrag

Neulich gab’s ja was zu Kärwabäumen und deren Aufstellung. Einfacher macht man es sich in andern Dörfern mit beeindruckenden Bäumen wie dem hier:

Denn da gibt es offenbar am Baumständer ein Scharnier, sodass man ihn statt mit Muskelkraft auch gefahrlos mit Maschinen aufstellen kann:

Ein Hersteller dazu (und in bezug auf Maibäume):

Das Aufstellen kann mit Schwalben, Kran oder Traktor erfolgen. Dabei kann sich der Maibaum nur entlang von einer Achse bewegen – ein Kippen zur Seite ist nicht möglich. Bei 90° verhindert ein Anschlag das Überkippen nach vorne und der Maibaumständer wird durch Bolzen gesichert. Der Maibaum steht dann kerzengerade im Ständer.

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Fremdbeobachtung des Kärwabaums https://dennisschmolk.de/2024/08/12/fremdbeobachtung-des-kaerwabaums/ https://dennisschmolk.de/2024/08/12/fremdbeobachtung-des-kaerwabaums/#comments Mon, 12 Aug 2024 09:14:00 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=6454 Auf einer Nürnberger Stadtteilkirchweih („Kärwa“) beobachtete ich die Tage zum ersten Mal, wie ein „Kärwabaum“ aufgestellt wurde. Das war ein recht langwieriger Vorgang: Zwischen dem Ankarren des Baums auf den Festplatz und dem Siegesschnaps verging mehr als eine Stunde — und das bei diversen bereits erledigten Vorarbeiten. Eine schöne Verfremdungsfrage ist ja immer: Wie erklärt man’s einem Außerirdischen? Das ist eine Randfrage der Exosoziologie (die sich primär damit befasst, wie ... Mehr

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Auf einer Nürnberger Stadtteilkirchweih („Kärwa“) beobachtete ich die Tage zum ersten Mal, wie ein „Kärwabaum“ aufgestellt wurde. Das war ein recht langwieriger Vorgang: Zwischen dem Ankarren des Baums auf den Festplatz und dem Siegesschnaps verging mehr als eine Stunde — und das bei diversen bereits erledigten Vorarbeiten.

Eine schöne Verfremdungsfrage ist ja immer: Wie erklärt man’s einem Außerirdischen? Das ist eine Randfrage der Exosoziologie (die sich primär damit befasst, wie „Gesellschaft“ bei Außerirdischen verfasst ist bzw. sein könnte, je nach Überzeugungen). Also wagen wir mal ein Verfremdungsexperiment: Was hat es mit dem gemeinschaftlichen Aufstellen und Dekorieren eines anderswo gefällten Baums auf sich?

N.B.: Ein bisschen fühlte ich mich freilich als urbanes Südstadtkind ohne nennenswerte rurale Wurzeln wie ein solcher Außerirdischer. Gleichzeitig ist mir die Idee aber vertraut genug, dass ich mir zutrauen würde, es UFO-Reisenden zu erklären.

Was passiert?

Zunächst zum äußerlich Beobachteten. Das ist schon relativ abstrahiert und weit weg von einer Beobachtung jeder Bewegung:

  • Ein großer Baum wird mit einer Prozession auf den Festplatz gebracht. Dabei führten einheitlich uniformierte Jungs und Männer, begleitet von einer Kapelle und diversen anderen Beteiligten (Kärwamadla, Kärwakinder in überdachten Wagen).
  • Sodann übernimmt ein Mann (!) die Koordination und weist die anderen ca. 30 Männer (!) in 6-10 Kleingruppen ein, wie sie den Baumstamm zu bewegen, Stützgestelle anzulegen, Druck aufzubauen oder nachzugeben haben.
  • In kleinen Schritten nähert sich der Baum dann einer senkrechten Stellung, wird immer wieder aufs Neue abgestützt, jeder Gebietsgewinn abgesichert.
  • Schließlich rutscht der Baum in seine Halterung und kann fixiert werden.
  • Dann wird Bier und Schnaps getrunken.

Das „Aufstellen“ ist ja nur der letzte und stark ritualisierte Schritt, daher fassen wir den Vorlauf mal anhand des Beobachteten zusammen:

  1. Es muss festgelegt werden, wo der Baum wie zu stehen hat. Das ergibt sich vermutlich aus „Tradition“.
  2. Es muss eine Grube ausgehoben oder eine andere Befestigungsmöglichkeit für den Baum am Festplatz präpariert werden. Echte Sappeursarbeit.
  3. Es muss ein Baum ausgewählt, ggf. präpariert und dann gefällt werden, vielleicht muss er auch noch eine Weile lagern und trocknen.
  4. Es muss der Transport organisiert werden, wofür es theoretisch diverser Menschen, praktisch aber auch einiger landwirtschaftlicher Maschinen bedarf.
  5. Es müssen genügend Menschen rekrutiert werden, die zur richtigen Zeit im richtigen Zustand (0,3–0,8 Promille?) am richtigen Ort bereitstehen.
  6. Es braucht Stützen („Schwalben und Stempel“, wie die Wikipedia weiß), Dekoration und weiteres Werkzeug.
  7. Vermutung: Die Koordinationsfähigkeit der Gruppe muss auf Dauer gestellt werden (darauf deuten auch die Uniformen und die Wimpel der „Kärwaboum und -madla“-Vereine).

Wie deuten wir das?

Ich denke, die naheliegende Deutung ist die richtige: Es handelt sich hierbei um ein „traditionelles Gruppen-Ritual“, das dann vielleicht so etwas wie emotionale Energie (Randall Collins) oder kollektive Efferveszenz (Durkheim) freisetzt. Aber warum ist das für Außenstehende faszinierend, selbst wenn die sich nicht durch diese Energie „anstecken“ lassen? (Denn ich fand das Ganze, wie vielleicht auch unser Außerirdisches, faszinierend und beeindruckend, aber nicht mitreißend.) Vielleicht ist das auch die Kehrseite der Frage, wieso es den Leuten, die daran beteiligt sind, „Spaß“ macht.

Bedeutsam und nutzlos …

Zunächst suggeriert die gesamte Szene Bedeutsamkeit. Viele Menschen arbeiten mit, noch mehr Menschen gucken zu; es sind offenbar nur sehr bestimmte Personen (Männer mit bestimmter Uniform) zugelassen, mitzuarbeiten; es gibt einen festlichen Rahmen, Straßensperrungen für die Prozession, Wachpersonen, Speisen und Getränke. Ganz offenbar ist nichts daran zufällig: Das Ereignis ist inszeniert und orchestriert.

Diese Bedeutsamkeit wird konterkariert durch eine gewisse Unsinnigkeit oder Sinnlosigkeit aus einer Nutzenperspektive: Platt gesagt haut man irgendwo einen Baum um, um ihn dann woanders wieder unter großen Mühen aufzustellen.

… oder sogar riskant

Das ganze Schauspiel ist zudem relativ gefährlich, auch nach dem „Stellen“: 2015 etwa wurde eine Moosbacherin vom Kärwabaum erschlagen, und dieses Jahr gab es Verletzte durch einen Maibaum. Und weil wir das wissen, ist es nicht mehr nur gefährlich, sondern sogar riskant: Wir könnten die Gefahr jederzeit durch eine Entscheidung abstellen. Oder anders: Den Baum aufzustellen ist ein Risiko, weil sich die Gruppe jedes Jahr entscheiden muss, das Ritual wieder durchzuführen. Damit geht eine gewisse Verantwortung einher, die aber durch das Argument der Tradition moderiert wird („es gab schon immer einen Kärwabaum, ein Unfall ist kein Grund, mit der Tradition zu brechen“). Die Gefahr dient aber auch dazu, einen Ausbruch aus dem (heutzutage für gewöhnlich recht „sicheren“) Alltag zu bieten.

Da liegt mir die Deutung nahe: Man macht das, weil man’s kann; ob man das dann soziobiologisch als „Brautwerbung durch Potenzbeweis“ weiterdeuten muss, weiß ich gar nicht. Ich würde einfach sagen: Das ist „Kultur“. Und man macht das, weil man es „immer schon so gemacht“ hat: Das Ganze hat und ist Tradition. Am Beobachtungsort vielleicht erst seit wenigen Jahrzehnten, insgesamt aber seit Jahrhunderten. Und damit wurzelt es auch in etwas, was ehemals sehr nützlich war: Holzwirtschaft, vielleicht als essenzielle Lebensgrundlage der betreffenden Gemeinde.

Symbolcharakter: Arbeit und Koordination!

Das heißt, dieses Ritual dient selber als Symbol. Es verweist explizit auf etwas anderes und macht es dadurch boebachtbar. In diesem Fall vermute ich: Die Anstrengung verweist auf die Koordinationsleistung von Menschengruppen. Diese ist durch (u.a.) Arbeitsteilung und funktionale Differenzierung im Alltag nicht mehr sichtbar. Es sind zwar zehntausende Menschen global daran beteiligt, dass ich im Supermarkt ein Päckchen Reis kaufen kann, aber davon sehe ich nichts, denn das wird einfach über das Kommunikationsmedium Geld vermittelt. Rituale wie ein Baumstellen machen die dahinterliegende „Leistung Gesellschaft“ pars pro toto sichtbar. Und der gestellte Baum bleibt im öffentlichen Raum sichtbar. Dieser Bereich umfasst dann auch den Charakter des Rituals als Initiationsritus, wenn junge Burschen (!) zum ersten mal teilnehmen (und vielleicht den ersten Vollrausch erleben, wobei ich mir da heute nicht mehr so sicher wäre).

Außerdem sei angemerkt, dass hier auf den Lebensbereich Arbeit verwiesen wird, aber ohne die heute allgegenwärtige Aufwand-Nutzen-Rechnung: Denn wie schon festgestellt, ist das Unterfangen selbst vollkommen nutzlos. Und auch präkapitalistisch gab es keinen unmittelbaren Nutzen für die Gemeinschaft — außer eben das Einüben von Koordination und die „Gruppenbildung“.

Anachronismus

Ein gut Teil meiner Faszination liegt schließlich auch im mehrfachen Anachronismus. Schon genannt wurde, dass die wenigsten Beteiligten heute noch als Teil ihrer Lebensgrundlage mit Holz zu tun haben dürften. Aber auch andere unzeitgemäße Bezüge werden herausgestellt, die das Ereignis „verfremden“ — allem voran die Geschlechterrollen: Denn offenbar stellen nur Jungs den Baum auf.

Einerseits kann man das auf das Argument der größeren körperlichen Kraft beim männlichen biologischen Geschlecht zurückführen. Aber ist es wirklich realistisch, dass sich keine zwei Frauen finden, die stärker sind als zwei der beteiligten Jungs und Männer? Oder liegt es an der Uniformierung: In Kleid und Schürze wuchtet sich so ein Baum halt schlechter als in Lederhose, Hemd und Tüchlein? Jedenfalls befremdet (mich) auch diese Rollenaufteilung.

Kurzer Exkurs: Aus einem investigativen Interview weiß ich nun, dass hier durchaus divergierende weibliche Perspektiven bestehen. In manchen Landstrichen gibt es das „Maistecken“: Jungs koordinieren sich, um ihren (freilich weiblichen) Angebeteten einen Ast oder Baum aufs Dach (meist des Elternhauses) zu stellen. Als ich hörte, dass sich dagegen ein gewisser weiblicher Widerstand formte, weil man den Jungs „den ganzen Spaß“ nicht überlassen wollte, war ich etwas verwirrt: Für mich war die Idee, einen Baum aus dem Wald auf ein Dach zu schleifen, erstmal kein „Spaß“, sondern „harte Arbeit“, um die ich mich lieber drücken wollen würde.

Was fehlt, ums den Außerirdischen zu erklären?

Würde man das Treiben einem außerirdischen Besuchenden zu erklären versuchen, müsste man diverse weitere Konzepte erklären. Angefangen bei „Geschlecht“ und „Uniform“ (bzw. „Dirndl“) bis hin zu „Festplatz“, „Forstwirtschaft“, „Natur“, „Kirchweih“, „Kirche“, der Kirchweihbaum als Rechtssymbol, „Tradition“, „Gefahr“ und ggf. sogar „Maschine“, „Bier“, „Schnaps“ und „Erfolgserlebnis“. Und schließlich müsste man auch erklären, was Langeweile und Zeitstrukturierung bedeuten. Also dass Menschen häufig Dinge tun, einfach, um etwas zu tun zu haben. (Und da ist kollektives Kärwabaumstellen vielleicht eine gute und verträgliche Alternative zu anderen Optionen junger Männer.)

Auf Instagram kommentierte jemand mein schlechtes Maibaumfoto:

Pseudoreligiöse Rituale gibt es sicher in allen Zivilisationen[.] [U]nd Wesen[,] die durchs All reisen können[,] sollten sowas kennen

Da würde ich mit einem ersten exosoziologischen Ansatz widersprechen. Es ist durchaus denkbar, dass eine „Zivilisation“ und „Gesellschaft“ existiert, die z.B. nur telepathisch oder über Fernkommunikationsmedien in Kontakt steht. Interagiert wird nur zum reinen Austausch notwendiger „Güter“. Trotzdem können wir von „Gesellschaft“ sprechen, etwa, weil es um einen Aggregatsbegriff von Kommunikationen geht.

Die Frage könnte also immer sein: Welcher Funktion dient ein beobachtetes Verhalten? (In unserem Fall vielleicht: „Gemeinschaftsbindung“.) Und dann kann man überlegen, ob man sich ein Kollektiv aus Wesen denken kann, das kein Problem kennt, für das dieses Verhalten eine Lösung darstellt; die also diese Funktion nicht braucht.

Spätestens jetzt könnte man über das vorliegende Thema aber vermutlich schon promovieren.

Nachtrag Ende August: Man kann das mit Scharnier am Ständer auch einfacher haben.


Beitragsbild: Ein Kirchweihbaum wird aufgestellt.
Weitere Bilder: DALL-E. Leider verstand das Modell nicht, was ein Kärwabaum ist, und ignorierte diverse weitere Anweisungen. Ich wollte aber auch nicht zu lange mit der Exo-Intelligenz reden.

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Ein Omikuji https://dennisschmolk.de/2024/07/30/ein-omikuji/ https://dennisschmolk.de/2024/07/30/ein-omikuji/#comments Tue, 30 Jul 2024 08:59:31 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=6444 Momentan gibt es eine direkte Drähtin nach Japan, die mir ein Omikuji gezogen hat. (Danke!) Was das ist? Die Wikipedia weiß: Omikuji are random fortunes written on strips of paper at Shinto shrines and Buddhist temples in Japan. […] When the prediction is bad, it is a custom to fold up the strip of paper and attach it to a pine tree or a wall of metal wires alongside other ... Mehr

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Momentan gibt es eine direkte Drähtin nach Japan, die mir ein Omikuji gezogen hat. (Danke!) Was das ist? Die Wikipedia weiß:

Omikuji are random fortunes written on strips of paper at Shinto shrines and Buddhist temples in Japan. […] When the prediction is bad, it is a custom to fold up the strip of paper and attach it to a pine tree or a wall of metal wires alongside other bad fortunes in the temple or shrine grounds. A purported reason for this custom is a pun on the word for pine tree (松, _matsu_) and the verb ‚to wait‘ (待つ, _matsu_), the idea being that the bad luck will wait by the tree rather than attach itself to the bearer.

Und das Beste: Wenn man den Spruch aus der Entfernung bezieht, weiß man nicht mal, welche schlechten Schicksale an einen Zaun gebunden wurden! So blieb mir nur das „Best Fortune“:

Everything will be realized as if you look the flowers from a palace facing the south. Treasures in vehicles will come to your house.* You will become virtuous with learning and will be invited to the palace as well as your desire will be realized. While you are riding on horse back, in high spirits, everybody will praise you.

Bei travel.rakuten.com findet sich noch eine spannende Zusatz-Info:

Although omikuji used to be made on-site, now only a few companies make them. The largest is actually a women’s rights group founded in the Meiji Era over a century ago, who started making fortunes to raise money. Nowadays, the Joshidosha (Women’s Road Company) operating out of Nissho Yamada Shrine in Yamaguchi Prefecture manufactures 70% of all omikuji in Japan.

Leider finde ich diese „Women’s Rights“-connection nirgendwo anders dokumentiert, aber ich stelle auch fest, dass meine Such-Skills außerhalb der Reichweite des lateinischen Alphabets offenbar nicht besonders ausgeprägt sind …

Ein so positives „Los“ wie meines ist laut Yumio Katsumata übrigens gar nicht so beliebt:

吉(Kichi/Kitsu/Yoshi) refers to “good, positive” while 凶(kyou) states “bad, something’s wrong.” 大(Dai=big, large), 中(Chuu=medium, middle), 小(Shou=small, a little) is attached in front like 小吉(shoukichi=a little happy) or 大凶(daikyo=worse).

Nowadays, many omikuji intentionally opt out 凶 so the drawers won’t complain about their results to shrines/temples. 末吉(Suekichi=moderate luck) is now popular.

Na gut. Ich aber will mich nicht beschweren.


* Vermutlich meinte das eine Amazon-Bestellung.
Beitragsbild (c) Sabrina Kurtz

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Gefühle, reloaded: Auf zur MA-Verteidigung! https://dennisschmolk.de/2024/07/19/gefuehle-reloaded-auf-zur-ma-verteidigung/ https://dennisschmolk.de/2024/07/19/gefuehle-reloaded-auf-zur-ma-verteidigung/#comments Fri, 19 Jul 2024 13:40:05 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=6404 Im momentanen (relativ vollen) Alltag komme ich zu bedeutend weniger Lektüren und Nachdenkphasen; aber zum Glück ist die Nabelschnur zum Unileben ja noch nicht ganz zerschnitten: Es steht noch die Verteidigung an. Falls ihr übrigens den Eindruck habt, dass sich das Studien-Ende endlos hinzieht: Willkommen im Club! So geht es mir auch. Seit einem halben Jahr „nähere ich mich dem Abschluss mit großen Schritten“, wodurch die Schritte dann nachträglich relativ ... Mehr

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Im momentanen (relativ vollen) Alltag komme ich zu bedeutend weniger Lektüren und Nachdenkphasen; aber zum Glück ist die Nabelschnur zum Unileben ja noch nicht ganz zerschnitten: Es steht noch die Verteidigung an. Falls ihr übrigens den Eindruck habt, dass sich das Studien-Ende endlos hinzieht: Willkommen im Club! So geht es mir auch. Seit einem halben Jahr „nähere ich mich dem Abschluss mit großen Schritten“, wodurch die Schritte dann nachträglich relativ klein wirken.

Prüfungsvorbereitung: Die Verteidigung meiner Gesellschaftstheorie-Masterarbeit

Anlässlich der baldigen Verteidigung habe ich mir am Wochenende meine gesamte Masterarbeit nochmals zu Gemüte geführt. Verrückt, wie lange das Schreiben schon zurück liegt: ein halbes Jahr.

Ein bisschen rügen muss ich mich für Sätze wie den folgenden:

Zu erwarten ist nach unserem Begriff, dass vor allem Strukturänderungen, die die gesellschaftliche Reduktion von Sinnüberschüssen überfordern, zum Wechsel auf die Gefühlsebene als Symbiosis zwingen.

Was habe ich damit gemeint …? Die Reduktionsfähigkeit? Vermutlich meinte ich: Eine Gesellschaft muss Komplexität reduzieren. In ihrer Entwicklung sieht sie sich aber vor allem mit neuen Sinnüberschüssen konfrontiert — das ist analog zur Verbreiterung der genetischen Basis (Mutation, Variation) in der natürlichen Evolution. Wenn sich nun Strukturen der Gesellschaft ändern (Urbanisierung, Individualisierung, Zuwanderung, Krisen der Sozialsysteme, …), dann kommen die Mechanismen der Komplexitätsreduktion (z.B. Erfolgsmedien) nicht hinterher. Und in genau solchen Situationen fällt die Kommunikation auf Gefühle zurück. Oder so.

Für die eigentliche Prüfung habe ich mit dann zurechtgelegt, wie ich in 10 Minuten

  • meine Forschungsfrage: Welche Funktionsweise haben und welche Funktion erfüllen Gefühle in Kommunikation?
  • meinen Argumentationsgang
  • meine Ergebnisse

präsentieren kann. Und ich habe mir die Rückfragen der beiden Prüfer aus ihren Gutachten angeguckt und ein paar Ansätze zur Beantwortung überlegt.

Handy kaputt

Ich hatte ja auch kürzlich Geburtstag, und da ich Sabbatical-bedingt 2024 nicht soooo viele Urlausbtage habe, ging ich brav ins Büro. Das stellte sich als Fehler heraus, denn kurz vor Feierabend fegte ich mein Handy vom Schreibtisch und es fiel unglücklich aufs Gesicht. Vielleicht war eine Arbeit auf der AdbK-Jahresausstellung am Wochenende prophetisch …

Also schnell Ersatz bestellt und mein altes Handy aus der Schublade gekramt. (Den „Migrationsprozess“ hatte ich hier dokumentiert.) Das neue hat also ca. 16 Monate durchgehalten … ein Negativrekord. Zum Glück läuft auf dem alten noch fast alles mit wenigen Swipes und Klicks: DHL-App, Deutschlandticket (danke, dass das nicht einfach in die Thoska integriert ist, Jenaer Nahverkehr!), Banking. Man ist schon erschreckend abhängig von dem Gerät.

Nun fragt sich, ob ich irgendwie an meine Signal-Daten komme, ohne das Display reparieren zu lassen: Offenbar bräuchte man dafür ja Zugriff auf Signal auf dem alten Gerät. Meh. Das löste viele negative Emotionen aus, auch wenn ich so endlich zu einem Android-14-Smartphone komme. Die Wahl fiel übrigens auf ein HMD Pulse Pro.

Kürzt man das Adelsprädikat „von“ nun eigentlich ab oder nicht?

Noch zu Zeiten als Lektoratsbeschäftigter in einem kleinen E-Book-Verlag durfte ich einmal die Bekanntschaft eines Adeligen machen. Davon blieb mir, neben der blaublütigen Herablassung des Herrn, vor allem eins im Gedächtnis: der Hinweis, man möge das „von“ im Nachnamen doch unbedingt als „v.“ abkürzen. Seine Begründung habe ich leider vergessen, aber es war ihm sehr wichtig.

Nun kam die Frage wieder auf und ich habe mal ein bisschen gegooglet. Adelsprädikate sind inzwischen schon über 100 Jahre lang „nur“ noch Bestandteil des Namens, siehe Wikipedia. Offenbar wollen das manche Freifrauen, Fürsten und Verschwörys aber nicht akzeptieren:

Noch heute gilt das abgekürzte „von“ als Hinweis unter Eingeweihten. Wer „v.“ schreibt, glaubt an das Nachleben eines deutschen Adels – oder arbeitet bloß gern mit Abkürzungen. (LTO)

Ich vermute ja, dass es da um Ersteres ging. Dieser LTO-Artikel ist insgesamt zwar etwas dünn, aber lesenswert. Ich neige dazu, das „von“ in der Zukunft immer auszuschreiben, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, ich wünschte mir eine Ständegesellschaft zurück …


Beitragsbild: „Such is life“, wie meine Oma immer zu sagen pflegte. 

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