Semesterferien 2 Archive – Dennis Schmolk https://dennisschmolk.de/tag/semesterferien-2/ Kontakt: dennis@dennisschmolk.de Sun, 16 Jun 2024 15:50:39 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.6.2 https://dennisschmolk.de/wp-content/uploads/2023/08/cropped-oKajK5kXZmHLTZso5N5C-1-2mlpj-32x32.png Semesterferien 2 Archive – Dennis Schmolk https://dennisschmolk.de/tag/semesterferien-2/ 32 32 Kurzrezension: „Annie Besant: Weisheit und Wissenschaft“ (Muriel Pécastaing-Boissière) https://dennisschmolk.de/2023/09/26/kurzrezension-annie-besant-weisheit-und-wissenschaft-muriel-pecastaing-boissiere/ https://dennisschmolk.de/2023/09/26/kurzrezension-annie-besant-weisheit-und-wissenschaft-muriel-pecastaing-boissiere/#comments Tue, 26 Sep 2023 13:52:48 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=5096 Muriel Pécastaing-Boissières Annie-Besant-Biographie ist prinzipiell sehr lesenswert. Leider gilt das für die deutsche Ausgabe nur eingeschränkt. Positives: Kurz, knackig und schlüssig Zunächst zum Positiven: Das Buch (englischer Titel: „Annie Besant. Struggles and Quest“) schließt, wenn man bislang vor allem einzelne Articles gelesen hat, einige Lücken. So war mir z.B. trotz vieler Lektüren nicht klar, dass Besant Gandhi schon in den 1890er Jahren getroffen hatte, wie ihre Karriere bei der Secular ... Mehr

Der Beitrag Kurzrezension: „Annie Besant: Weisheit und Wissenschaft“ (Muriel Pécastaing-Boissière) erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>
Muriel Pécastaing-Boissières Annie-Besant-Biographie ist prinzipiell sehr lesenswert. Leider gilt das für die deutsche Ausgabe nur eingeschränkt.

Positives: Kurz, knackig und schlüssig

Zunächst zum Positiven: Das Buch (englischer Titel: „Annie Besant. Struggles and Quest“) schließt, wenn man bislang vor allem einzelne Articles gelesen hat, einige Lücken. So war mir z.B. trotz vieler Lektüren nicht klar,

  • dass Besant Gandhi schon in den 1890er Jahren getroffen hatte,
  • wie ihre Karriere bei der Secular Society verlief und
  • wie stark die verschiedenen „Befreiungskämpfe“ zusammenhingen.

Anhand dieser „Struggles and Quest“ (Original: „la lutte et la quête“, also Kampf und Suche) ist das Buch auch strukturiert. Kapitel 2, 3, 4 und 6 befassen sich mit ihrem kämpferischen Einsatz für säkulare, feministische, soziale bzw. sozialistische und indische antikoloniale Belange. Kapitel 1 und 5 sind eher „persönlich“: Sie behandeln ihren frühen Werdegang von der mystisch-pietistischen Christin zur Freidenkerin bzw. ihren Übergang zur Theosophie.

Verdienstvoll ist auch, dass die Autorin dabei auf die Kontinuitäten abzielt, die Besants Biographie umrahmen; bis in die 1990er Jahre wurden eher die scheinbaren „Brüche“ thematisiert: Christentum, Atheismus, Sozialismus, Theosophie. Aktueller Trend ist eher die Betonung des Gemeinsamen (auch in meiner Hausarbeit). Und schließlich muss positiv erwähnt werden: Dieses Buch ist relativ kompakt, 300 Seiten in der deutschen Ausgabe. Man liest es an einem freien Montag weg.

Auch meine Frage, wovon Annie Besant lebte, wurde weitgehend beantwortet: Sie erhielt nach der Trennung von ihrem gewalttätigen anglikanischen Pastor vor allem als Autorin und Rednerin Honorare, später verdiente sie als Publizistin Geld. In Phasen, in denen sie sich politisch engagierte (etwa im London School Board), wurde für sie gesammelt; später lebte sie vor allem von Spesen der Theosophischen Gesellschaft.

Fehlendes, Ungeklärtes und Mysteriöses

Leider wird nicht alles aufgeklärt. So spielen Besants Kinder und die Beziehung zum Bruder nur am Anfang des Buches eine Rolle; die Umstände der Zusammenarbeit mit der Tochter Mabel und was aus dem Sohn Arthur wurde bleiben ungeklärt.

Richtig viel findet man über die Autorin selbst übrigens nicht. Sie arbeitet an der Sorbonne. Aus der Google-Translation ihres dortigen CV:

Her current area of ​​research focuses on the connections between feminism, socialism, and the spiritual revival of the late Victorian and Edwardian era. […] Her biography Annie Besant: The Struggle and the Quest was published by Adyar in June 2015, translated into German by Aquamarin Verlag in May 2017, and into English, in a revised and expanded version, in October 2017.

Dem widerspricht die Titelei der deutschen Ausgabe; die widerspricht sich aber auch selbst. Der Schmutztitel sagt „Aus dem Französischen übersetzt von Dr. Edith Zorn“, das Impressum behauptet „Übersetzung aus dem Englischen“. Ja, was denn nun? Und leider geht das so weiter.

Deutsche Ausgabe: Fehlerchen …

Warum habe ich überhaupt die Übersetzung bemüht? Weil ich nicht schon wieder ein PDF am Rechner lesen und mir auch keine PDF-zu-EPUB-Konvertierung antun wollte. Die Besant-Hausarbeit ist ja schon seit drei Wochen abgegeben, daher wollte ich einfach ein bisschen schmökern. Also bestellte ich mir die deutsche Ausgabe aus dem „Aquamarin“-Verlag, deren esoterisch anmutender Untertitel „Weisheit und Wissenschaft“ mich vielleicht hätte warnen sollen …

Der Aquamarin-Verlag verlegt ansonsten anthroposophische, theosophische, Geistheilungs- und Lebenshilfe-Bücher; auf jeden Fall keine „akademische“ Literatur. Die englischsprachige Ausgabe erschien beim Theosophical Publishing House, das Original bei Adyar/Paris, also auch bei „konfessionellen“ Publishern, aber dort beherrscht man anscheinend die Veröffentlichung von wissenschaftlichen Büchern. Bei Aquamarin leider nicht. Aus den Fußnoten wurden nach Kapitelzählung sortierte Endnoten, was die Nachvollziehbarkeit deutlich erschwert; und es entfielen auch einige kontextgebende Noten (bspw. zur heutigen NSS). Die deutsche Ausgabe enthält auch nur 19 (s/w) Abbildungen, die englische 34 (teils farbig).

Außerdem mangelt es leider an den Grundlagen der Typographie. So werden prinzipiell doppelte Anführungszeichen in Zitaten verwendet, die bereits mit doppelten Anführungszeichen gerahmt sind; das führt dann auch oft zu Interpunktionsfehlern, von der mangelnden Lesbarkeit ganz zu schweigen.

„Wenn ich innerhalb ‚doppelter Anführungszeichen‘ zitiere, dann nur mit einfachen.“

Leider merkt man der Übersetzung immer wieder ein paar Schwächen an; einige Sätze wirken ungelenk. Auch hat die Übersetzerin (1940 geboren, Apothekerin, Quelle) offenbar selbst Worte hinzugefügt: Wo es in der englischen Ausgabe heißt, „what Mark Bevir defined as“, wird daraus im Deutschen „was der Akademiker Mark Bevir als […] bezeichnete“. Man fragt sich, wieso hier „der Akademiker“ hinzugefügt wurde, und ob „der Besant-Experte“ oder „der Historiker“ nicht passender gewesen wäre. Derartige Details trüben den Lesefluss.

… und grobe sachliche Fehler

Ich habe das Buch nicht „studiert“, eher mittelaufmerksam gelesen. Aber schon dabei fielen mir eiige Ungereimtheiten auf. Lässlich ist es, wenn sich die Übersetzerin verrechnet und aus der 62-Jährigen, die Autofahren lernt, die 72-Jährige macht (S. 239). Aber auf Seite 84 heißt es:

1891 definierte [G. J. Holyoake] ein neues Konzept, den „Säkularismus“: […]

Das ergibt keinerlei Sinn, wenn das ganze Kapitel davon handelt, dass Annie Besant seit den 70er Jahren „Säkularistin“ war. Und diese Jahreszahl stimmt auch ganz einfach nicht; die englische Ausgabe konstatiert korrekt: „He therefore defined a new concept, secularism, in 1851[.]“

Schlimmer noch ist es, wo die Übersetzung offenbar einfach Zahlen und Fakten erfindet. Auf Seite 129 geht auch wieder eine Rechnung nicht auf, hier heißt es:

Zur Feier des fünfzigsten Jahrestages der 1827 gegründeten [Malthusian League], unter Vorsitz des Ökonomen John Maynard Keynes, lud man Sie als Ehrengast zu einem Essen ein.

Das ergibt wieder keinen Sinn — als Besant-Interessierter weiß man ja, dass der Knowlton-Prozess Anlass für die Gründung der Malthusianischen Liga war. Und nachdem Annie Besant Initiatorin dieses Prozesses war, kann das nicht 20 Jahre vor ihrer Geburt gewesen sein. In der englischen Ausgabe heißt es denn auch korrekt:

She was the guest of honour of the Malthusian League at the dinner organized to celebrate the League’s fiftieth anniversary in July 1927, presided over by John Maynard Keynes. (Englische Ausgabe S. 107)

„Dinner“ wäre vielleicht auch passender als „Feierlichkeit“ statt als „Essenseinladung“ übersetzt wirden, aber naja. Das kann man nun alles als Flüchtigkeitsfehler werten — zitierfähig ist diese deutsche Ausgabe leider nicht wirklich, man müsste alles nochmal nachprüfen. Zumal ich ja gar nicht nach Fehlern gesucht hatte — diese Beispiele konnten einem einfach nicht entgehen, was das Vertrauen in die Ausgabe deutlich schmälert. Offenbar gab es kein (gutes) Lektorat.

Fazit

Das Buch ist sehr lesenswert, deutlich kürzer und aktueller als die Biographie von Nethercot. Und es ist erfreulich, dass zu Annie Besants spannendem Lebensweg weiter geforscht wird und neues Material entsteht. Ich würde aber dringend zur englischsprachigen Ausgabe raten — die deutsche Fassung ist leider ungenügend.


Bonus: Theosophie, Crowley und der „Hermetic Order of the Golden Dawn“

Ich hatte ja ursprünglich angefangen, mich mit Theosophie zu befassen, weil ich die Verschränkung von Esoterik/Okkultismus und Gegenkultur/Subversion spannend fand. Das ging zuletzt ein bisschen unter. Aber ich bin über zwei spannende Datenpunkte gestolpert, die ich hier einfach aufnehme — denn zum Themenkreis Theosophie kommt vermutlich so schnell nichts mehr. Die Lektüre der Besant-Biographie schließt dieses Subprojekt meines Studiums quasi ab.

Crowley stand der Theosophie offenbar wohlwollend gegenüber:

As an interesting sideline here, Crowley was born in 1875, the same year the Theosophical Society was founded. He considered this to be highly significant, since he believed that he, and H. P. Blavatsky had, in certain respects, similar missions.
(David Reigle: Theosophy and the Golden Dawn)

Nicht aber Annie Besant:

Crowley, as a secret servant of the crown, despised Besant. He damned her as a “shameless, nauseating fraud” and worse, a member of the evil Black Brotherhood.
(Quelle „Wondrium“. Mit Vorsicht zu genießen; die Angaben in der FAQ-Sektion sind falsch: Annie Besant wurde erst 1907 Präsidentin der TS, vorher lebte ja Olcott noch. Blavatksy war nie Präsidentin.)

Vielleicht gehe ich diesen Verbindungslinien irgendwann nochmal genauer nach. Dann wäre auch Besants Einfluss auf die moderne Kunst oder die von Pécastaing-Boissière untersuchte Florence Farr interessant. Die war

  • Feministin,
  • Golden-Dawn-Führerin,
  • Yeats-/Pound-/Wilde-Freundin und
  • „bohemian of bohemians“.

Einfach eine verrückt-spannende Zeit.

Der Beitrag Kurzrezension: „Annie Besant: Weisheit und Wissenschaft“ (Muriel Pécastaing-Boissière) erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>
https://dennisschmolk.de/2023/09/26/kurzrezension-annie-besant-weisheit-und-wissenschaft-muriel-pecastaing-boissiere/feed/ 1
Musiksoziologie-Tagung, Gefühle als Symbiosis und Zettelkasten-Integration https://dennisschmolk.de/2023/09/23/musiksoziologie-tagung-gefuehle-als-symbiosis-und-zettelkasten-integration/ https://dennisschmolk.de/2023/09/23/musiksoziologie-tagung-gefuehle-als-symbiosis-und-zettelkasten-integration/#comments Sat, 23 Sep 2023 14:59:17 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=5035 Es muss versucht werden, die Methoden und Begriffe so klar als irgend möglich zu explizieren, damit ihre Unzulänglichkeit und Unvollkommenheit deutlich wird. (Niklas Luhmann auf dem ersten Zettel des zweiten Zettelkastens) Ironischerweise heißt „Ende der Semesterferien“ für mich: Bald habe ich wieder arbeitsfrei! Und: Der kommende Stundenplan steht — jedenfalls fast, denn eine Veranstaltung ist weiterhin „nicht belegbar“ weil „noch unter Vorbehalt“. Der Plan ist nicht so schmuck wie im ... Mehr

Der Beitrag Musiksoziologie-Tagung, Gefühle als Symbiosis und Zettelkasten-Integration erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>
Es muss versucht werden, die Methoden und Begriffe so klar als irgend möglich zu explizieren, damit ihre Unzulänglichkeit und Unvollkommenheit deutlich wird.
(Niklas Luhmann auf dem ersten Zettel des zweiten Zettelkastens)

Ironischerweise heißt „Ende der Semesterferien“ für mich: Bald habe ich wieder arbeitsfrei! Und: Der kommende Stundenplan steht — jedenfalls fast, denn eine Veranstaltung ist weiterhin „nicht belegbar“ weil „noch unter Vorbehalt“. Der Plan ist nicht so schmuck wie im Bauhaus-Kontext, aber auch ganz hübsch. Ich hoffe darauf, dass sich die Inhalte in meine Masterarbeits-Ideen fügen (und werde vermutlich auch nur das besuchen, was sehr unterhaltsam ist oder gut passt).

Ansonsten geht es mit dem digital publishing report Bibliotheken weiter; ich muss nur noch eine handvoll Tage arbeiten vor dem nächsten Sabbaticalabschnitt; und ich komme wieder nicht zu allen Lektüren, die ich mir vorgenommen hatte.

Stundenplan, Sprache, Gefühle

„Sprache und Gesellschaft“ etwa könnte mich näher an mein Thema der Gefühle bringen, denn meine momentane Vermutung ist, dass man eine systemtheoretische Funktionsanalyse von „Emotionen“ gut an einem Emotionsbegriff als „symbiotischer Mechanismus des Mediums Sprache“ aufhängen könnte.

Gefühle binden Soziales an den Körper zurück; vergleichbar der Rückbindung des politischen Mediums „Macht“ durch (staatliche) „Gewalt“ oder von „Geld“ durch „Bedürfnisse“. Nur eben genereller; so, wie sich aus Gesellschaft die Teilsysteme differenzieren und aus der Sprache die symbolisch generalisierten Medien, so differenzieren sich aus „Gefühlen“ die symbiotischen Mechanismen aus. Aber das ist — wie gesagt — bislang eine sehr theoretische Vermutung. Und es fehlt noch die Fragestellung sowie eine Einordnung in eine Disziplin; ich habe damit quasi schon einen gesellschaftstheoretischen Horizont, aber ich würde ja zusätzlich gerne eine historische Dimension einbauen. Vielleicht über den emotionalen Komplex Trauer. Mal gucken.

Das Fußball- und das Geschlechtsseminar, zwischen denen ich mich ja entscheiden oder sie wechselnd „gasthören“ muss, sind eher Interessensbelegungen. Die Forschungswerkstatt ist eine technische Pflichtbelegung — ob ich da hin will/kann/darf/muss, stellt sich noch raus. Die Kritik der politischen Ökonomie könnte spannend, dröge, zu einem anderen Masterarbeitsthema inspirierend oder dann ein Opfer der Zeitplanung werden. Ich berichte.

Insgesamt ist der Stundenplan ziemlich fragmentiert … mal sehen, wie sich das dann im gelebten Semester anfühlt.

Musiksoziologie und Weimar

Da meine Vorüberlegungen zur Tagung „Musik in der spätmodernen Gesellschaft“ etwas lang ausgefallen sind, habe ich sie ausgelagert — wer meine spezifischen Fragestellungen zur Musiksoziologie sowie eine subjektive Lektüreliste lesen mag, bitte hier entlang.

Die Tagung war sehr interessant, als Beobachtung des Wissenschaftssystems wie auch inhaltlich. Neben diversem Faktenwissen und spannenden Phänomenen hatte ich auch ein paar Ideen, wie man Musik vielleicht noch ins Gefühls-Thema einbauen kann: Einerseits als emotionale „Escape-Taste“, wie man den Earphones in öffentlichen Verkehrsmitteln entnehmen kann; hier kann der belastete Gehörsinn sich aus unfreiwilliger Kommunikation entfernen. (Ich höre gerade ein Brandenburgisches Konzert im Zug, während ich das tippe … und das ist dringend nötig. Ein anderer Mensch mit Earphones guckt Videos und lacht in Abteillautstärke.)

Andererseits lässt sich vielleicht ein Werk-als-Form-Begriff finden, der bestimmte emotionale und ästhetische Eigenheiten trägt; Gefühle wären also an spezifische Formen gekoppelt. Aber das ist alles noch nicht ganz spruchreif, wie man merkt.

Ansonsten ein paar kurze Bemerkungen anstelle eines Tagungsberichts:

Fashwave

Hat schon jemand von „Fashwave“ gehört? Das ist 80er-Nostalgie-Synth- oder Vaporwave, der durch Soundschnipsel oder die visuelle Begleitästhetik rechte Themen „trägt“. Wohlgemerkt: Der Musik „selber“, was immer das ist, ist nicht zwingend irgend etwas Faschistoides eigen. Das kann einfach Popcorn-Gedudel sein. Dabei bleibt die eigentliche Verortung oft ambivalent, zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit (auch wenn man letzteres befürchtet). Beispiel (Achtung, nsfw, Nazi-Ästhetik inbound): „Take Back Out Future“. Das „Label“ 2dads.tv (twitter x) ist eher homophil angehaucht, der Inhalt könnte auch parodistisch sein, aber man befürchtet doch, dass die es ernst meinen … aber was?

Straßenmusik

Beobachtet mal, wie eure Stadt mit Straßenmusik umgeht. Ein Tagungsbeitrag befasste sich mit Verordnungen österreichischer Städte; alle eher restriktiv, vor allem in reicheren Stadtteilen und gegenüber Durchziehenden. Und wo der Verkehrslärm nach Belieben wüten darf, wird der Schutz Anwohnender vor Belästigung vorgeschoben, um Straßenmusik zu unterbinden. Nicht „früher war mehr Lametta“, sondern „früher war mehr Musik“.

aesthetics und Weltverdoppelung

Es gibt ein „aesthetics“-Wiki mit hunderten Micro-„Stilen“ (in Ermangelung eines besseren Wortes) und Milliarden Aufrufen. Ich werde nicht ganz schlau daraus, warum es so vieler Micro-Micro-„Genres“ mit eigenem Label bedarf, aber vielleicht gibt ein Schwesterprojekt Auskunft: Im „Personal Aesthetics Wiki“ darf sich ein jedes den eigenen Stil enzyklopädisieren. Wenn hier nicht der Wunsch nach Ausdruck individuellster Besonderheit mit dem nach Vergemeinschaftung aufs Trefflichste vereint ist, weiß ich auch nicht. Und vielleicht dient das auch der Weltverdoppelung durch ein neues Medium (nennen wir es „Internet“), und zwar noch viel umgreifender als bei allen vorherigen Medien …?

Perspektiven

Meine Workshop-Gruppe hieß ja „Funktionen und ästhetische Dimensionen von Musik in der Spätmoderne“. In den vorbereitenden Unterlagen der Workshopleiter wurde daraus „… Funktionen für die Menschen in der Gesellschaft“. Und ich glaube, das zeigt ganz gut, wie sehr sich schon an Begriffen die Perspektiven unterscheiden: Wenn ich soziologisch über „Funktionen“ rede, habe ich ja eher Strukturelles im Sinn, und vor allem auch schon eine implizite Theorie dabei, irgendwas Richtung Durkheim/Weber/Luhmann. Bei den Musikwissenschaftlys wird daraus aber (auch an anderer Stelle) etwas im Bereich Subjektivierung. Generell hatte ich das klare Gefühl, dass Strukturüberlegungen nicht im Fokus standen.

Zettelkasten

Ich vermisse zu oft Inhalte des alten ZK, der auf Daniel Lüdeckes Software lief. Daher habe ich diese nun einfach als Markdown exportiert und in einen eigenen Ordner in den „Hauptkasten“ gepackt. Luhmann hatte ja auch zwei Kästen, die sich aber wohl nie richtig integrieren ließen. So auch in meinen Fällen: Die 1200 Zettel des alten Kastens liegen nun ohne Verknüpfungen — die in der Logik Obsidians („[[Link zu neuem Zettel]]“) anders funktioniert als in der ZK-Software („[z 1]Link zu altem Zettel[/z]“) — und ohne Schlagworte — „Schlagwort:Unterschlagwort“ vs. „#Schlagwort“ — im neuen.

Lustig ist die „Synapsendarstellung“, die ich nun in Obsidian anzeigen lassen kann. Es sieht so aus, als wäre meine Denkwolke umgeben von einer Milchstraße unverbundener Einzelgedanken.

Das ist aber auch okay so. Wenn ich Inhalte eines alten Zettels brauche, editiere ich diesen und füge ihn mittels Schlagworten, Links etc. in die neue Struktur ein. Was dann in ein paar Jahren noch unverbunden im alten Kasten liegt, kann ignoriert werden. Doof ist, dass ich für den alten Kasten nie ordentlich bibliographiert habe: Die Literatur ist nicht in JabRef und damit nicht in der bibtex-Datei gepflegt. Wenn etwas also wichtig ist, muss ich es nun nachpflegen.

tbc.

Scam-SMS

Ich habe eine Scam-SMS von 0176 85992708 bekommen. Angeblich kommt heute der Gerichtsvollzieher, um meinen Hausrat zu pfänden, weil eine Steuerschuld nicht beglichen ist. Erst dachte ich mir, ich ignoriere das, weil … naja, wer fällt schon auf sowas rein.

Ich habe dann aber doch mal die BIC MODRNL22XXX nachgeschlagen, die zur „MODULR FINANCE B.V.“ führt, einer niederländischen Bank. Und ich habe deren Customer-Support kontaktiert, der nach weniger als 4 Stunden reagierte. Sie „have blocked the account in question with immediate effect and also referred this report to our compliance team“. Ich frage mich ja ein bisschen, wie das genau läuft und ob ein gesperrtes Konto nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. (Beunruhigenderweise frage ich mich gar nicht mehr, woher die meine Nummer hatten.)

Wahlomat

Es ist mal wieder eine Wahl. Ich bin da bekanntermaßen skeptisch (siehe: Soll ich ungültig wählen?) Aber einen Wahlomat kann man ja trotzdem machen. Bei mir landete die „Partei der Humanisten“ und Die Linke fast gleichauf auf dem Spitzenplatz. Das wundert mich, denn:

Die Partei der Humanisten hat eine Unvereinbarkeitsliste. Dies soll nach eigenen Angaben Probleme mit extremistischen Mitgliedern, wie sie z. B. die Piratenpartei gehabt habe, unterbinden. Unter anderem sind die AfD, JA, Pegida, sogenannte Reichsbürger sowie Die Linke, Antifa-Bewegungen und Querdenker-Gruppierungen auf dieser Liste. Aber auch religiöse Gruppen wie die Zeugen Jehovas, Opus Dei oder Salafisten können vom Parteibeitritt ausgeschlossen werden. [Wikipedia]

Der Wahlomat warnt zwar, dass Platzierungen nicht auf inhaltliche Nähe schließen lassen, aber dass ich nun fast gleichrangig hohe Übereinstimmungen mit zwei Gruppierungen habe, von denen eine die andere für das große Übel hält, ist schon seltsam. Die Humanisten sind mir allerdings insgesamt zu liberal, auch wenn ich die Farben schön finde.

Irritierenderweise teile ich mit der AfD (37,8%) mehr als mit der CSU (33,3%). Insgesamt liegt das bürgerliche Lager aber sehr abgeschlagen unter 45%. Das tut der Identität sehr wohl!

Ich habe allerdings auch zu bestimmt einem Drittel der Fragen „neutral“ gewählt; entweder, weil ich keine Meinung habe; nicht weiß, welche Position zu welchen Ergebnissen führen würde; oder weil ich die These nicht verstanden habe. Etwa:

These 9 von 38: 29-€-Ticket für alle
Für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs in Bayern soll es ein 29-€-Ticket für alle geben.

An sich: Ja. Aber was bedeutet das für das Deutschlandticket — ist das ergänzend, ersatzweise, unabhängig davon? Ich wäre für freien ÖPNV oder von mir aus ein DT für 29 Euro. Ein Ticket, das nur in Bayern gilt, wäre ja wieder ein Rückschritt.

Also: Wahlomat ist ein lustiges Spiel, aber man sollte davon keine wichtigen Entscheidungen abhängig machen. (Ob nun die Stimmvergabe bei dieser Wahl „wichtig“ ist, kann ein jedes für sich entscheiden.)


Beitragsbild: Stundenplan der Bauhaus-Studys, fotografiert im Bauhaus Museum Weimar.

Der Beitrag Musiksoziologie-Tagung, Gefühle als Symbiosis und Zettelkasten-Integration erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>
https://dennisschmolk.de/2023/09/23/musiksoziologie-tagung-gefuehle-als-symbiosis-und-zettelkasten-integration/feed/ 5
Musiksoziologie: Lektüren vor der Tagung in Weimar https://dennisschmolk.de/2023/09/20/musiksoziologie-lektueren-vor-der-tagung-in-weimar/ https://dennisschmolk.de/2023/09/20/musiksoziologie-lektueren-vor-der-tagung-in-weimar/#comments Wed, 20 Sep 2023 14:57:58 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=5061 Es liegt nahe, danach zu fragen, welches Potential Pop als Methode für die Soziologie bereitstellen mag. Wenn es richtig ist, dass Pop sich nicht zuletzt durch eine besondere Vorliebe für Oberflächen auszeichnet, dann würde sich damit das Programm einer oberflächlichen Soziologie ankündigen. Beregow/Stäheli , „Soziologie“, in Handbuch Popkultur (s.u.) Zur Vorbereitung der Konferenz „Musik in der spätmodernen Gesellschaft“ lese ich gerade recht eklektisch Ausführungen zu Musik und Soziologie und Musiksoziologie. ... Mehr

Der Beitrag Musiksoziologie: Lektüren vor der Tagung in Weimar erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>
Es liegt nahe, danach zu fragen, welches Potential Pop als Methode für die Soziologie bereitstellen mag. Wenn es richtig ist, dass Pop sich nicht zuletzt durch eine besondere Vorliebe für Oberflächen auszeichnet, dann würde sich damit das Programm einer oberflächlichen Soziologie ankündigen.
Beregow/Stäheli , „Soziologie“, in Handbuch Popkultur (s.u.)

Zur Vorbereitung der Konferenz „Musik in der spätmodernen Gesellschaft“ lese ich gerade recht eklektisch Ausführungen zu Musik und Soziologie und Musiksoziologie. Mir war z.B. gar nicht bekannt, dass Norbert Elias Mozart-Vorträge gehalten hatte, aus denen dann ein Buch wurde (Rezensionen aus der konkret und von Ingo Mörth).

Der Fall Mozart

Was ist hier der Fall? Ein Widerspruch von Werk und Leben, ein proto-bürgerlicher Komponist, der aber mit seinem Werk im höfischen Musikbetrieb und der adeligen Ästhetik verbleibt, der nicht individuell, genial, „persönlich“ komponiert, sondern nur virtuos. Aus einer der Rezensionen: Er und sein Librettist da Ponte waren „bürgerliche Menschen, aber aristokratische Künstler“. Mozart „wollte weder sich selbst ausdrücken noch die formalen Mittel erweitern, er wollte überleben“. Während in Literatur und Philosophie durch Bücher bereits das neue, bürgerliche Publikum erreicht werden konnte, war der Musikbetrieb (und vermutlich auch die bildende Kunst?) mit seinem Mäzenatentum dagegen noch sehr strukturabhängig vom Adel. Und daher blieb Mozart den alten Wegen und Formen verhaftet.

Was steckt dahinter? Ein mutloses Individuum, wie Elias meint? Aber ist das soziologisch befriedigend? Was können wir soziologisch überhaupt von Musikanalyse erwarten?

Grundfragen

Musiksoziologie scheint mir kein sehr kohärentes Feld — man könnte etwas polemisch formulieren, dass es sich hier eher um eine dieser Spezialsoziologien handelt, die erlauben, DFG-gefödert den eigenen Leidenschaften nachhängen zu können. Daher formuliere ich mal meine beiden Grundfragen so:

  • Was zeichnet „Musik-Kommunikation“, also die Kommunikation durch und mit und über Musik, aus? (Ist Musik Kommunikation, oder — mit Peter Fuchs — nur „Entlastungsgenuss“?)
  • Welche Funktion(en) erfüllt Musik für Gesellschaft — und wie ganz genau tut sie das?

Vielleicht spezifischer:

  • In welchem Verhältnis steht der „Gehalt“ der Musik zur „Funktion“? Kann man anhand von Kompositions-, Aufführungs-, Verbreitungs-, Rezeptions-, Kritikpraxis Rückschlüsse auf die Gesellschaft oder auf gesellschaftliche Teilsysteme, Organisationen oder Interaktionssysteme ziehen?
  • Was meint „Gehalt“ jeweils überhaupt — Tonmaterial, Melodie, Harmonik, Instrumentierung, Satzformen, Faktur, Notation, Intertextuelles, „inhaltliche“ Themen in Libretti oder Lyrics (die Zauberflöte und Freimaurerei!) …? Oder eher die Ästhetik, also etwas Sinnliches, Emotionales, auch Körperliches bei Schaffenden und Rezipierenden?
  • Geht es „nur“ um Geschmack im Habitus-Sinne — also um soziale (Klassen-, Geschlechter-, Generationen-) Distinktion durch unterschiedliche Wahrnehmungen und (Hörstil-) Präferenzen? Hätte es höfischen Hip-Hop oder Hippie-Fugen geben können, oder war das vom Gehalt der Musik ausgeschlossen? (Gut, es gab ja quasi Hippie-Fugen.)
  • Ist es nun wichtiger, dass sich die Musik unterscheidet, oder wie sie sich unterscheidet?

Konkretere Einzelfragen (Recherchenotiz für später!)

Und dann habe ich eine ganze Reihe konkreterer Fragen:

  • Wie verhalten sich Geniekult und Massenproduktion, Handwerk und Kunst, geniales Individuum und Künstlerkollektive, Schlafzimmerproduktion als Selbstausdruck und Playlist-Influencermärkte zueinander?
  • Welche Markt- und Machtdynamiken bestehen zwischen Produzierenden und Rezipierenden, Künstlerin und Publikum? Wie hat sich das verändert? Warum?
  • Welche Rolle spielt Technologie bei der Entwicklung musikalischer Formen? Wenn man mehr Kontrolle über abwechslungsreiches Timbre hat, braucht man dann weniger ausgefeilte Melodien und Harmonien? Befreit elektronische Musik von vergeschlechtlichten oder rassifizierten Zuschreibungen?
  • Ist vor allem die Musik der eigenen Jugend als Distinktionswerkzeug wichtig, die auch nachhaltig den lebenslangen Geschmack prägt? Oder geht es mit Alfred Schütz nicht um Distinktion, sondern um Gemeinschaftsbildung, um „mutual tuning-in“? Oder um beides?
  • Streben Rezeption und Produktion heute immer weiter auseinander? (Im Bürgertum und zu Zeiten der Hausmusik konnte, wer sich rezeptiv mit Musik befasst, meist auch spielen oder singen.)
    • Was bedeutet es, dass heute vor allem fertige Tonaufnahmen vorliegen, keine Noten/Partituren mehr (die dann inzwischen von Online-Diensten rekonstruiert werden)? Komposition, Interpretation, Produktion, Distribution fallen in eins.
    • Was nicht mit hinein fällt: Die Rezeption! Die Rezipierenden bekommen nicht mit, wie das Werk entstanden ist, und die Produzierenden nicht, was daraus wird.
    • Was auch fehlt: Die Analyse! Wie analysiert man etwas, wovon man nur DAtenstream oder CD mit Booklet hat, nicht aber das „Skelett“ Partitur?
    • Ist „Musikmachen“ etwas für Kinder, wozu im Erwachsenenleben den meisten der „Resonanzdraht“ oder schlicht die Zeit verloren geht?
  • Wem „dient“ die Musik (nachdem sie heute nicht mehr vornehmlich Religion oder Politik zu dienen scheint)? „Dem Individuum“?
    • Dient sie vorrangig dem Markt (als Produkt, aber z.B. auch als emotional management tool)?
  • Wie stehen Emotionen und Musik zueinander?
    • Wieso resoniert Krach, oder auch — wie beim Metal — weinerlicher Krach, unangenehme Sinneseindrücke? (Ich habe ja auch schon mal gefragt: Wieso resoniert Horror?)
    • Wieso fasziniert (manche Menschen jedenfalls) die Vorstellung einer Musik, die absolut fremdartig bis un-vernehmbar ist? (Ich habe letztes Jahr versucht, dem durch eine Analyse von „unaussprechlicher“ Musik im Cthulhu-Mythos nachzugehen.)
  • War die bürgerliche Epoche mit ihrer Musik eine Ausnahmephase und nähern wir uns heute eher wieder den prä-bürgerlichen Strukturen, aber mit hoffnungslos ausdifferenzierten Geschmäckern, an? (Abkehr vom Geniekult; Abkehr vom Vernunftglauben; Gebrauchsmusik und Dauerbeschallung; verteiltes Kickstarter-Mäzenatentum; Vereinheitlichung der Formen auf den „Song“; …)
  • Musikalische Inhalte sind, laut Dirk Baecker, im Gegensatz zu sprachlichen nicht negierbar: Ich kann Musik kritisieren, aber sie nicht widerlegen. Musik fokussiert auf unmittelbare, nichtsprachliche, unwiderlegbare Wahrnehmung; selbst in Opernpausen wird meist nicht über die eigentliche Musik gesprochen, höchstens über Vorlieben oder Empfindungen (Quelle: Erfahrung). Welcher Funktion dient das?

Soweit, so gut. Ein großes Feld.

Literatur

Bei der Literaturrecherche fiel mir dann auf: Es gibt gar nicht so unglaublich viel zum Thema Musiksoziologie. Meine Fundstücke:

  • Natürlich gibt es Max Webers „Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik“ (1921). Habe ich auch für meinen Powi-Essay über Musik in der chinesischen Philosophie zitiert.
  • Ein Abschnitt im „Handbuch Spezielle Soziologien“ geht auf die Musiksoziologie ein — ich finde es faszinierend und bezeichnend für die Soziologie, dass es so ein Handbuch überhaupt gibt … Die Lektüre dieses Abschnitts würde ich als Einstieg sehr empfehlen.
  • Im „Handbuch Popkultur“ geht es sehr viel um Musik, insbesondere Einzelgenres (interessanterweise fehlt „Jazz“). Lesenswert ist der Abschnitt zur „Musikwissenschaft“, in der laufend kritisch auf die Soziologie (und ihren eher ambivalenten Einfluss durch Adorno) verwiesen wird. Auch der Beitrag „Soziologie“ ist interessant und nennt sogar eine Publikation zum „Funktionssystem Pop“ (kein Wunder, er ist u.a. von Urs Stäheli).
  • In „Gender und Neue Musik“ kann man sich fragen, wo heute eigentlich eine auch nur in Ansätzen breitenwirksame Avantgarde hin ist und einiges über Nachkriegs-E-Musik lernen. (Naja, und auch über Genderthemen, aber das verrät ja der Titel schon.)
  • Überraschend unterhaltsam fand ich das Querlesen von „Mit Adorno im Tonstudio“. Hier wird empirisch anhand einer Hardcore- und einer Jazz-Albenproduktion modernes Musikmachen analysiert, mit theoretischen Grundlagen von Adorno, Bourdieu u.a. Der Schwerpunkt liegt auf dem „Raum Tonstudio“, aber man lernt auch etwas über die Frage, ob „industrielle“ Musikproduktion zur Formelhaftigkeit, Episodenhaftigkeit führt etc. Vielleicht lese ich das irgendwann nochmal intensiver.
  • Bei Springer gibt es eine Studie „Praktiken des Komponierens“. Darin wird dem „tacit knowledge“ von österreichischen Komponierenden nachgegangen – wer sich für (E-Musik-lastige) Produktionsbedingungen und -weisen interessiert, könnte hier fündig werden.
  • Die Springer-Reihe „Musik und Gesellschaft“ hat u.a. je einen Band „Roads to Music Sociology“ und „Musikhören im Zeitalter Web 2.0“. Ersteres ist ein Sammelband, und ich glaube, hier steckt viel drin.

Zwei Erwähnungen mit direktem Bezug zur Konferenz:

  • Von einer der Referentinnen der Weimarer Tagung, Sarah Chaker, gibt es den Sammelband „Analyzing Black Metal“ und ein paar andere Schriften über harte Musik. Leider kommt darin nichts zu Lovecraft vor, soweit ich das sehe. Auf der Konferenz spricht sie über Regulierungspraxis in Bezug auf Straßenmusik.
  • Von Hartmut Rosa, der auf der Tagung über Musik als Resonanzsphäre spricht, habe ich ein paar Folien zu diesem Thema gefunden.

Ich werde nach der Konferenz vielleicht berichten, welche meiner Fragen geklärt werden konnten. Kurzer Konferenzbericht.

Coda

Das Schlusswort bekommt Katharina Inhetveen, mit dem wiederum Schlusswort ihres Aufsatzes zur „Musiksoziologie“ im erwähnten Handbuch der speziellen Soziologien (S. 336):

Im Blick der Soziologie erscheint Musik keineswegs als etwas an sich Gutes oder auch nur Harmloses. Gleichzeitig wird die Musiksoziologie angesichts ihrer schwachen Institutionalisierung bis auf weiteres darauf angewiesen bleiben, dass sich Soziologinnen und Soziologen aus Liebe zur Musik dieser speziellen Soziologie widmen.


Anhang: Was meinen ChatGPT und Bard?

Beide Sprachbot-Antworten haben gemeinsam, dass sie in keinem Wort auf die Inhalte und Gehalte der Musik eingehen. Das finde ich spannend. Prompt war jeweils: „Please summarize the current discourse on the sociology of music.“ Wo man vor 15 Jahren jede Recherche mit der Wikipedia begann, um dann von dort aus zu versuchen, etwas zu verstehen, kann man heute bei den Bots anfangen.

ChatGPT

[Wie man den ersten Ausführungen entnehmen kann, experimentiere ich  gerade ein bisschen mit GPTs „Custom instructions“ und habe dem lieben Bot verraten, dass ich mich für die Welt soziologisch interessiere. Die Antwort ist nicht ganz befriedigend, aber man kann ja nachfragen.]

Certainly, as a sociologist, you’re likely interested in the current discourse on the sociology of music. Here’s a comprehensive summary:

The sociology of music is a dynamic field that examines the role of music in society, exploring how it reflects and influences cultural, social, and political dynamics. Several key themes and debates are prevalent in contemporary discussions:

  1. Music and Identity: Scholars are delving into how music shapes individual and group identities. This includes the role of music in subcultures, ethnic communities, and social movements.
  2. Globalization and Cultural Flows: With the rise of digital technology and globalization, there’s an increased focus on how music transcends borders and influences cultures worldwide. This includes issues of cultural appropriation and hybridization.
  3. Digitalization and the Music Industry: The advent of digital platforms and streaming services has transformed the music industry. This has implications for artists‘ livelihoods, access to music, and issues of copyright and intellectual property.
  4. Music and Social Movements: The relationship between music and protest movements is a rich area of study. Scholars are examining how music has been used as a tool for activism, from civil rights movements to contemporary social justice movements.
  5. Technology and Music Consumption: The impact of technology on how we consume music is a major focus. This includes discussions on streaming platforms, algorithms, and the ways in which music is discovered and shared.
  6. Music and Politics: There is ongoing research on the political dimensions of music, including its role in shaping political ideologies, nationalism, and resistance.
  7. Music and Health: Researchers are exploring the therapeutic effects of music, including its role in mental health, well-being, and its potential as a form of therapy.
  8. Subcultures and Countercultures: The study of music-related subcultures and countercultures continues to be a vibrant area of research, examining how these communities form and express themselves through music.
  9. Music and Technology Innovation: Emerging technologies, such as AI-generated music and virtual reality experiences, are sparking discussions on the future of music production, consumption, and performance.
  10. Music in Everyday Life: Sociologists are examining the role of music in quotidian experiences, from its presence in public spaces to its use in personal rituals and routines.

Given your interest in contrarian ideas and new technologies, you might find it intriguing to explore cutting-edge research at the intersection of music and emerging technologies, as well as unconventional perspectives on how music influences society.

For further reading and in-depth exploration, you can refer to the following sources:

  1. DeNora, Tia. „Music in Everyday Life.“ Cambridge University Press, 2000. Link to book
  2. Hesmondhalgh, David. „Why Music Matters.“ Wiley, 2013. Link to book
  3. Born, Georgina. „Music and the Social: On the Politics of Composition and Improvisation.“ Wesleyan University Press, 2015. Link to book

Bard

[Prompt: „Please summarize the current discourse on the sociology of music.“ Die praktischen Beispiele der Studien finde ich gut, und um sie zu identifizieren, kann man ja wiederum nachfragen.]

The current discourse on the sociology of music is a vibrant and diverse one, with scholars exploring a wide range of topics, including:

  • The production, distribution, and consumption of music in different social contexts
  • The relationship between music and identity, both individual and collective
  • The role of music in social movements and social change
  • The impact of music on social cohesion and social conflict
  • The intersection of music with other social factors, such as race, class, gender, and sexuality

One of the key trends in recent years has been a shift away from the study of music as a fixed and immutable object, towards a more fluid and dynamic understanding of music as a social practice. This shift has led to a growing interest in the everyday experiences of people who make, listen to, and perform music.

Another important trend has been the increasing use of ethnographic methods in the sociology of music. This has allowed scholars to gain a deeper understanding of the social meanings of music in different contexts. For example, one study used ethnography to examine the ways in which music is used to create and maintain social hierarchies in a Brazilian favela.

The sociology of music is also increasingly drawing on insights from other disciplines, such as cultural studies, media studies, and anthropology. This interdisciplinary approach has helped to broaden the scope of the field and to generate new insights into the relationship between music and society.

Here are some specific examples of current research in the sociology of music:

  • One study is examining the role of music in the Black Lives Matter movement. Researchers are interested in how music is used to mobilize and energize participants in the movement, as well as to express the pain and anger of Black people in the face of police brutality and systemic racism.
  • Another study is looking at the ways in which music is used to construct and maintain national identity in South Korea. Researchers are interested in how K-pop music, in particular, is used to promote Korean culture and values around the world.
  • A third study is exploring the impact of social media on the music industry. Researchers are interested in how social media platforms like Spotify and YouTube are changing the way that people discover and consume music.

These are just a few examples of the many exciting and innovative projects that are being undertaken by sociologists of music today. The field is constantly evolving, and new insights are being generated all the time.


Beitragsbild: „modern female scientists playing moog synthesizers in a medieval library, hyperrealistic“, Nightcafe SDXL 1.0/Dennis Schmolk

Der Beitrag Musiksoziologie: Lektüren vor der Tagung in Weimar erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>
https://dennisschmolk.de/2023/09/20/musiksoziologie-lektueren-vor-der-tagung-in-weimar/feed/ 1
Arbeiten weg, Nebenprojekte und Fundstücke https://dennisschmolk.de/2023/09/11/arbeiten-weg-nebenprojekte-und-fundstuecke/ https://dennisschmolk.de/2023/09/11/arbeiten-weg-nebenprojekte-und-fundstuecke/#comments Mon, 11 Sep 2023 13:14:34 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=5020 The moment a man uses a woman’s sex to discredit her arguments, the thoughtful reader knows that he is unable to answer the arguments themselves. (Annie Besant, Autobiography, p. 315) Hier passiert nicht viel, was auch daran liegt, dass viel passiert. Die Hausarbeiten sind fertig und abgegeben (2-3 Wochen vor der Frist, siehe unten). Ansonsten gab es schöne Ausflüge mit Freundys in die Natur, Spielerunden und Kleinkram für Nebenprojekte. Aktuelle ... Mehr

Der Beitrag Arbeiten weg, Nebenprojekte und Fundstücke erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>
The moment a man uses a woman’s sex to discredit her arguments, the thoughtful reader knows that he is unable to answer the arguments themselves.
(Annie Besant, Autobiography, p. 315)

Hier passiert nicht viel, was auch daran liegt, dass viel passiert. Die Hausarbeiten sind fertig und abgegeben (2-3 Wochen vor der Frist, siehe unten). Ansonsten gab es schöne Ausflüge mit Freundys in die Natur, Spielerunden und Kleinkram für Nebenprojekte.

Aktuelle Lektüren: Sarah Bakewells „At The Existentialist Café: Freedom, Being, and Apricot Cocktails“ (NZZ-Rezension) sowie einige emotionshistorische Texte von Ute Frevert und anderen. Auf letztere habe ich nun wieder mehr Lust, nachdem das vom „Arbeitszwang“ der Seminararbeit befreit ist.

Jedenfalls: Bis auf Lohnarbeit, ein paar digital-danach.de-Termine (s.u.) und die Arbeit am nächsten Bibliotheksheft habe ich jetzt Semesterferien!

Pkw-Dichte

Pkw-Dichte im Jahr 2022 erneut auf Rekordhoch

In Deutschland gibt es trotz öffentlicher Debatten über eine Verkehrswende immer mehr Autos. In den vergangenen zehn Jahren ist die Pkw-Dichte durchgehend gestiegen. (Destatis)

… was auch beweist, dass man von einem Irrweg nur sehr schwer runterkommt.

d.d-Vorträge

Totgesagte leben länger. Obwohl ich schon vor über einem Jahr gebloggt habe, dass ich unschlüssig bin, ob das „Nebenprojekt“ digital-danach.de weitergeführt oder beerdigt werden soll, tut sich immer wieder etwas. Anfang September gab es zwei kleine Vorträge, und im Oktober sind wir nach Wien eingeladen — direkt vor dem Semesterstart.

Und weg mit den Arbeiten!

Letzte Woche habe ich sowohl die Briefe-Hausarbeit als auch die Theosophie-Arbeit abgegeben — per Mail und per Post.

Theosophie-Arbeit fertig

Die Arbeit mit dem Titel „To the realisation of the Brotherhood of Man. Annie Besants politisches Denken zwischen säkularem, fabianistischem und theosophischem Sozialismus“ ist fertig — es möge sich wie immer jede und jeder melden, der sie lesen möchte. Abstract:

„Annie Besant (1847–1933) legte in ihrem Leben mindestens vier unterschiedliche Bekenntnisse ab: Von einer gläubigen Christin wurde sie erst zur atheistischen Free-Thought-Advokatin, dann zur fabianistischen Sozialistin und schließlich zur bekanntesten Theosophin nach Helena Blavatsky mit starkem Hang zum Hinduismus. Individuelle Wahrheitssuche und Spiritualität mischten sich bei ihr mit karitativen, sozialreformerischen und kollektivistisch-sozialistischen Ideen. Sie war herrschaftskritisch, eine begnadete Agitatorin und Publizistin, dabei aber immer latent elitär. In der vorliegenden Arbeit wird diesen und anderen Spuren ihres Denkens gefolgt, um sie in einem (vermeintlichen?) Spannungsfeld von Religion und Sozialismus zu verorten.“

Aussprache Annie Besant

Ich habe drei Aussprachen gehört bislang: „Bä-sooohn(g)“ (französisch), BESS-ant (Betonung auf der ersten Silbe), Bie-ßANT (Betonung zweite Silbe). In einem Theosophie-Wiki fand ich folgenden Hinweis:

Still legally married to Frank, up to his death in 1917, Annie Besant was obliged to keep her married name, but she modified the pronunciation, moving the stress from the second to the first syllable.

Daher gehe ich aktuell davon aus, dass sie sich selbst als „Misses BESS-ant“ vorgestellt haben dürfte. Die französische Aussprache scheint nicht sehr verbreitet gewesen zu sein (und eher in kolonialen Kontexten), und offenbar war „Bie-ßANT“ mit Betonung auf der zweiten Silbe die Aussprache, die sie ablegte. Wieder was gelernt.

Was mir noch fehlt

Zwei Fragen haben sich mir auch nach der Lektüre diverser Sekundärtexte nicht erschlossen:

  1. Wie hat sie gelebt? Wie muss man sich ihre indische Existenz vorstellen — war sie vor allem in Oberschichtskreisen und an ihren Schulen unterwegs, in Salondiskussionen und Redaktionskonferenzen?
  2. Wovon hat sie gelebt? Weder aus den Auto- noch aus den Biographien habe ich erschlossen, woher sie ihren Oberklasse-Lebensstil finanzierte (sofern sie diesen denn hatte — vielleicht war sie ja ganz protestantisch-hinduistisch-asketisch unterwegs). Hatten die Buchverkäufe der 1870er–90er so viel abgeworfen? Gab es ein Erbe? Spenden und Unterstützung? Schulämter? Zahlte die Theosophical Society ein „Ehrenamts-Gehalt“ an die Vorsitzende?

Ich bin mir sicher, hierzu gibt es Hinweise. Vielleicht wende ich mich Annie Besant ja später noch einmal zu und finde dann weitere Antworten.

Schreiben ist sooooooo schwer …

Jede fertiggestellte Arbeit erscheint post festum als unüberwindlicher Berg: Wie hat man es geschafft, das zu besteigen, und wird man es je wieder hinbekommen? Umso schwerer, wenn der Text nach eigenem Befinden gut geworden ist: Wird man es je wieder so gut hinbekommen? Aber das ist ein Problem für die nächsten Semesterferien.


Beitragsbild: Selbsterklärend.

Der Beitrag Arbeiten weg, Nebenprojekte und Fundstücke erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>
https://dennisschmolk.de/2023/09/11/arbeiten-weg-nebenprojekte-und-fundstuecke/feed/ 3
Mitten in den Semesterferien … https://dennisschmolk.de/2023/08/27/mitten-in-den-semesterferien/ https://dennisschmolk.de/2023/08/27/mitten-in-den-semesterferien/#comments Sun, 27 Aug 2023 12:03:28 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=4989 »Eine Vorstellung, wie die Gesellschaft gut oder auch nur besser sein könnte, habe ich gar nicht. Ich finde, dass unsere Gesellschaft mehr positive und mehr negative Eigenschaften hat als jede frühere Gesellschaft zuvor. Es ist heute also zugleich besser und schlechter.« (Luhmann, AuW, 139) Die Zeit verfliegt. Im August waren wir einige Tage wandern — bei 30° und meist praller Sonne, also schon ab dem Vormittag durchgeschwitzt. Das war schön, ... Mehr

Der Beitrag Mitten in den Semesterferien … erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>
»Eine Vorstellung, wie die Gesellschaft gut oder auch nur besser sein könnte, habe ich gar nicht. Ich finde, dass unsere Gesellschaft mehr positive und mehr negative Eigenschaften hat als jede frühere Gesellschaft zuvor. Es ist heute also zugleich besser und schlechter.«
(Luhmann, AuW, 139)

Die Zeit verfliegt. Im August waren wir einige Tage wandern — bei 30° und meist praller Sonne, also schon ab dem Vormittag durchgeschwitzt. Das war schön, aber ich würde nächstes Mal wieder eher auf eine Oktoberwanderung bauen (sobald „Oktober“ nicht mehr „Semesterstart“ bedeutet, freilich).  Danke, Sabine, für die Urlaubs-Orga 🙂 Generell mag ich Sommer ja sehr gern, und der momentane Herbsteinbruch gefällt mir gar nicht. Aber sei’s drum, die Arbeitsatmosphäre ist vermutlich konzentrierter so …

Im August passierte hier nicht allzuviel, aber falls es jemandem durchs Aufmerksamkeitsraster gerutscht sein sollte: Ich habe ein bisschen was zu Luhmanns Biographie gebloggt. Außerdem habe ich inzwischen (positives, aber auch im besten Sinne kritisches und vor allem ausführliches) Feedback zu meiner Blavatsky-HA aus dem Wintersemester bekommen.

Und: Ich plane, im September zur musiksoziologischen Tagung „Musik in der spätmodernen Gesellschaft: Krisen – Chancen – Transformationen“ nach Weimar zu fahren und habe mich für Workshop 3 („Funktionen und ästhetische Dimensionen von Musik in der Spätmoderne“) angemeldet. Ich werde berichten!

Das Programm fürs Wintersemester

Wenn alles glatt läuft, werde ich 4 (nominell: 5, aber 2 davon sind zur gleichen Zeit) Seminare besuchen, von denen ich eigentlich nur 2 brauche und nur in einem eine Prüfungsleistung ablegen muss. Und zwar:

  • Sprache und Gesellschaft, Di 16-18
  • Zur Funktion und Bedeutung des Fußballsports in der (Spät-)Moderne, Mi 10-12 (nur belegt, weil bei Hartmut Rosa!)
  • Theorien des Geschlechts, Mi 10-12 (leider überschneidet sich das mit dem Fußballseminar)
  • Knappheit und Überfluss, Mi 12-14 (das kann man noch gar nicht belegen, denn es ist „unter Vorbehalt“ im VL-Vz. Ich weiß nicht, warum.)
  • Wissenschaftstheorie und Kritik der politischen Ökonomie, Fr 10-12

Briefe-Arbeit

Wer die Arbeit lesen mag, möge sich melden.

Backroom Games und Liminal Spaces

The entire point of the backrooms is that you’re supposed to be terrified of the idea of an impossible, endless, EMPTY labyrinth of recognizable nauseating rooms and the fear of the unknown keeping you wondering whether or not you’re alone. (reddit)

Kaum steht eine Hausarbeit (s.u.) an, beginnen plötzlich andere Dinge, mein psychisches System zu faszinieren und Aufmerksamkeit abzuziehen. Es gibt ein kleines, kurzes Flick Flack zu „Liminal Spaces: Die Gruselräume im Internet“, was sich v.a. auf Backrooms Games bezieht.

Das Phänomen begann mit einem creepypasta-Post über unheimliche (oder besser: eerie, mit Mark Fisher?) Räume. Unheimlich, weil sie unpassend leer oder verlassen wirkten. Daraus wurde dann ein erfolgreiches Horror-Kurzvideo („Found Footage“) und es entstanden jede Menge Games dazu. Kein Wunder: Man braucht nicht allzu viel dafür — ein paar bröckelige Texturen und eine Idee, wie man endlos große Levels produziert, reichen.

Anschlüsse und Assoziationen

Warum ist das nun erfolgreich? Es mag tiefe psychologische Gründe geben (s. die Künstlerin im Flick Flack-Beitrag), aber ich vermute, es liegt auch an den explorativen (und ansonsten wenig anspruchsvollen) Mechaniken und dem offenen Erzähluniversum (s. Resonanzreflexion). Jedenfalls kann man darüber viel nachdenken, da kommen Mark Fisher (weird/eerie), Anthropologie (Liminalität, Übergangsriten), Lovecraft (weird, cosmic) und der Mythos (Tindalos!), Derrida (Hauntology), Lacan/Zizek (the „Real“), Hofstadter (strange loop!), Heterotopie (und damit Einsamkeit und Exklusion, obwohl es eigentlich eine falsche Inklusion ist — und auf schreckliche Weise gar nicht einsam), Alice in Wonderland (rabbit hole!), Populär-Metaphysik (Inception, Matrix, ggf. Half-Life), Einsamkeit/Verbindungslosigkeit/Depression, … in den Sinn. Passenderweise sprach ich mit Vince gerade auch über Räume als emotionale Atmosphären …

Weiterlesen

Wer weiterdenken mag:

  • Philosophie-Post auf reddit
  • A Maze of Terror – The Backrooms Series Explained
  • Verwandtes Phänomen: Die SCP Foundation (quasi Warehouse 13 on Speed und mit einigen Parallelen zur letzten AHLCG-Kampagne, „The Scarlet Keys“)
  • Ein „Guide“, jeweils in die Innensicht des Backrooms-Mythos und eine Außensicht aufgeteilt
  • [Update 2024] Bei NON gibt es einen sehr kurzen Artikel, der die Backrooms interpretiert als „represent[ing] the reproduction of capitalism into the imaginary“.

Die Flick Flack-Sendung ist auf jeden Fall ihre 4 Minuten wert. Ein weirdes Phänomen. Und: Ich frage mich jetzt, warum ich mich in meinem Zimmerchen für eine gelbe Tapete entschieden habe …

Theosophie: Annie Besant, Match Girls‘ Strike, Faschismus als politische Form des Okkultismus

Es geht dank Bibliotheks-Session (Wiso) voran, auch wenn dieser Blogpost hier das Gegenteil suggeriert … Die Fragestellung: Wie positioniert sich das politische Denken Annie Besants zwischen Religion und Sozialismus?

Das ist spannend, denn aus der ehemals säkular-antireligiösen (eigentlich: antichristlichen) Feministin Besant wurde dann eine wichtige Person der Theosophie und Führungsfigur der Theosophical Societey (Adyar, also der Zweig, der von Blavatsky und Olcott herrührt). Meine These ist nun: Sowohl am Anfang, als sie in britischen Gewerkschafts- und Streikzusammenhängen agitierte, als auch später, als sie gegen das imperialistisch-koloniale Raj-Regime in Indien opponierte, blieben ihre Überzeugungen und Zielsetzungen „sozialistisch“.

Arbeiterinnenrechte, Verhütungsmittel, Konversion

Zurück zu den Anfängen und ihrem Kampf für Birth Control, Zugang zu Verhütung etc:

Besant “probably knew the views of the working classes better than all the other leading socialists of her day put together.” And, as the country’s first major figure to publicly endorse birth control, she was also one of the first socialist thinkers to count housework and childcare as part of the labor both for which women should be rewarded and from which they should be freed. (Jacobin)

Eine interessante historische Verortung. Der Artikel würdigt Besant als Arbeiterinnenrechtlerin, verschweigt aber das für mich zentrale Thema: die Konversion zur Theosophie. Diese ereignete sich interessanterweise nur kurz nach dem (vielleicht von ihr orchestrierten) „Match Girls‘ Strike“ 1888, nämlich 1889, als sie ein Buch Blavatskys rezensierte. Genau dieser Wendepunkt und die sich damit befassenden Selbstzeugnisse Besant werde ich mir als nächstes vornehmen.

Danke an Sabrina für den Tipp, in diesen GaG-Podcast zum Match Girls‘ Strike reinzuhören!

Timeline Annie Besant

Außerdem habe ich eine kleine Timeline gebastelt:

Ereignis Religion Polit. Ziele Wo
1847 Geburt C? UK
1867 Heirat mit einem anglikanischen Pastor, zwei Kinder C? UK
1873 verlässt den Pastor nach u.a. Glaubensstreitigkeiten C? UK
1874 beginnt, für National Secular Society zu schreiben Sec Fem UK
[1875] [Gründung der Theosophical Society durch Blavatsky und Olcott] UK
1877 kämpft für Recht auf Geburtenkontrolle, publiziert Verhütungs-Apologetik – und wird dafür verfolgt Sec Fem UK
[1877] [Isis Unveiled erscheint]
1878 Verliert das Sorgerecht an ihren Kindern an den Ex-Mann, v.a. wegen ihrer areligiösen und feministischen Ansichten Sec Fem UK
1879ff Studium (v.a. Naturwissenschaften) Sec Fem UK
Ab 1885 Identifikation als Sozialistin (fabianistisch, weniger marxistisch) Sec Fem, Soz UK
1885 Publikation: „Autobiographical Sketches“
1887 Beteiligung am Bloody Sunday (irischer Aufstand) Sec Soz, Irish HR UK
1888 Beteiligung am Match Girls’ Strike (Aufstand von Streichholzfabrikantinnen); wird ins London School Board gewählt Sec Fem, Soz UK
[1888] [The Secret Doctrine erscheint]
1889 Berichtet über London Dock Strike (eher streik-avers); rezensiert Blavatsky und konvertiert Th Fem, Soz UK
1890 Trifft Blavatsky Th Fem, Soz UK
1891 Blavatsky stirbt; Besant wird zu einer der wichtigsten Führerinnen der TS Th Fem, Soz UK
1893 Reist nach Indien; die TS spaltet sich (US vs. Adyar) Th Fem, Soz India
1893 Publikation: „An Autobiography“
1894f lernt Leadbeater kennen; v.a. mystische Orientierung; Th Fem, Soz India/UK
1898 erste Schuldgründung in Indien Th Fem, Soz India
1902 Beschäftigung mit weiblicher Freimaurerei, mehr Mystik Th Fem, Soz India/UK
1906 Leadbeater-Skandal (Apologetik der Masturbation, Homosexualität, …) Th Fem, Soz India/UK
1907 Olcott stirbt, Besant wird Präsidentin der TS
1909/10 Lernt Krishnamurti kennen und nimmt sich seiner an („World Teacher“) Th Fem, Soz India
1914 Beginnt, sich für Indische Unabhänigkeit zu engagieren; WWI Th, H IHR, India
1916 Mitgründung der Indian Home Rule League, Widerstand gegen den Raj Th, H IHR, Fem, Soz India
1917 Verfolgung und Inhaftierung; Gandhi schreibt für ihre Freilassung; Dezember: Erste Präsidentin des Indian National Congress Th, H IHR, Soz India
1919 Laut Wessinger 2013: Ende der politischen Karriere in Indien nach missverstandenen Kommentaren zum britischen Amritsar-Massaker Th, H ?
1929 Krishnamurti lehnt Rolle als „World Teacher“, die beiden bleiben aber bis 1933 befreundet Th, H ? India
1933 Stirbt in Indien Th, H ? India

C = Christentum
Sec = Säkularismus
Th = Theosophie
Hin = Hinduismus
IHR = Indian Home Rule
Fem = Feminismus
Soz = Sozialismus


Featured Image: Kurz vor Harburg.

Der Beitrag Mitten in den Semesterferien … erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>
https://dennisschmolk.de/2023/08/27/mitten-in-den-semesterferien/feed/ 2
Semesterferien-Update: Die zweite Mündliche, Verträge und Güterstände https://dennisschmolk.de/2023/08/10/semesterferienupdate-vertraege-und-gueterstaende/ https://dennisschmolk.de/2023/08/10/semesterferienupdate-vertraege-und-gueterstaende/#comments Thu, 10 Aug 2023 06:11:45 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=4908 Wer mit einem Telefon zu kommunizieren versucht („Hör auf zu klingeln!“), begeht eine Systemverwechslung, denn man kann nur mittels eines Telefons kommunizieren. (Luhmann, Das Recht der Gesellschaft) Es fragt sich, ob das noch stimmt, oder ob die gegenwärtige Technologie nicht genau derartige Systemverwechslungen bewusst implementiert; immerhin kann man den meisten Telefonen heute wirksam zurufen, dass sie das Klingeln einstellen mögen. (Oder das Beispiel ist einfach schlecht gealtert.) Andererseits haben wir ... Mehr

Der Beitrag Semesterferien-Update: Die zweite Mündliche, Verträge und Güterstände erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>
Wer mit einem Telefon zu kommunizieren versucht („Hör auf zu klingeln!“), begeht eine Systemverwechslung, denn man kann nur mittels eines Telefons kommunizieren.
(Luhmann, Das Recht der Gesellschaft)

Es fragt sich, ob das noch stimmt, oder ob die gegenwärtige Technologie nicht genau derartige Systemverwechslungen bewusst implementiert; immerhin kann man den meisten Telefonen heute wirksam zurufen, dass sie das Klingeln einstellen mögen. (Oder das Beispiel ist einfach schlecht gealtert.) Andererseits haben wir es dabei ja auch mit Computern zu tun — und zu denen sagte Luhmann: „Die einzige Alternative zur strukturellen Kopplung Bewußtsein/Kommunikation, die sich gegenwärtig bereits andeutet, aber unschätzbare Folgen haben würde, ist der Computer.“ (GdG I, S. 117)

Die Semesterferien ziehen schnell ins Land. Mal wieder Zeit für ein Zwischenupdate! Ich stelle fest, dass ich mir zwischendurch ziemlich viel notiert habe, was jetzt einfach in dieses Update wandert. Ich bitte, Inkonsistenzen durch Nachfrage in den Kommentaren oder über die üblichen Kanäle zu begegnen. Ansonsten geht es jetzt verstärkt an die Letztkürzung der Briefe-Hausarbeit, bald bekomme ich die letzte Note aus dem ersten Semester und dann muss ich noch irgendwie Kontakt zu den Dozentys meiner anderen zu verfassenden HA herstellen. Der hat bislang nämlich noch nicht geklappt.

Und noch ein Linktipp: Katja hat sich als Kriegsberichterstatterin teilnehmende Beobachterin in einen Aida-Cruise werfen lassen. Ye, who enter here … sehr lesenswert! Und mir wurde versprochen, dass in diesem Blog noch mehr kommen wird.

Prüfung E&G: Ehe, Eheverträge, Illusionen und die Reproduktion sozialer Ungleichheit

Vorweg: Die Prüfung lief sehr gut. Abzug in der B-Note (ohne Einfluss auf die Gesamtnote) gab es für mein Illusionen-Konzept, das ich kohärenter hätte ausarbeiten können (true). Die Herleitung meiner Idee:

Haushalte reduzieren Vermögensungleichheit. Es ist plausibel, anzunehmen, dass dies vor allem an ehelich geteiltem Vermögen liegt und eine Auflösung der Ehe die Ungleichheit in den Vermögen (partiell) wiederherstellt, unabhängig davon, wie die Gleichheitsvorstellungen und -aushandlungen bei Anbahnung der Ehe, Eheschließung und während der Ehe gestaltet waren. Angesichts hoher Scheidungsraten (143.000 Scheidungen auf 358.000 Eheschließungen 2021, Statista-Dossier „Hochzeit und Ehe in Deutschland“) ist bei Ungleichheitsüberlegungen zur Ehe der Fall der Scheidung zwingend zu bedenken. Der gesetzliche Güterstand und die damit einhergehenden Trennungsfolgen (Zugewinnausgleich) wirken, da sie nicht vergeschlechtlicht sind, zunächst neutral. Hierbei wird aber die bereits vor der Eheschließung bestehende Asymmetrie der Parteien ausgeblendet.

Die Illusionen (das Kernstück)

Verschiedene Faktoren, insbesondere ein romantisches Liebesideal und die Praktiken rund um die Ehe (etwa des „doing wedding“ und „doing marriage“) blenden sowohl Asymmetrien als auch das Scheidungsrisiko systematisch aus. Unterschiedliche Verteilungen der Erwerbs- und der Care-Arbeit, insbesondere bei der Erziehung von Kindern, werden häufig als freiwillige Beziehungsarrangements verstanden, auch wenn sie strukturell gefördert und bedingt sind (Arbeitsverhältnisse, Steuerrecht, Betreuungsmöglichkeiten).

Unter einer Illusion verstehe ich dabei zunächst aus der Kommunikation kontrafaktisch ausgeschlossene Sachverhalte. Dazu gehören

  • die Ewigkeitsillusion (die von empirischen Scheidungsraten konterkariert wird),
  • die Romantisierungsillusion (die ausblendet, dass es sich bei der Ehe ob mit oder ohne Ehevertrag immer um einen gravierenden zivilrechtlichen Vertrag handelt),
  • die Interessensymmetrie-Illusion (dass es z.B. beiden Parteien um ihren größtmöglichen ökonomischen Nutzen geht und nicht etwa um den Erhalt sozialer Bindungen),
  • die Gleichberechtigungsillusion (die zumeist an steuerlichen und finanziellen Aspekten, Machtasymmetrie oder Betreuungsmöglichkeiten scheitert), sowie
  • die Neutralitätsillusion (die ausblendet, dass vor der Schließung der Ehe bzw. eines Ehevertrags bereits gegenwärtige und erwartbare Asymmetrien existieren).

Insbesondere die Neutralitätsillusion ist problematisch, da sie die Verantwortung für materielle Benachteiligung durch den geschlossenen Vertrag dem jeweiligen Rechtssubjekt aufbürdet.

Diese Illusionen sind als Erwartungsstrukturen (Erwartungserwartungen) stabilisiert. Damit dienen sie u.a. der Reduktion interaktiver Komplexität und sind dadurch für die Kommunikation attraktiv — paradoxerweise gerade für große und komplexe Entscheidungen wie die über den Lebensweg „bis dass der Tod uns scheide“.

Feedback aus der Prüfung, dem ich nur zustimmen kann: Spannend wäre jetzt, sich anzusehen, wie diese Illusionen aufeinander wechselwirken — also wie die Neutralitätsillusion etwa auf die Romantisierung rückwirkt etc. Well, maybe next time!

Ein paar systemtheoretische Überlegungen

(Die folgenden Überlegungen habe ich in der Prüfung weggelassen — weil ich selber noch nicht überzeugt bin und weil dafür die Zeit wirklich nicht gereicht hätte.)

Bei Ehe(verträge)n handelt es sich auch um eine Komplexität, Kontingenz und damit auch Anschlussfähigkeit reduzierende Kopplung von Intim- und Rechtssystem. Das Problem in Liebesbeziehungen ist nun u.a., dass hier der Unterschied von ganzen Personen (Intimsysteme inkl. Geschlecht) und Rollen (Funktionssysteme wie Recht) verwischt wird; die sozialen Adressen sind je andere, und unterschiedlich vergeschlechtlicht. Die Neutralitätsillusion ist möglicherweise eine der komplexitätsreduzierenden Strategien, die inzwischen im Umweltkontakt aber nicht mehr ohne problematische Nebenfolgen implementiert werden kann — und daher eines funktionalen Äquivalents bedarf.

Eheverträge würden prinzipiell eine Möglichkeit bieten, die blinden Flecken von Beziehungsarrangements zu beheben (etwa der Gestaltung als Gütergemeinschaft). Im Gegenteil ist empirisch aber anzunehmen, dass Eheverträge eher geschlossen werden, um das Vermögen der vermögenderen Beziehungspartei zu schützen, als die weniger vermögende Partei im Trennungsfall abzusichern.

Tabuisierung: Ein medialer Widerspruch von Geld und Liebe

Meine Thesen gehen ja von „Illusionen“ aus, die über der materiellen Basis von Ehe-Vertragsverhältnissen liegen. Diese Illusionen aufzudecken ist mehr oder weniger tabuisiert. Eine Rolle dabei könnte der „mediale Widerspruch“ von Geld- und Liebessemantik spielen. Gleichzeitig könnte es praktische Probleme in Intimsystemen geben, wenn diese auf die „Knappheitsressource“ Geld umstellen: Man darf über das gemeinsame Nest Egg sprechen, aber die Romantisierung und die Illusion symmetrischer Interessen verbieten es, zu thematisieren, dass es auch einen Ausgleich zwischen den Beteiligten geben kann, soll oder muss.

Diese Semantiken bestehen vor allem aus Erzählungen, die Rollen und Erwartungserwartungen zementieren (wer kann Kinder lieben, wer kann ein Loch in die Wand bohren). Insitutionelle Reglements (Recht, Sozialpolitik, Familienpolitik) orientieren sich an diesen Rollen — aus beiden Gründen sind sie sehr stabil.

In der Realität sind diese Unterschiede in den Ausgangsbedingungen (Vermögen, Verhandlungsmacht, …) aufgrund der verschiedenen Gender-Gaps vergeschlechtlicht: Die scheinbar neutrale „Standardlösung“ benachteiligt Frauen und führt zu wirtschaftlichen Nachteilen bis hin zur Altersarmut. Verschiedene Ansätze kritisieren diese „Neutralitätsillusion“, etwa die „Feminist Relational Contract Theory“. Und genau da würde ich weitermachen, wenn ich das Thema nochmal vertiefen sollte …

Weitere interessante Funde aus meinen Seminarmitschriften bei der Prüfungsvorbereitung

  • Der Vermögens-GINI von Haushalten liegt (leicht) unter denen der beteiligten Individuen – das heißt: Haushalte (empirisch: Ehen, Beziehungen) reduzieren Ungleichheit (leicht)
    • Plausible Hypothese: Eine wichtige Rolle dabei spielt geteiltes Immobilienvermögen
  • Das noch immer auftretende Phänomen, dass Männer eher „nach unten“ heiraten (wobei auch ein recht konstanter Alterunterschied von 2-3 Jahren eine Rolle spielen dürfte) ist erklärungsbedürftig. Liegt hier eine Funktion der Ungleichheit? (Hat Ungleichheit [immer] eine Funktion oder ist sie [manchmal] nur Nebenfolge?)
  • Es gibt ein Perspektivproblem: Einerseits besieht man sich Paare, andererseits spezifisch den weiblichen Part innerhalb eines Paars.
  • Fragt man nach der „Wahrheit“ der biologischen Zweigeschlechtlichkeit (also: gibt es ggf. mehr als zwei biologische Geschlechter?) verliert man das Problem aus dem Blick, dass hiermit der Wissenschaftsdisziplin Biologie eine Deutungsmacht über soziale Verhältnisse zugebilligt wird. Diese Uminterpretation von „Wissenschaft“ ist gar nicht unähnlich der Umdeutung von Mythen: Wenn man Eva als Befreierin statt als Sünderin versteht, beglaubigt dies gleichsam den Mythos, den man ja auch kritisieren könnte.
  • Welche Rolle spielt Vertrauen? Welche vertrauensbildenden Äquivalente finden wir, wenn wir nicht mehr auf die radikale Komplexitätsreduktion zweier Geschlechter und der ihnen zugerechneten Statuszuschreibungen zurückgreifen können?
  • Bei Paaren, in denen das Einkommen stark unterschiedlich verteilt ist, wird eher zusammen verwaltet; bei Vermögen ist es umgekehrt: Wenn es abweicht, wird es getrennt verwaltet. Das hat natürlich Implikationen für Ausgleich nach der Scheidung, Altersvorsorge etc.

Theorie und Praxis der Auswirkungen des gesetzlichen Güterstandes

Bei der Vorbereitung stieß ich auch auf Sophie Rotinos „Der gesetzliche Güterstand im europäischen Vergleich“ (PDF). In diesem Bericht werden die gesetzlichen Güterstände (bei uns: die Zugewinngemeinschaft), also der „default-Vertrag“, den die Ehe darstellt, in Bezug auf „Gleichstellungsdimensionen“ verglichen. Hierbei wird im Wesentlichen zwischen

  • Errungenschaftsgemeinschaft (tendenzielle Gütergemeinschaft) und
  • Partizipationsgemeinschaft (tendenzielle Gütertrennung, wie die Zugewinngemeinschaft in Deutschland)

unterschieden. Die Fragen: Wer hat während der Ehe schon Zugriff auf Einkommen und Vermögen? Wann passiert ein eventueller Ausgleich? Welche Rolle spielen individuelle Autonomie vs. gegenseitige Solidarität in der Konzeption?

Wenig überraschend kommen die „Errungenschaftsgemeinschaften“ theoretisch (!) besser weg: „Denn durch die Gütertrennung während der Ehe im Rahmen der Zugewinngemeinschaft hat diejenige oder derjenige, die oder der zugunsten der Familie auf ein eigenes Einkommen verzichtet, keine Möglichkeit Vermögen zu bilden oder zu verwalten.“ (S. 15) Wobei man einwenden kann: verwalten heißt nicht kontrollieren, wie man an Studien zum Geldmanagement in Paaren beobachten kann.

Allerdings scheint die Empirie das nicht nahezulegen. Eine recht interessante Tabelle legt den „Gender Equality Index“ neben die gesetzlichen Güterstände, kommt dann m.E. aber nicht wirklich zu einem Ergebnis. Oben rangieren Länder mit „Gütertrennung mit aufgeschobener Gütergemeinschaft“ (also Partizipationsgemeinschaften wie der Zugewinngemeinschaft) sowie die Niederlande mit der „Universalgemeinschaft“; die untere Hälfte machen Errungenschaftsgemeinschaften aus. Es liegt also fast schon nahe, zu sagen, dass der gesetzliche Güterstand nicht besonders wichtig ist — sondern dass es vielleicht eher um kulturelle Leitbilder geht.

Mangelnde Aufklärung?

Nun fragt sich natürlich auch noch, ob es die kulturellen Vorstellungen eines Landes sind, die die Wahl eines „Property Regimes“ befördern, oder umgekehrt derartige institutionelle Rahmenbedingungen die kulturelle Gleichstellung prägen. Das ist eine ganz praktische Frage: Denn wenn es von der Kultur unabhängig ist, könnte man ja einfach individuell als Paar eine ehevertragliche Lösung wie in Skandinavien wählen, und fertig wäre der Schritt zur „Gleichstellung“. Darüber müsste man dann nur entsprechend aufklären.

Diese Frage harrt der Beantwortung. Allerdings ist anzunehmen, dass Aufklärung sowieso nicht schadet, denn:

Die meisten verheirateten Paare (89 % der in Zugewinngemeinschaft lebenden Paare) gehen fälschlicherweise von einem gesetzlichen Güterstand in Deutschland aus, der vielmehr der Errungenschaftsgemeinschaft oder Gütergemeinschaft als der Zugewinngemeinschaft ähnelt (BMFSFJ 2014: 48 ff.) (S. 21)

Es ist so, als wüsste man nicht, wie viele Tage Urlaub und wie viel Gehalt man laut Arbeitsvertrag hat; als würde man über das Gehalt nicht verhandeln; und als wäre man sich nicht bewusst, dass ein Arbeitsverhältnis für gewöhnlich nur ein Arrangement auf Zeit ist. Vielleicht bräuchten wir ein Güterstandmodell, das eher wie ein Arbeitsvertrag funktioniert und auch als solcher angesehen wird …?

Und was ist ohne Kinder?

Ohne Kinder spricht nach Einschätzung der Autorin übrigens nichts gegen die Zugewinngemeinschaft:

Sind jedoch beide Eheleute voll berufstätig und haben keine Kinder (DINKs: double income no kids) so scheint die Zugewinngemeinschaft durchaus attraktiv. Beide sind völlig frei in der Verwaltung ihrer Vermögensgüter, haben jeweils kein Mitspracherecht und auch die Schuldenhaftung ist klar geregelt

Es fragt sich dann freilich, wieso man überhaupt heiraten sollte (bzw. anders: ob es für kinderfreie Ehen Steuervorteile geben sollte). Nach Ansicht der Autorin widerspricht jedenfalls das Konzept der Zugewinngemeinschaft tendenziell der verfassungsgemäßen Vorstellung der Ehe als „partnerschaftliche und gleichberechtigte Gemeinschaft eines Ehepaares“; denn hier wird die Teilhabe am „gemeinsam“ Erwirtschafteten ja erst bei Auflösung der Ehe realisiert.

Steuer

Zurück zu institutionellen Fragen: Wie mache ich meine Steuererklärung? Ich bin damit noch nicht fertig, aber ein Problem, das sich stellte:

Ist dieses Studium nun eine Weiterbildung „in Vollzeit“? Das hat große Implikationen. Dann kann man nämlich keine Verpflegungspauschalen ansetzen (weil das als an der „ersten Tätigkeitsstätte“ erfolgend gewertet wird), aber Fahrtkosten müssten dennoch gehen … es ist reichlich kompliziert, und ich schraube meinen Anspruch zurück — Hauptsache, das wird irgendwie passend eingetragen.

In den Semesterferien arbeite ich 28 Stunden; während des Semesters 0. 2022 habe ich also über 20 Durchschnittsstunden pro Woche gearbeitet, 2023 werden es weniger (5/12*28h=11,66 Stunden pro Woche). Wenn ich das richtig interpretiere, kann ich für 2022 also nur die tatsächlichen Fahrtkosten anrechnen, da ich nur bei einer Vollzeittätigkeit die Pauschalen nutzen dürfte. Dafür entfallen dann 2023 die Verpflegungspauschalen, weil die bei Vollzeitweiterbildung nicht zum tragen kommen. Uff.

Sehr hilfreich für diese Pauschalen für 2022 ist übrigens meine Tabelle, in der ich erfasse, welche Tage ich in Jena verbracht habe. So kann ich auf einen Blick sehen, dass ich im Oktober 2022 12 Tage „ganz“ in Jena war und 3 Tage teilweise (An- bzw. Abreisetag). Im November bin ich oft gereist — 12 Tage voll-, 6 Tage teilanwesend. Und im Dezember war ich bis zur Weihnachtspause immer dort (15 vollanwesende Tage). Sowas finde ich immer ganz spannend, denn dadurch kommt der Steuererklärung ja quasi auch eine Tagebuchfunktion zu …

Funny stuff: Eine „Schulunfähigkeitsversicherung“ ist steuerlich abzugsfähig. Was es nicht alles gibt …


Beitragsbild: „The only good system … is a soundsystem.“ Aufgenommen beim Warten auf die Prüfung in der Uni Jena.

Der Beitrag Semesterferien-Update: Die zweite Mündliche, Verträge und Güterstände erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>
https://dennisschmolk.de/2023/08/10/semesterferienupdate-vertraege-und-gueterstaende/feed/ 1
Briefe – Schreiben – Briefeschreiben https://dennisschmolk.de/2023/07/31/briefe-schreiben-briefeschreiben/ https://dennisschmolk.de/2023/07/31/briefe-schreiben-briefeschreiben/#comments Mon, 31 Jul 2023 06:52:14 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=4882 „Im Brief vermag man die Abgeschiedenheit zu verleugnen und gleichwohl der Ferne, Abgeschiedene zu bleiben.“ (Adorno, „Über Walter Benjamin“, 1970, S. 83) Ich dachte mir, ich muss hier ja auch mal ein Adorno-Zitat bringen. Obwohl ich gerade eine Luhmann-Zitatesammlung lese und entsprechend genügend schärfere Munition hätte. Apropos Munition: Cory Doctorow hat eine sehr umfassende Analyse (u.a.) des State of the Autoindustrie geschrieben, aus der man sehr viel lernen kann. Etwa: ... Mehr

Der Beitrag Briefe – Schreiben – Briefeschreiben erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>
„Im Brief vermag man die Abgeschiedenheit zu verleugnen und gleichwohl der Ferne, Abgeschiedene zu bleiben.“
(Adorno, „Über Walter Benjamin“, 1970, S. 83)

Ich dachte mir, ich muss hier ja auch mal ein Adorno-Zitat bringen. Obwohl ich gerade eine Luhmann-Zitatesammlung lese und entsprechend genügend schärfere Munition hätte.

Apropos Munition: Cory Doctorow hat eine sehr umfassende Analyse (u.a.) des State of the Autoindustrie geschrieben, aus der man sehr viel lernen kann. Etwa: Dinge sind selten, wie sie scheinen (die Auto-Industrie könnte dafür verantwortlich sein, dass ihr länger auf eure neue Waschmaschine warten musstet, weil Autohersteller die gekauft und wegen der Chips (!) ausgeschlachtet haben.) Oder: Die Industrie produziert digital aufgeblähte Auto-Alpträume („enshittified“), die eigentlich niemand haben will („drivers hate all the digital bullshit“). Warum? Und wieso funktioniert das? Oder: Hat Amazon mehr kapitalistische oder mehr feudalistische Strukturmerkmale? Und wie hängt das mit der Autoindustrie zusammen? Nun kann man mal wieder sagen: Toll, dass ich kein Auto habe! Aber man kann ja noch mehr lernen (über Software-Abos, Drucker, Staubsaugerroboter, Thermomixe, Insulinpumpen, Ventilatoren for instance). (via fefe)

Nun fragt sich freilich: (Wie) kann man verhindern, da reingezogen zu werden? In einer technisierten Welt vermutlich gar nicht. Auch daher passt ein Adorno-Zitat hier vielleicht ganz gut hin.

Zeitwahrnehmung

Es ist verrückt, dass jetzt schon der Juli vorbei ist. Eine Prüfung ist geschafft, die andere rückt immer näher; noch zwei Monate für die Hausarbeiten, und auch diese gehen voran. Nebenbei jede Menge Freizeitstress und wieder 4 Tage Arbeit. Wegmarken ziehen vorbei, ohne dass ich das so richtig realisiere, und gleichzeitig fühlt es sich so an, als wäre letzte Woche noch Seminar gewesen. Falls ich doch etwas über Resonanzerfahrungen und Sabbaticals mache, muss ich diese „Zeit-Stimmung“ näher analysieren.

Leider kommt das Blog zu kurz – zumal ich ein paar gute Ideen für längere Artikel habe. Ich merke aber auch, dass gerade ein bisschen die Luft raus ist und ich froh bin, mich alltagspraktischeren Themen zuwenden zu können.

Nochmal ein kurzer Rückblick

Ich will schon seit Wochen versuchen, alle meine Veranstaltungen abschließend „zusammenzudenken“. Dazu ist ein Lerntagebuch ja auch da. Leider auch ein Zeitproblem. Daher nur als Skizze:

  • Themen: Geschlecht, Gefühl, Begehren, Produktion/Konsum/Kapitalismus, Wohnen, (Normal-) Biographie/Normalisierung
  • Theorien: Praxistheorie, Performativität, Systemtheorie (, queer theories/Poststrukturalismus)

Am schönsten gehen all diese Themen eigentlich an den Beispielen aus „Eigenes Haus“ zusammen. Wohnpräferenzen gehen mit vielen Gefühlen einher, beispielhaft seien nur

  • Begehren (eines Lebensmodells, einer Ästhetik; aber auch durchaus im sexuellen Sinne: Das Einfamilienhaus ist die Reproduktionssphäre des pronatalitischen hetero-mono-normativen Modells)
  • und Angst (Abstiegsangst, Konkurrenz)

genannt. Das lässt sich schön mit Bourdieu (Praxen, Habitus) analysieren, zumal es für die Reproduktion sozialer Ungleichheit zwischen Klassen und auch zwischen den Geschlechtern (traditionelle Rollenaufteilung -> Gender Gaps) sorgt. Und es lässt sich aus feministischer, antiakapitalistischer und auch queerer Perspektive kritisieren.

Werbematerialien für dieses Einfamilienhaus betonen einerseits die Begehrenskomponente (Ästhetik), andererseits rationalisieren sie das EFH als clevere Geldanlage (unter Ausblendung diverser Dimensionen, die diese Investition weniger rational erscheinen lassen: Klumpenrisiko, Opportunitätskosten, steigende Transitkosten, Folgekosten). Auch die clevere Geldanlage wird eher affektiv beworben: Ich erinnere an „Mach Schluss mit deinem Vermieter!“ der Bausparkassen und an die Rolle der Gier beim Immobilienerwerb.

Hierbei dient Gefühlskommunikation einerseits dazu, den (Geldzahlungs-) Anschluss erfolgreicher zu machen, andererseits aber eben vor allem auch der Bestätigung des eigenen Lebensentwurfs für die Beteiligten. „Irgendwann muss man eben ins eigene Haus im Grünen ziehen, alleine der Kinder wegen“ ist eher eine gefühlte Wahrheit als eine rationale Erwägung, daher kann man sich ihr auch schlechter entziehen (sofern man selbst entsprechend geprägt ist). Gleichzeitig kann man die Verantwortung für diese Entscheidung a) auf Gefühle, b) auf etablierte Rollen verschieben – und nur so wird die an sich oft enorm irrationale Entscheidung realisierbar. Dafür braucht man auch ein starkes „Management“ der eigenen und der Familienemotionen (und ggf. der Gefühle aller anderen, um auch diese vom Plan zu überzeugen). [N.B.: Das Management von Gefühlen spielt sogar in meinem Essay für die Politische Theorie eine Rolle, insofern durch Musik (auch konfuzianistisch gedacht) Emotionen geschaffen und verändert werden können.]

Dieser Hauskaufplan verpflichtet dann natürlich auf eine recht enge, genaue Vergesellschaftung in Produktions- und Konsumtionssphären. Denn einerseits erfordert der Immobilienkredit natürlich ein dauerhaftes, nie sinkendes Einkommen; andererseits regt das Haus weitere Konsumbedürfnisse an: Auto, Carport, Einrichtung, … Und auch dabei spielen die o.g. Emotionen stets eine Rolle, genauso wie Normalitätsvorstellungen („mit zwei Kindern braucht man dann halt auch zwei Autos“). Wie das von einem Kollektivsubjekt empfunden wird, sehen wir dann z.B. in Annie Erneaux‘ „Die Jahre“: „Der Konsum löste die Ideale von 1968 ab.“

Hausarbeiten, Prüfungen, Briefe

Beim Werkeln für die Hausarbeiten fällt mir wieder die gewaltige Diskrepanz im Arbeitsaufwand für mündliche und schriftliche Prüfungsleistungen auf. Klar, ich mache mir für die Briefarbeit vermutlich deutlich mehr Aufwand als nötig, aber da wandert schon echt viel Zeit und noch mehr Hirn rein. Ich hoffe, es wird sich lohnen. Vielen Dank an Sabine für erstes umfassendes Feedback!

Aktuelles Recherchethema: Mehr Spanien! Es ist gar nicht so leicht, Literatur über das Spanien der frühen 50er Jahre zu finden. 1953 schloss Franco als ersten außenpolitischen Pakt ein „Konkordat“ mit dem Vatikan, was den Schulterschluss von Faschismus und Katholizismus endgültig besiegelte. (Ab Ende der 50er Jahre und nach dem Scheitern der faschistischen Autarkie-Politik übernahm der Opus Dei dann auch relevante Schlüsselpositionen in der Wirtschaft und etablierte eine Art „katholische Arbeitsethik“. Sehr spannend, aber leider außerhalb des Scopes meiner Hausarbeit …)

Fun facts:

  • Die Jungfrau Maria war Ehrengeneral des spanischen Militärs.
  • 1953/54, als mein Großvater in Spanien weilte, war die Inflation ausnahmsweise recht gering – zwischen 1950 und 1960 verdoppelten sich die Preise.
  • In Spanien gab es „kaum Nichtkatholiken (etwa 2000 Muslime, 6000–8000 Juden, 31.000 Protestanten“ (bei ca. 28 Millionen Menschen!!!)
  • Spanien war zunächst sehr isoliert, ehe die USA das Land als faschistisches Bollwerk gegen die Sowjetunion ausbauten.
  • Zwischen der BRD und Franco-Spanien gab es 1951 eine „Orangenkrise“: Spanien war nur bereit, Eisenerz und andere Rohstoffe zu liefern, wenn die BRD wieder so viele Orangen abnehmen würde, wie das Deutsche Reich vor dem Krieg importiert hatte. Offenbar obsiegte die spanische Orange!

Insgesamt muss da leider immer noch sehr viel raus. Da ich eine „Extended Version“ für Friends and Family erstellen will, stehe ich vor dem Problem, so zu schreiben, dass man hinterher leicht ganze Kapitel auskommentieren kann … aber es wird.

Wie sich zum Schreiben bringen?

Nachdem ich diese Woche mehrfach darüber mit Leuten sprach: Ich finde die Pomodoro-Technik sehr praktisch, um sich zu Dingen zu bewegen, vor denen man Angst hat/auf die man keine Lust hat. So geht es mir oft nach längeren Pausen mit der Arbeit an Texten. Die Technik: Man zwingt sich, 25 Minuten konzentriert an der Sache zu arbeiten; dann macht man ebenso verpflichtend 5 Minuten Pause; dann nochmal. Nach 4-5 „Pomodoros“ (so der Name der einzelnen Arbeitseinheit) macht man eine längere Pause.

Ich nehme mir immer „2 Pomodoros“, also eine Stunde, für den Wiedereinstieg vor. Meistens werden dann 4 draus. In den Pausen sollte man darauf achten, sich auch körperlich zu verändern (ein paar Liegestütze, Dampfen auf dem Balkon, …). 25 Minuten kann man das Meiste gut ertragen, das nimmt die Angst.

Magischer Honig

„Wie sich zum Schreiben bringen?“ ist auch der Titel eines Marbacher Magazins zum Thema Stimulanzien und Psychedelika im Schreibprozess, daher vielleicht die folgenden Anmerkungen: Auf dem Balkon blüht gerade wieder das Bilsenkraut (das fast mal einen eigenen Artikel verdienen würde als Sagenpflanze und Hexensalbenzutat, illegale Bier-Ingredienz und einfach schöne Pflanze). Bis dahin sei auf diesen Springer-Artikel und dieses Buch verwiesen

Nun habe ich mich gefragt, ob die Alkaloide des Bilsenkrauts eigentlich auch in Honig übergehen, und siehe da, „bienen.info“ weiß: „Tropanalkaloide wie Atropin und Scopalamin in Nachtschattengewächsen [wie] Bilsenkraut [gehen in den Honig über]. Ihr Sortenhonig verursacht Halluzinationen, Herzklopfen und Benommenheit.“ Es gibt auch einen ganzen Artikel über halluzinogene Honige (u.a. auch von Rhododendron!). Vielleicht kommt daher der eigene Topos vom magischen, gefährlichen, göttlichen Honig (den wir auch bei Walter Moers finden, mit den aleatorisch tödlichen Buchhaimer Honigbroten)?

Generell ist Honig ja sowieso spannend — ein Lebensmittel, das nicht verdirbt. Und ein Lebensmittel, das dem Honey Badger seinen Namen gab. Naja. Ich mag nur den Geschmack nicht.

BibTeX-Support

Randbemerkung zu meinem Workflow: Ich brauche alles immer auch in meinem JabRef, also muss ich für alle Literatur entsprechende BibTeX-Einträge anlegen. Das klappt auch bei Online-Quellen oft ganz gut; auf der Website der bpb versagt aber z.B. die JabRef-Browser-Extension, weil offenbar nicht die richtigen Daten zur Verfügung gestellt werden. Das finde ich irgendwie traurig.

Entsprechend würde ich mir gerne ein Beispiel nehmen und hier vernünftige Daten zur Verfügung stellen. Die Extension klappt auf WordPress-Seiten, aber als Autorenname wird der Benutzername („admin“) übernommen und man kann keine weiteren Felder beeinflussen. Besser als nichts. Ich hätte da gerne mehr Kontrolle drüber, aber ich finde keine gescheiten Plugins (die vielversprechenden haben sowas wie „10+ Installationen“). Offenbar gibt es da kein hinreichendes Interesse. Hat jemand Ideen …?


Beitragsbild: Arbeitskampfbedingt leeres Edeka-Regal. Es gab trotzdem 300g-Tafeln Milka für 1,88, also sooooo schlimm kann es um die deutsche Wirtschaft nicht stehen.

Der Beitrag Briefe – Schreiben – Briefeschreiben erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>
https://dennisschmolk.de/2023/07/31/briefe-schreiben-briefeschreiben/feed/ 4
Ranking der Veranstaltungen des SS 2023 und mehr https://dennisschmolk.de/2023/07/19/ranking-der-veranstaltungen-des-ss-2023-und-mehr/ https://dennisschmolk.de/2023/07/19/ranking-der-veranstaltungen-des-ss-2023-und-mehr/#comments Wed, 19 Jul 2023 05:14:43 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=4862 Gefühle bieten sich an, überschätzt zu werden, weil sie immer und überall beteiligt sind. Das heißt aber noch nicht, dass sie alles erklären! (Kein Zitat, sollte aber eins sein.) Ich schulde ja noch ein paar Rückblicksgedanken zum zweiten Semester, aber irgendwie haben mich Arbeitsstart und Sozialleben in Nürnberg überspült. Letzte Woche gab es ein kleines Adventure-Motiv: Wir waren im neuen Indiana Jones-Teil, der mir recht gut gefiel (der Kritik offenbar ... Mehr

Der Beitrag Ranking der Veranstaltungen des SS 2023 und mehr erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>
Gefühle bieten sich an, überschätzt zu werden, weil sie immer und überall beteiligt sind.
Das heißt aber noch nicht, dass sie alles erklären!
(Kein Zitat, sollte aber eins sein.)

Ich schulde ja noch ein paar Rückblicksgedanken zum zweiten Semester, aber irgendwie haben mich Arbeitsstart und Sozialleben in Nürnberg überspült. Letzte Woche gab es ein kleines Adventure-Motiv: Wir waren im neuen Indiana Jones-Teil, der mir recht gut gefiel (der Kritik offenbar nicht) — was vor allem an „Fleabag“ als Protagonistin neben Harrison Ford lag. Und passenderweise spielten wir auch noch das erste Szenario der Dschungel-Tempel-Mystery-Kampagne „The Forgotten Age“ für AHLCG (Playlist). Entsprechend habe ich ein bisschen mit Stable Diffusion 1.5 rumgespielt:

Man achte darauf, dass da noch sämtliche Extremitäten komisch aussehen. Kurzer Lektüretipp: Psychoanalyse und AI in „The Algorithmic Unconscious“.

Mein Jena-App gehackt

Laut einer Mail wurde die „Mein Jena“-App gehackt – die Mail kam Freitagnacht (!), obwohl der Vorfall wohl am Dienstag aufgetreten war. Mehr weiß man nicht.

Besonders bitter ist das, weil alle Studys, die ein Deutschlandticket als Semesterticket nutzen wollen (ich berichtete), auf diese App verpflichtet wurden. Die App ist technisch eher schlecht, Logins fizzlen oft erstmal, kein Wunder, dass sie gehackt wurde. Aber man kommt nicht um sie rum. So liebt man das: Man wird gezwungen, etwas zu nutzen, dort aber nicht vernünftig geschützt.

Schade, dass man für so etwas keinen IT-Leiter in Haftung nehmen kann – ist ja ein Software-Problem, kann man nichts machen. Bzw. hatte da jemand gaaaaanz viel kriminelle Energie – da kann man nichts machen. Doch, kann man! Genau wie beim Problem Phishing. Ich wiederhole, was ich dort sagte: „Irgendwie läuft da gerade was ganz gehörig schief mit diesem Internet.“ Ich habe jedenfalls mal wütende Mails an den Jenaer Nahverkehr und den Stura geschickt. Vermutlich habe ich in Thüringen nun einen Querulanten-Eintrag in irgend einer Akte.

Ranking

Analog zum ersten Semester soll es auch diesmal wieder ein Ranking geben. Dabei sind Prüfungen bzw. deren Ergebnisse natürlich noch nicht einberechnet. Here goes:

  1. Emotionsgeschichte: Ja, schon wieder ein historisches Seminar auf Platz 1! Das Thema „Gefühle“ war ja eine Art Schwerpunkt dieses Semester, und das Seminar passte hervorragend hinein. Ein guter Überblick über die Forschung – nach einigen Sitzungen hatte man das Gefühl, nun die wichtigsten Akteurinnen und Akteure, Konzepte und Theorien zu kennen. Die Seminardiskussion war fast immer lebhaft und die Exkursion nach Dresden sehr spannend. (Note: 1)
  2. E&G: Sehr, sehr nahe an Platz 1 – sozusagen der empirische Gegenpart zur theorielastigen Gefühlsbeschäftigung des Semesters. Zusammen mit Platz 3 auch ein zweiter Schwerpunkt: Eigentum und Ungleichheit. Immer spannende Diskussionen und viel Bezug zur Lebenswirklichkeit, tolle Atmosphäre, ab und zu zu dünn besetzt. (Note: 1)
  3. Eigenes Haus: Wie Platz 2, nur mit leicht anderem Fokus. Das Highlight waren die Paar-Interview-Ausschnitte aus dem Forschungsprojekt. Die Diskussionen waren ebenfalls sehr lebhaft, aber wegen der oft geringen Teilnehmendenzahl nicht ganz so ergiebig. Im Gegensatz zu meiner anfänglichen Erwartung konnte ich an fast jeder Sitzung teilnehmen; ich habe des Seminars wegen einige andere private Pläne umgeworfen, und das will ja was heißen. (Note: 1-)
  4. AK: Ideale Ergänzung zu Platz 1. Wäre der Eigentums-Schwerpunkt nicht so spannend gewesen, wäre AK auf Platz 2 gelandet. Viele Überschneidungen mit der Emotionsgeschichte (Hochschild, Illouz). Theoriseitig fand ich den Schwerpunkt auf Kritischer Theorie und Neoliberalismus-Kritik interessant, aber vielleicht zu ausgeprägt; ein paar mehr Ansätze mit „leiser Distanz“ (Luhmann) hätten mir gefallen. (Note: 2)
  5. LK: Weitaus besser als der erste Lektürekreis: Besseres Buch, angenehmere Diskussionsatmosphäre (weil weniger Leute da waren). Aber insgesamt bin ich vom Format nicht ganz überzeugt. Es hat nicht so richtig zur Integration des Jahrgangs geführt. (Note: 3+)
  6. KGB: Einige Themen waren spannend, andere nicht so. Manche Konzepte fand ich einleuchtend, andere gar nicht. Ein Wochenende Druckbetankung ist kein sinnvolles Format. Aber die Lektüre von Kevin Floyd möchte ich nicht mehr missen, der Verdinglichungs-Ansatz spielt z.B. auch in „AK“ rein und wird in meine Prüfung dort einfließen. (Note: 3)
  7. RuS: Schade fand ich, dass trotz 4 respektive 3 Teilnehmenden das Seminar relativ distanziert blieb – das hätte man auch irgendwie „nahbarer“ machen können. Die erste Sitzung war recht zäh, die zweite deutlich angenehmer und lebendiger. Inhaltlich war einiges interessant, anderes (Frühsozialisten) hat mich nicht besonders affiziert. Die Betreuung und Organisation war unterirdisch, das kann man nicht beschönigen. Immerhin entsteht wohl eine weitere spannende Hausarbeit überTheosophie. Und: Das ganze Politik-Modul hätte ich mir aber ja auch nicht rausgesucht, es steht halt als Pflicht im Studienplan. (Note: 4+)

Und dann ist da noch Ideengeschichte (VL + Kolloquium): Hat mich terminlich und inhaltlich nicht abgeholt, aber das war vorher klar – aus gutem Grund habe ich 2007/08 nach zwei Semestern den Plan aufgegeben, Politikwissenschaft zu studieren. Der Musik-Essay hat aber Spaß gemacht. Es fühlt sich falsch an, hier eine Note zu vergeben, denn ich kann nur sehr subjektiv sagen, dass mich die außereuropäische politische Ideengeschichte nicht im Ansatz so sehr interessiert hat wie alles andere im Semester.

Prüfungen: Mündliche AK!

Ansonsten prokrastiniere ich das Schreiben an Hausarbeiten, was bedeutet, dass die Wohnung recht sauber ist. Aber wenigstens ein Stündchen sitze ich jeden Tag (außer an meinem Geburtstag) an den Brief-Exzerpten. Ich vermute, es wird eine 25-seitige normale und eine 40-seitige „Extended“-Hausarbeit geben, denn mit zeithistorischen Bezügen, Brieftheorie, Gefühlstheorie und dem ganzen Material aus den Briefen kommt da richtig viel zusammen. Nächste Woche vielleicht mehr.

Am Dienstag hatte ich meine erste mündliche Prüfung ever (wenn man die Verteidigung der Bachelorarbeit 2012 nicht mitzählt), und zwar in AK. Ein paar Sachen fand ich bemerkenswert:

  • Der Aufwand für eine Hausarbeit steht in keinem Verhältnis zum Aufwand für eine Mündliche. Angenommen, man hat alle oder die meisten Texte gelesen, dann braucht man einen Tag für das Thesenpapier, einen Tag für Lektüre und vielleicht noch einen Tag für generelles Wiederholen. Macht drei Tage. Eine Hausarbeit „kostet“ im besten Fall zwei Wochen für Lektüre, Entwurf, Korrektur, Feedback, zweite Korrektur. Eher drei Wochen.
  • Dafür muss man sich damit abfinden, dass sich in 30 Minuten entscheidet, welche Note man für ein komplettes Modul bekommt — immerhin ein Elftel der Gesamtnote des Studienabschluss (10/110 ECTS; ein Modul im Wert von 10 ECTS wird bei uns nicht benotet). Eine Hausarbeit fühlt sich „sicherer“ und kontrollierbarer an.
  • So eine halbe Stunde ist extrem schnell vorbei und man hat das Gefühl, gar nichts gesagt zu haben.
  • Per Zoom ist das irgendwie komisch: Bei mir kam kein richtiges „Prüfungsgefühl“ auf, es hätte auch ein normales Meeting mit eher unvertrauten Personen sein können.

Lief sehr gut, ich hoffe, bei meiner zweiten Mündlichen im August (dann für E&G) wird es genauso.


Beitragsbild: Nürnberg (Symbolbild)

Der Beitrag Ranking der Veranstaltungen des SS 2023 und mehr erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>
https://dennisschmolk.de/2023/07/19/ranking-der-veranstaltungen-des-ss-2023-und-mehr/feed/ 5
Was heißt eigentlich „Spiel“ und „Spielen“? https://dennisschmolk.de/2023/07/12/was-heisst-eigentlich-spiel-und-spielen/ https://dennisschmolk.de/2023/07/12/was-heisst-eigentlich-spiel-und-spielen/#comments Wed, 12 Jul 2023 06:46:14 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=4848 Mal wieder so ein Zwischengedanke, den ich für mich festhalten will (Lerntagebuch!) und der vielleicht auch jemand anderen interessiert. Ob es diese Woche noch mehr Studiencontent gibt, kann ich noch nicht sagen — das wird zwischen den Semestern sowieso alles etwas weniger werden … Also, in medias res: Wovon reden wir eigentlich, wenn wir vom „Spielen“ reden? Alles in einen Topf Anlass ist wieder die Gendered Gaming-Ausstellung, die ich am Sonntag ... Mehr

Der Beitrag Was heißt eigentlich „Spiel“ und „Spielen“? erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>

Mal wieder so ein Zwischengedanke, den ich für mich festhalten will (Lerntagebuch!) und der vielleicht auch jemand anderen interessiert. Ob es diese Woche noch mehr Studiencontent gibt, kann ich noch nicht sagen — das wird zwischen den Semestern sowieso alles etwas weniger werden … Also, in medias res: Wovon reden wir eigentlich, wenn wir vom „Spielen“ reden?

Alles in einen Topf

Anlass ist wieder die Gendered Gaming-Ausstellung, die ich am Sonntag ein zweites Mal und zur Kuratorinnenführung besuchte. Vorher surfte ich ein bisschen (per Uni-VPN mit Vollzugang) auf Statista herum. Und dabei fiel mir auf, dass alles in einem Topf landet (s.a. die Statistik-Zusammenfassungen unten):

  • Eltern spielen Brettspiele mit ihren Kindern. („Eltern“ werden dabei übrigens als „Lebensphase Familie“ verstanden, die auf die Lebensphasen „Singles“ und „Paare“ quasi zwangsläufig folgen. Heteronormative Beziehungsrolltreppe, ick hör dir trappsen …)
  • Menschen spielen Handygames im Bus oder im Büro.
  • Gamer spielen 16 Stunden WoW am Tag. (Sorry, ich weiß nicht, was aktuell wirklich gespielt wird, an WoW erinnere ich mich halt noch.)
  • Kinder spielen
  • Eine bayerische Familie mit Kindern Anfang 20 spielt Schafkopf.
  • Großeltern kaufen Spielzeug als Geschenk. (Das ist natürlich kein „spielen“ im engen Sinne.)
  • Ich spiele mit meiner Frau die nächste Arkham-Horror-Kampagne.
  • Freunde zocken am Kellertisch DnD.
  • Jemand fährt auf ein Magic-Turnier, um sich für die Pro Tour zu qualifizieren. (Gibt’s die PT noch?)
  • Vier Freundinnen befreien sich aus einem Escape-Room.
  • Jemand verdient den Lebensunterhalt durch Online-Poker.
  • Auf einer Geburtstagsfeier wird „Die Siedler von Catan“ gespielt.

Spielen und Märkte

Es gibt also eine ganze Reihe von „Märkten“: Geschenke, Kinderunterhaltung, Erwachsenenunterhaltung, Unterhaltung mit Freunden, kompetitive Märkte, App-Märkte, Spielwarenmärkte etc. Die durchdringen sich gegenseitig, haben aber ggf. sehr wenig miteinander zu tun. (Auch in den älteren Generation wird zwar vermehrt auf Smartphones gezockt, aber die Überschneidung von „Großeltern spielen Schafkopf“ und „16 Stunden WoW“ dürfte gering sein.) N.B.: Damit sind wir noch nicht bei „allgemeinen“ Spielbegriffen wie bei Huizinga angelangt, sondern befinden uns nach wie vor im kommodifizierten Konsum-Bereich „Spielen“ in der Freizeitsphäre. Wir haben auch noch nicht zwischen „Play“ und „Game“ unterschieden.

Dass es so viel um Konsum geht, liegt a) an der Konstitution kapitalistischer Gesellschaften und b) daran, dass Sozialempirie halt meistens Marktforschung ist, professionelle Beobachter also vor allem diesen Bereich beobachten; ein Bias, den man im Kopf behalten sollte.

Auch die bewusste Nürnberger Ausstellung vermengt vom Kinderspiel mit Puppen bis zur spezifischen Ästhetik von Dungeons-and-Dragons-„Expertyspiel“-Games alles mögliche. Und wenn das alles im selben Topf landet, ist es kein Wunder, dass quasi „jede und jeder spielt“. Man braucht ein bisschen mehr Präzision. Wie? Erste Intuition: Wir gucken auf …

… funktionale Äquivalente

Spielen basiert in vermutlich nahezu jeder Definition auf einer Idee von Freiheit. Spielen ist ein Gegenteil von Zwang, oder anders: Dass man spielt ist weder notwendig so noch unmöglich. Also sind wir in einem Bereich der Kontingenz. Und das heißt, wir können uns funktionale Äquivalente angucken. Wer spielt, könnte stattdessen auch anderes tun, um … ja: Wozu spielen wir eigentlich?

Ich wage mal die These: Jeweils geht es um das Füllen von Zeit, meistens von Freizeit. Damit müssen wir noch nicht unterstellen, dass es immer um Langeweile, also das Leiden an unstrukturierter Zeit geht (auch wenn Spielen sicherlich eine der besten Anti-Langeweile-Strategien ist und das für die Konsumförderung auch ausgenutzt wird).

Was also sind funktionale Äquivalente, durch die man in den obigen Beispielen „Spielen“ ersetzen könnte? Mir fallen ein …

  • andere Geschenke (Bücher, Strickzeug)
  • andere Unterhaltung im Bus (Bücher, Stricken)
  • Arbeiten oder Kaffeetrinken (im Büro)
  • Reden (auf einer Party)
  • Krypto-Zocken (statt Online-Poker)
  • Kinder basteln (statt ein Spiel zu spielen)
  • einen Ausflug machen (statt mit den Kindern Brettspiele spielen)
  • in der Mall abhängen (statt WoW zocken)
  • Netflix bingen (statt WoW zocken)
  • Fernsehen oder ein Buch vorlesen (statt die nächste Arkham-Horror-Kampagne spielen)
  • … und last but not least andere Spiele (PC-Games statt P&P-Rollenspiel, Brettspiele statt Escape Room)

Sieht man vom Online-Poker und vielleicht auch der Magic-Pro-Tour ab, geht es hier jedenfalls nahezu immer um Unterhaltung. Soweit, so trivial. Aber wie lässt sich das unterteilen?

Kategorien der Anschauung

Spielen ist (wie reden, lesen und fernsehen) vermutlich eine Kommunikations-Form. Formen beruhen ja immer auf wiederholten Unterscheidungen (die Theorie erspare ich euch, geht den Gedanken mal kurz mit). Welche Unterscheidungen kommen hier zum Tragen? Ich würde sagen:

  • Spielt man zusammen/allein?
  • Geht es um das Bekämpfen von Langeweile/das Befriedigen einer Neugier?
  • Geht es um das Bekämpfen von Langeweile/die Verbesserung von Skills?
  • Ist es produktiv-kreativ/passiv-komsumtiv?
  • Ist das Spielen Selbstzweck/nutzenorientiert?

Diese Unterscheidungen müssen nicht immer trennscharf sein, es gibt komsumtive Kreativität und vielleicht ist Neugier oft eine Folge von Langeweile (Emotionen!). „Selbstzweck“ ist schwierig: Was ist, wenn man spielt, weil die andern spielen? Oder um sich in einer Gruppe zu behaupten?

Gemeinsames

Es muss nun zwischen den Formen auch Gemeinsamkeiten geben, schließlich hätten wir sonst nicht diesen gemeinsamen Begriff und könnten sagen, dass „mehr gespielt“ wird als früher. Zwei Gemeinsamkeiten hatten wir schon:

  • Es geht um Freiheit/Freiwilligkeit.
  • Es geht sehr häufig um Konsum.

Zusätzlich würde ich festhalten:

  • Es gibt eine soziale Bewertung der Kommunikationsform „Spielen“, und die hat sich gewandelt.

Auch bei Erwachsenen ist Spielen in der kulturellen Semantik nicht mehr negativ besetzt, sondern im Gegenteil positiv: als Selbstausdruck, als Ausdruck von „Lockersein“ etc. Das mag an der Kommodifizierung und entsprechenden Anreizen der Industrie liegen, das Spielen zu befördern, oder an unserem Authentizitäts- und Emotionalitätsregime oder der Gesellschaft der Singularitäten, die freie Vergemeinschaftungsmodi braucht, oder, oder, oder — auf jeden Fall ist es so.

Darüber dürfen wir nicht vergessen, dass es weiterhin Unterschiede gibt, etwa zwischen den Generationen oder auch vergeschlechtlichte Unterschiede; Spielen hat also z.B. mit „doing gender“ und „doing ageing“ usw. zu tun, insbesondere, wenn man beginnt, zwischen verschiedenen Sub-Formen von Spielen zu unterscheiden.

Offene Fragen

Was mir so an weiteren Fragen einfällt:

  • Nähern sich analoge Spiele und Games an? (Arkham Horror ist so komplex, das wäre früher eher ein Computerspiel gewesen, und manchmal wünsche ich mir eine algorithmische Unterstützung, um nichts zu übersehen.) Und falls ja: Gibt es auch eine Gegentendenz, z.B. in der Ästhetik?
  • RPGs sind sowohl digital als auch analog prädestiniert für Untersuchungen zu Geschlechterrollen. (Nach Caillois sind das ja „Mimikry“-Spiele mit kleinem Alea-Anteil, siehe „Man Play and Games“.) Aber steht das im Widerspruch zu ihrer Verbreitung (gerade im analogen Bereich)? Kann es, wenn schon nicht zu repräsentativen, zumindest zu exemplarischen Erkenntnissen führen (gerade für eine Tendenz zu weniger Heteronormativität)?
  • Wie geht man mit dem Problem um, dass man durch Forschung zu Genderfragen diese gleichsam a) dokumentiert, b) reproduziert und c) kritisiert, und keine Funktion ohne die anderen haben kann?
  • Ist „Casual“ selber eine problematisch Kategorie, weil abwertend und tendenziell vergeschlechtlicht? (Siehe auch meine eigenen Vorurteile unten.)

Der Beitrag Was heißt eigentlich „Spiel“ und „Spielen“? erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

]]>
https://dennisschmolk.de/2023/07/12/was-heisst-eigentlich-spiel-und-spielen/feed/ 6