Thomas Müntzer Archive – Dennis Schmolk https://dennisschmolk.de/tag/thomas-muentzer/ Kontakt: dennis@dennisschmolk.de Mon, 19 Feb 2024 11:03:33 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.6.2 https://dennisschmolk.de/wp-content/uploads/2023/08/cropped-oKajK5kXZmHLTZso5N5C-1-2mlpj-32x32.png Thomas Müntzer Archive – Dennis Schmolk https://dennisschmolk.de/tag/thomas-muentzer/ 32 32 WS24/11: Der letzte lange Jena-Abschnitt, Homöopathie und Stipendien https://dennisschmolk.de/2024/01/12/ws24-11-der-letzte-lange-jena-abschnitt-homoeopathie-und-stipendien/ https://dennisschmolk.de/2024/01/12/ws24-11-der-letzte-lange-jena-abschnitt-homoeopathie-und-stipendien/#comments Fri, 12 Jan 2024 18:05:48 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=5528 Die Sprache spielt nur mit sich selbst. Ihre reine Form ist das Schwatzen. […] Wenn man ihren inneren Möglichkeiten gehorcht, und nur so, erzeugt man große Gedanken. (Luhmann, GdG, Bd. II, 994f) Insgesamt fällt es mir nicht besonders schwer, wissenschaftliche Texte zu fabrizieren. Eine der größten Herausforderungen dabei finde ich den Wechsel zwischen „Lesen“ und „Schreiben“. Das ist eigentlich verwunderlich, denn „Lesen“ bedeutet ja auch immer Notieren, Exzerpieren, Zetteln, also: ... Mehr

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Die Sprache spielt nur mit sich selbst. Ihre reine Form ist das Schwatzen. […] Wenn man ihren inneren Möglichkeiten gehorcht, und nur so, erzeugt man große Gedanken. (Luhmann, GdG, Bd. II, 994f)

Insgesamt fällt es mir nicht besonders schwer, wissenschaftliche Texte zu fabrizieren. Eine der größten Herausforderungen dabei finde ich den Wechsel zwischen „Lesen“ und „Schreiben“. Das ist eigentlich verwunderlich, denn „Lesen“ bedeutet ja auch immer Notieren, Exzerpieren, Zetteln, also: Schreiben.

Über den Jahreswechsel habe ich einen ersten Rohentwurf der Masterarbeit geschrieben (zu lang, noch falsche Schwerpunkte und es fehlt noch was). So schwierig ich es fand, dafür die Lektüre zu verlassen, so schwer fällt es mir nun, mich wieder aufs Lesen zu konzentrieren. Oder anders: Ein Langtext ist etwas ganz anderes als Zettel.

Homöopathie

Schon länger hat der Bundesgesundheitsminister über diese Einsparung nachgedacht, nun macht er Ernst: Weil Globuli und vergleichbare Mittel nachweislich nicht wirken, sollen die Kassen dafür nicht mehr aufkommen. (SZ)

Es passieren noch Zeichen und Wunder (auch gegen die Wundergläubigkeit). Man muss sich den Satz aber natürlich auf der Zunge zergehen lassen: Es war immer schon klar, dass sie „nachweislich nicht wirken“, aber erst durch Sparzwänge wird mit dem Quatsch aufgehört. Das wiederum sollte aber nicht zum Wunderglauben an die ordnende Kraft der Märkte führen, denn ökonomisch ist der Schritt irrelevant: „Für Homöopathie geben die gesetzlichen Krankenkassen im Jahr nicht mehr als zehn Millionen Euro aus – ein verschwindend geringer Posten angesichts von Gesamtausgaben von knapp 300 Milliarden Euro.“ Vielleicht geht es eher um eine Mentalitätspolitik, die nach den „Schwurbeleien“ der letzten Jahre wieder verstärkt auf medizinische Evidenz führen soll, auch wenn die ökonomische Evidenz fehlt …? Wir leben in interessanten Zeiten.

Sabbatical-Logistik: Die Präsenzzeit endet bald!

Die Tage sind gezählt: Mit diesem Semester endet ja die Präsenzzeit in Jena, und dieses Semester endet in 4 Wochen. Danach muss dann die MA fertig werden. Aber das geht auch von Nürnberg aus.

Ende der Unterkunft in Zwätzen

Ende Februar endet auch mein Mietvertrag in Zwätzen. Dann muss ich noch all meine Kleinigkeiten (von Kleidung bis Monitor, aber zum Glück keine Möbel) heimbringen. Ich werde Jena auch danach noch besuchen, aber dann per Ferienwohnung o.ä. — und damit auch zentraler als Zwätzen.

Jetzt steht der letzte längere Zeitraum dort an: Dienstag, 9.1. bis einschl. Do, 18.1. Insgesamt hat sich dieses Semester nicht so richtig gelohnt, von 10 Wochen war ich 4 krank. Und nur ein Mal, bisher, übers Wochenende hier.

Traurig?

Ich würde sagen, ein lachendes und ein weinendes Auge. Ich werde den zweiten Wohnsitz und die Erlebnisse in Jena vermissen, und vor allem die Zwätzener Hügel (siehe Beitragsbild).

Aber allmählich ist es auch gut, wieder etwas weniger Geld auszugeben. Und das Pendeln fängt an, zu nerven. Selbst, wenn alles immer klappen würde, fände ich das Pendeln langsam anstrengend. Klappen tut es aber ja nicht so richtig …

GdL-Streik und Bauernaufstände

Nur, wenn was nicht funktioniert, wird einem klar, wovon man eigentlich abhängig ist. Ich bin mit diesem temporären Lebensentwurf sehr abhängig von der Bahn. Das torpediert bzw. gefährdet so ein GdL-Streik.

Zum Glück hat ein Treffen des „Deutschen Beamtenbundes“ den Streik hinreichen aufgeschoben, nämlich auf Mittwoch, dass die geplante Fahrt am Dienstag klappte. Da ich diese Woche auch eine Seminarleistung erbringen muss (s.u.), ist es schon relevant, ob ich es nach Thüringen schaffe. Außerdem habe ich Begleitung. Nach dieser Woche fände ich es zwar sehr schade, etwas zu verpassen — gerade da, wo nicht so viele Leute kommen, ist das auch ein Gewissensproblem –, aber nicht tragisch. Wir werden sehen.

Die „Bauernproteste“ waren in Zwätzen gut sichtbar. Jedenfalls scheint die Blockade der Straßen mit schweren Maschinen eine wirksamere Protestform zu sein als mit dem eigenen, wenn auch angeklebten Körper. Thomas Müntzers Bauern hatten zwar Wagenburgen, aber sonst wohl nicht viel. Die waren also eher wie die „letzte Generation“, wenn auch nominell nicht gewaltfrei. (Praktisch aber wohl doch, denn offenbar ließen sie sich ja in der Schlacht bei Frankenhausen einfach niedermachen.) Das ist bei den heutigen Bauernaufständen anders. Traktoren wiegen mehr als Dreschflegel.

Uni

Der wesentliche Anlass, mich jetzt anderthalb Wochen in Jena aufzuhalten, ist natürlich nicht das Wandern oder der Besuch von Kino, Mensa und Museen, sondern: studieren.

MA-Formalia: Obsidian, LaTeX, Zeit und Länge

Ich habe ein paar Zeilen über meinen MA-Workflow ausgelagert. Hier entlang.

S&G: Bakhtin, Voloshinov und Co.

Die Lektüren für dieses Seminar finde ich meist nicht ganz einfach, weil ich keinen wirklichen Anker in der Sprachphilosophie habe. Immer noch nicht, allen MA-Recherchen zum Trotz.

Diesmal ging es um Mikhail Bakhtin und sein Umfeld in einem Text von David McNally. Da geht es um die Rückeroberung der Sprache durch „Unterdrückte“, Subalterne; etwa im (mittelalterlichen) Karneval und dessen Bearbeitung in einem „grotesque realism“: „a direct and graphic way by bringing everything into contact with the lower stratum of the body — with eating, drinking, defecating, urinating, copulating, and birthing.“ Dieser Bruch mit den Sprachnormen der herrschenden Klassen ist subversiv. Ich frage mich nur: Geht es da vor allem um die Sprache, oder nicht eher um die geschilderten Praktiken …? Wo geht es um Sprache (des Volkes), wo um „Kultur“; wo um Literatur- und wo um Sprachkritik? Wovon unterscheiden wir hier „Sprache“ überhaupt?

In der Sitzung klärten wir einige Begriffe — und langsam, ganz langsam schält sich ein bisschen was zum thematischen Kern raus: Gibt es „Eigenschaften“ „der“ „Sprache“, die kritisches Potenzial stützen? Für meinen Essay gehe ich der Idee nach, dass (nach Luhmann) Sprache die Negationsfähigkeit in die Welt bringt; man kann verneinen, ablehnen, das Gegenteil sagen. Und das scheint mir doch die Bedingung für Kritik zu sein.

Fußball: Sozialkapital?

Eine altgediente These lautet: „Vergemeinschaftung führt zu Sozialkapital, das Individuen dann insgesamt stärker, auch politisch und zivilgesellschaftlich, involviert“. Das scheint zumindest bei Fußballfans nicht zu stimmen; Fußball führt laut einem Text von Mike Schäfer und Jochen Roose nicht zu mehr Involviertheit.

K&Ü: Luhmann-Protokoll!

Eine zweite Sitzung zu „Die Wirtschaft der Gesellschaft“, Kapitel 6: „Knappheit“ — und ich durfte protokollieren.

Die Einordnung des Arbeits-Begriffs fanden wir relativ unisono nicht ganz befriedigend, und mir fiel auf, dass der symbiotische Mechanismus der Bedürfnisse bzw. des Konsums nicht vorkommt. Nach einer kursorischen Suche im ganzen Buch glaube ich, dass er schlicht nicht behandelt wird. Irgendwo habe ich gelesen (aber nicht verzettelt), dass das Buch ein Schnellschuss war, damit Luhmann noch vor dem Erscheinen von Dirk Baeckers Dissertation (zu „Information und Risiko in der Marktwirtschaft“) damit herauskommen konnte. Würde zeitlich passen, beide Arbeiten erschienen 1988 bei Suhrkamp.

Hier abschließend ein hübscher Kerngedanken zur Arbeit: Arbeit transformiert Sklaverei in Freiheit. Aus „nur die Sklaven müssen arbeiten“ wird „jede(r) muss arbeiten“, und zudem muss jede(r) diese seine bzw. ihre Arbeit verkaufen — und daher Händler(in) werden. Das sorgt für die gesellschaftsweite Verbreitung von Händler-Eigenschaften wie „Friedlichkeit, Ehrlichkeit, zumindest Angewiesenheit auf guten Ruf, Sorgfalt, Genauigkeit usw.“ Also sind nun alle frei, Arbeitstiere zu sein.

Workshop „Promotionsstipendien“

Irgendwann promovieren wäre schon cool. Vielleicht wieder als Sabbatical in einigen Jahren. Denn von einer „klassischen“ akademischen Karriere mit all den Abhängigkeiten, merkwürdigen Beschäftigungsverhältnissen und der Gebundenheit an Präsenz fühle ich mich eher abgeschreckt.

Da bleibt dann aber die Frage, wie man ein (langes) Sabbatical bzw. eine Teilzeitpromotion finanziert. Mehrere Jahre nur einen Bruchteil des Normalen zu verdienen, würde eine Gehaltssteigerung erfordern, die ich nicht für realistisch halte. Also wäre meine grobe Idee: Teilzeit arbeiten und das Promovieren per Stipendium finanzieren; man stückelt sich ein solides Gehalt zusammen. Daher war ich bei einem Workshop zum Thema „Stipendien“ — vom Überblick über diese Finanzierungsform bis hin zum „Bewerbungstraining“.

Erkenntnisse

Erste Erkenntnis: Die meisten Stipendien großer Stiftungen (Parteien, Religionsgemeinschaften, Studienstiftung), die den Lebensunterhalt finanzieren, erlauben nur 10 Stunden (25%) „Nebentätigkeit“. Dafür gibt es dann recht viel Geld, s.u., und das steuerfrei (aber auch ohne Beiträge zur Sozialversicherung). Man kann wohl mit den Stiftungen reden, aber das ist die Regel. Also kommt eine Aufstockung eines 50- oder 70%-Gehalts eher nicht in Frage.

Zweite Erkenntnis: Diese Stiftungen sind sehr „wertegebunden“. Man muss also auch eine Ideologie oder Werte teilen. Das kann man auch, wie einige Teilnehmende, sehr unsympathisch finden. Zudem: Man muss diese Werte — ganz wichtig! — qua Engagement nachweisen. So ging es denn auch kurz darum, wie man denn zu „Engagement“ im Lebenslauf kommt. Aber die Faustregel bleibt: Ohne nachvollziehbare „Engagementbiographie“ sollte man sich eher an kleine Stiftungen halten, die man z.B. via e-fellows-Datenbank finden kann. (Da gibt es Perlen wie „Förderung bedürftiger Kinder von Zahn-, Tier- und Allgemeinärzten“.)

Dritte Erkenntnis: Das ist alles gesetzlich oder qua „AGB“ relativ klar geregelt. Deutschland will möglichst viele Promovierte, und daher werden Leute auch jeweils nur einmal gefördert. Also kann man nicht „Stipendien aneinanderstückeln“. Und man kann nicht zwei parallele (Lebenshaltungs-)Stipendien großer Stiftungen haben.

Vierte Erkenntnis, aber eigentlich klar: Man muss sich verkaufen. Die großen Stiftungen erwarten eine sehr persönliche (und „authentische“) Bewerbung, die einen positiven Ausblick liefert. Nihilismus dürfte eher kein Wert sein, den man betonen sollte. Das Ganze ist eine Bewerbung — nur dass man nicht so sehr eine Arbeitsfähigkeit, sondern eine Persönlichkeit verkauft. Aber es geht durchaus um viel Geld — bei den großen Stiftungen gibt es bis zu 3 Jahre lang 1500–1700 Euro pro Monat. D.h., da geht es um 60.000 Euro. Dafür kann man ein bisschen arbeiten.

Und die Atheisten?

Fünfte Erkenntnis: Es gibt keine volle atheistisch-agnostische Stiftung im Sinne „staatlich anerkannter und geförderter Begabtenförderungswerke“. HVD und GBS haben zwar die „Bertha von Suttner“-Stiftung, die aber kein „Begabtenförderungswerk“ ist: „Zugelassen sind Studierende aller Fachbereiche, Studienanfänger*innen wie Promovierende. Da das Bertha von Suttner-Studienwerk im Unterschied zu den religiös ausgerichteten Förderwerken noch keine staatliche Finanzierung erhält, können Promovierende und Studierende derzeit nur mit einem Förderbetrag von 300 Euro im Monat unterstützt werden.“ (Quelle)

Das könnte doch mal eine Lebensaufgabe sein: vollwertige Stipendien für Nichtreligiöse. Nachdem wir Homöopathie nicht mehr fördern, könnten wir mit restlichem Gespensterglauben ja auch mal aufhören. Wenigstens strukturell.

Fazit

Ein sehr guter Workshop mit Teilnehmys, die alle hochmotiviert und interessiert waren. Nach diesem Workshop weiß man, was man für eine Stipendienbewerbung wissen muss. Oder anders: Wer sich für ein Stipendium interessiert, sollte so einen Workshop besuchen.

Insgesamt sehe ich das Stiftungswesen danach eher kritisch. Ob nicht etwa die Anforderung „Engagement“ (das man sich ja auch leisten können muss) zur Reproduktion sozialer Ungleichheit führt? … und ob nicht vor allem Engagement geleistet wird, um es sich in Stipendien wieder auszahlen zu lassen? … und ob darüber nicht auch immer wieder kostenlose Arbeitskräfte für NGOs gewonnen werden, die eigentlich Unternehmen sind (oder Sekten)? Andererseits ist es für die gesellschaftliche Funktion ja vielleicht egal, welche Motivation für Engagement vorliegt.

Ich sehe mich jedenfalls noch nach anderen möglichen Förderungen um.

PS: Wusstet ihr, dass Host Mahler, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin zu den „Studienstiftungs“-Stipendiatys gehörten? Daraus hat man aber scheint’s gelernt, spätere Terroristen mussten sich selber finanzieren.


Beitragsbild: Zwätzen im Winter.

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Woche 11: Nichtstadt oder Lichtstadt?, Weimar und ‚Fleabag‘ https://dennisschmolk.de/2023/01/13/woche-11-nichtstadt-oder-lichtstadt-weimar-und-fleabag/ https://dennisschmolk.de/2023/01/13/woche-11-nichtstadt-oder-lichtstadt-weimar-und-fleabag/#comments Fri, 13 Jan 2023 10:35:47 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=3982 „Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Kapitalistenklasse verwaltet.“ Marx Die elfte Woche geht zu Ende, wieder mit einer Fahrt nach Nürnberg. Und es ist wieder sehr viel passiert. Ich frage mich langsam, was ich mit diesen ganzen Tagebuchnotizen und Erkenntnissen hier mal mache, zumal sich viele Inhalte mit dem Zettelkasten doppeln oder direkt daraus entnommen sind … Weimar Ein Spontanausflug führte mich nach Weimar. ... Mehr

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„Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Kapitalistenklasse verwaltet.“
Marx

Die elfte Woche geht zu Ende, wieder mit einer Fahrt nach Nürnberg. Und es ist wieder sehr viel passiert. Ich frage mich langsam, was ich mit diesen ganzen Tagebuchnotizen und Erkenntnissen hier mal mache, zumal sich viele Inhalte mit dem Zettelkasten doppeln oder direkt daraus entnommen sind …

Weimar

Ein Spontanausflug führte mich nach Weimar. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt hier war, aber es dürfte ums Abi oder die ersten Semester herum gewesen sein. Also eine Weile her – entsprechend mager fielen die Erinnerungen aus. Das hat aber ja auch was für sich: Weimar konnte mir einen neuen ersten Eindruck aufprägen, und der war – zumindest außersaisonal – recht positiv.

Eine für etwa 65.000 Einwohner recht weitläufige Stadt; viele offene Flächen; ausgesprochen viele Sitzgelegenheiten überall, für die es allerdings fast etwas kühl und nass war; viel grün; und noch Vieles zum Entdecken: Ich war diesmal lediglich im Schiller-Haus, das heißt, diverse Museen warten noch!

(Für mich neue) Fakten aus dem Schiller-Haus:

  • Schillers Frau, Charlotte von Lengefeld, verlor durch die Heirat mit einem Bürgerlichen ihre Privilegien, u.a. den höfischen Zugang; und bekam diesen erst recht spät, dann als Frau von Friedrich von Schiller, zurück.
  • Die Adelung riss aber wohl zunächst auch ein Loch in die Kasse – „Frack und Degen“ als Standes-Insignien werden im Audioguide des Museums als ungeplante Ausgaben genannt.
  • Noch spannender: Charlotte, Friedrich und Charlottes Schwester Caroline von Beulwitz lebten wohl einige Jahre in einer Art Dreierbeziehung. Darüber gibt es auch einen Film: „Die geliebten Schwestern“.
  • Die Schillers waren wohl liebende, gewaltlose Eltern; und die Kinder durften Friedrich auch bei der Arbeit stören.
  • Jena kommt als Stadt ungemein gut weg in Schillers Darstellungen, auch wenn er seine Professur dort ja krankheitsbedingt schon recht bald wieder aufgab. Schiller als Dozent war aber wohl keine Wucht – deklamatorisch und dramatisierend las er vom Blatt ab. Oh, well.

Was mir sonst noch auffiel: Über die Stadt verteilt finden sich Fotos von Buchenwald-Überlebenden in der Dauerausstellung „Die Zeugen“.

Nichtstadt

Das Café Wagner ist eine Jenaer Institution. Und es muss in wenigen Wochen die Location wegen längerer Umbauten wechseln – Grund genug, auf Anregung einer Freundin noch auf einen Sprung dort reinzugucken. Und dabei auch noch den Film „Nichtstadt“ (ein Wortspiel mit „Lichtstadt“) von Pablo Mattarocci zu gucken. „Nichtstadt“ stellt verschiedene Initiativen in Jena  vor, die ein Problem haben: Ihnen fehlt es an Platz im „München des Ostens“. Dabei sind Wohnprojekte, die Südkurve des Fußball-Fanclubs (wobei ich nicht verstehe, wieso es die Nordkurve nicht auch tut) und ein Geburtshaus.

Vor allem die frustrierenden Rangeleien mit der Stadtpolitik (FDP-Bürgermeister!) und das Problemfeld Immobilienpreise/Spekulation werden thematisiert; wobei ich mich mehrfach fragte, wieso die Aktivistinnen und Aktivisten von demjenigen Ausschuss, der die Geschäfte der herrschenden Klasse managt, mehr erwarteten … (Sorry, so viel Marx musste sein.) Mich erinnerte das an die Grabenkämpfe, die in Nürnberg jahrelang um den KV (Kunstverein im Z-Bau) gefochten wurden – auch darüber gibt es einige filmische Dokumente, meine ich mich zu erinnern, auch wenn ich auf die Schnelle nichts finde.

Mangel an bezahlbarem Wohn- und Kulturraum ist also auch in Jena ein Problem. (Wo nicht, in Nürnberg fallen mir aktuell die Ateliers Auf AEG ein, die anderen Interessen weichen mussten). Ich frage mich, ob die Preise in Jena inzwischen so hoch sind, dass sich Experimente z.B. mit dem Mietshäuser Syndikat einfach nicht ergeben?

Uni

Kant & Co.

„Einführung in die Ethik“: Neben Kant gab es noch einen Text über männliche und weibliche Gerechtigkeitsvorstellungen von 1984. Zum Glück, denn der Kant macht zusehends weniger Spaß.

Aus dem Kommentar (Suhrkamp-Ausgabe) zum dritten Abschnitt der Grundlegung: Dieser gilt „zu Recht als der dunkelste und schwierigste Teil“. Und: „Worin auch immer die in der GMS geleistete Moralbegründung liegen mag, [Kant] hat an ihr bereits wenige Jahre später nicht mehr festgehalten.“ Da sagt er dann einfach, die Vernunft sei ein „Faktum“, das „durch Selbstreflexion zugänglich“ sei. Hier riecht dann die Vernunft schon sehr nach einem Gottesersatz. Na dann.

Und noch eine Nebenbemerkung: Alexander von Humboldt fürchtete wohl, sein Bruder Wilhelm würde sich an Kants KdrV „tot studiren“. Das passiert mir eher nicht. (Danke an Sabine für das Zitat aus einem Andrea-Wulf-Buch!)

Weitere Lektüren

  • Körpersoziologie: Ein Text über’s Mikrobiom und „Pasteurian thanatopolitics“, vulgo: Wir killen recht unspezifisch alles Mögliche, was gegebenenfalls ja doch irgendwie zu uns gehört (und, anthropozentrisch gesehen, nützlich ist). Und der Essay „Mit Foucault die Pandemie verstehen?“ von Philipp Sarasin. Es wäre schon auch komisch gewesen, hätten wir uns hier im Seminar nicht wenigstens ein Mal mit Krankheit und auch Covid befasst.
  • Geschlecht & Religion: Ein eher langweiliger Text über jüdische Frauenvereine und deren Statuten. Bislang der Text, der mich im Reader am wenigsten überzeugte. Nächste Woche fällt das Seminar aus, da gibt es also auch keine Lektüre.
  • Agnoli: Drei thematisch sehr interessante Kapitel – über den subversiven Wert von Mystik und von Utopien, über Königsmord und natürlich Thomas Müntzer. Letzterer wird bei Agnoli eher zum Sozialrevolutionär; bei der Deutung möchte ich eher nicht mitgehen.
    Da ich diese Sitzung zusammen mit einer meiner Kommilitonys (der neue Gender-Plural, mark my words!) moderieren darf, habe ich das alles auch relativ intensiv gelesen – um Fragen und Thesen für Gruppenarbeiten zu entwickeln. Da nimmt man tatsächlich doch mehr mit, als wenn man nur sehr unspezifisch liest. Die Diskussion mit meiner Moderationspartnerin hat auch nochmal einiges erhellt.
  • Derrida: Auch wenn es bis zum nächsten „Gastlichkeit der Sprache“-Seminar noch eine Weile hin ist, suche ich schon mal nach tauglichen Hausarbeitsthemen. Im Münchner Lenbachhaus fielen mir die biographischen Parallelen von Etel Adnan und Derrida sowie beider Beschäftigung mit Sprache auf; insbesondere mit der Kolonialsprache Französisch, dem Arabischen usw. Daher suchte ich mir in der Thulb schon einmal Lektüre und stieß auf einen Sammelband „Arabische Literatur, postmodern“.

Veranstaltungen

  • Ethik: Wir sind immerhin noch 4 Gesellschaftstheoretys inkl. mir, obwohl wir hier ja doch nichts schreiben müssen. Das sorgt im Übrigen nachhaltig für Verwirrung – vielleicht müsste man das Modulhandbuch doch noch etwas klarer ausarbeiten …
  • Ring-VL GT: Sozialpsychologie. Viel interessante Empirie zum Schlagwort „Vorurteile“ – und die Erkenntnis, dass Psychologys und Soziologys/GTys anscheinend doch oft sehr anders denken.
  • Agnoli: Moderieren macht mehr Spaß als drinsitzen, und man nimmt auch aus der Lektüre mehr mit. Meine Co-Mod-Kommilitonin hatte die großartige Idee, ein Riseup-Pad für die Gruppendiskussionen einzurichten – das war sehr hilfreich.

Fleabag

Im Exil komme ich ja sporadisch dazu, Serien zu gucken und hier kurz zu rezensieren. Vielleicht auch nicht so kurz. Zwei Warnungen:

  • SPOILERWARNUNG: Ab hier folgen leichte bis schwere Spoiler!
    (Ernst gemeint: guckt euch erst die Serie an!)
  • TRIGGERWARNUNG: Die Serie behandelt sehr viele Tabus und Probleme sexueller, psychischer, physischer und metaphysischer Natur!
    (Eher als Werbung gemeint, wie ein „parental advisory“)

Ihr wurdet gewarnt. Danke für den Tipp, Katja! Damit keine(r) Spoiler lesen muss, weil er oder sie nach weiterem Studien-Content sucht: Da kommt keiner mehr, ab hier geht’s nur noch um die Serie.

Inhalt

Kurz gesagt geht es um die persönlichen Schicksale einer losen Gruppe von damaged people rund um Protagonistin Fleabag. Die betreibt in London ein (zu Beginn der Serie eher erfolgloses) Café, hat ein gestörtes Verhältnis zu Vater, Stiefmutter und Schwester – und vor allem zu Männern. Zu vielen Männern.

Das wesentliche Thema der tragikomischen, schmerzhaft lustigen Serie: Das Leiden am und aus dem Alltäglichen. Sex, Familie, Arbeit, „Freunde“ – aber meistens geht es um Sex als Chiffre für alles Mögliche, vielleicht vor allem für kapitalistisches Begehren und die begleitenden Träume und Fantasien. Auf jeden Fall viel Sex.

Stil und Formen

Kurze Episoden, aber teils schwer erträglich: Der Tod der Freundin und Mitbetreiberin des Cafés, die laufenden kleinen und großen Fauxpas, die familiäre Kälte … und es wird im Laufe der insgesamt ca. 300 Minuten Laufzeit tendenziell immer deranged-shit-fuck schlimmer, mit einem Zenit (oder Nadir?) im ersten Staffelfinale.

Insgesamt spielt das alles eher jenseits der Grenzen des guten Geschmacks. Beispiele:

  • Die Initialszene handelt von „überraschendem“ Analverkehr und dessen kommunikativer Nicht-Bewältigung am nächsten Morgen.
  • Der „Hot Priest“ sagt: „My brother is a pedophile. I’m aware of the irony of that.“
  • Außerdem sagt er: „Fun! My parents were alcoholics, too.“
  • Wir teilen erotische Gedanken angesichts von grausamen Märtyrerdarstellungen in einer Kirche.
  • Eine der verstörendsten Szenen enthält den Satz „get your hands off my miscarriage“.

Wer jetzt versucht ist, die Lektüre abzubrechen, hat offenbar die Serie nicht gesehen. Denn wer sie gesehen hat weiß, dass das trotz aller Schwere in den Themen stets sehr unterhaltsam bleibt.

Monogamie, Sexualität und Konflikte

Monogamiekonflikte sind omnipräsent, auch wenn sie nicht immer direkt thematisiert werden. Aber sogar die sexpositive bis sexsüchtige Fleabag wartet die (temporäre) Trennung von ihrem Freund ab, ehe sie Sex mit anderen hat; auch, wenn sie in der zweiten Staffel beichten wird, dass sie nicht nur jede Menge außerehelichen Sex, sondern auch Sex „in other people’s marriages“ hatte. Man kann sich nun fragen, welches (sexuelle) Treueverständnis hier drin steckt.

Die tragischste Treue/Betrug-Story stellt natürlich das Desaster um Fleabags verstorbene beste Freundin Boo dar. Mir fällt es auch nach allen 12 Episoden schwer, dieses Ereignis einzuordnen – mehr sei nicht verraten, falls jemand hier trotz Spoilerwarnung weitergelesen hat … Bei Fleabags zugeknöpfter Schwester Claire ist die Sache einfacher: Sie führt eine grauenvolle Ehe mit einem echten Widerling („I’m not a bad guy, I just have a bad personality“), sodass man ihr nicht nur den Vibrator, sondern auch die Affäre mit einem skandinavischen Kollegen („Klare“, gesprochen wie „Claire“) gönnt.

Meines Erachtens wird das Problem der sexuellen und amorösen Exklusivität aber am prominentesten dort verhandelt, wo Sex nicht vorkommen sollte: Im Umgang des hotten Priesters mit dem Zölibat und seiner (Un-)Fähigkeit, seinem – mystisch gesprochen – Bräutigam treu zu bleiben. Man mag hoffen, dass Gott einen Seitensprung verzeiht.

Etwas abstrakter: Sexualität ist gleichzeitig problematisiert – Fleabag ist relativ offensichtlich im Spektrum der Sexsucht zu verorten – und trotzdem oft positiv dargestellt (etwa beim Thema Masturbation). Ähnlich, wie einige Charaktere massive Probleme mit Alkohol haben, verhält es sich mit Sex.

Der Priester

Ganz generell ist der Priester die interessanteste, weil zerrissenste Figur in der Serie (bzw. in Staffel 2). Scheinbar fest im Glauben, scheinbar autonom und (nicht nur moralisch) überlegen, stellt er sich dann doch als Mensch heraus. Trotzdem ist er offenbar ein bisschen mehr als das, und vor allem mehr als ein weiterer Statist in Fleabags Leben: Das wird besonders deutlich an den spukhaften Wundertätigkeiten, dem doppelten Bildersturz, der sich vermutlich irgendwie psychoanalytisch deuten lässt. (Das Begehrte bricht aus dem Fantasiereich des Begehrens in die Realität ein und bedroht deren Integrität?) Und natürlich an seiner Fähigkeit, das Durchbrechen der Fourth Wall zu erkennen.

Das kann man auch als Atheist gut finden (und die Hauptdarstellerin/Regisseurin/Autorin Phoebe Waller-Bridge definiert sich wohl selbst ebenfalls als Atheistin).

The End (More Spoilers!)

Das Ende der Serie ist angemessen: Weder ein happy end, bei dem man jubelt, noch eine Tragödie, die einem das kathartische Heulen erlaubt (die Tragödie gab’s ja schon). Das happy end, sagen wir ein Leben mit dem Priester oder dem Ex-Freund, würde sich vermutlich schnell als never-ending unhappiness herausstellen. Es ist aber auch nicht das Ende eines Bildungsromans oder einer Heldenreise. Es gibt keine (Er-)Lösung, und das ist vielleicht der ideologiekritischste Kniff der Serie.

Fazit: Angucken, die 300 Minuten sind gut investiert!

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Woche 10: Subversive Systeme, teurere Tickets https://dennisschmolk.de/2023/01/06/woche-10-subversive-systeme-teurere-tickets/ https://dennisschmolk.de/2023/01/06/woche-10-subversive-systeme-teurere-tickets/#comments Fri, 06 Jan 2023 17:51:28 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=3948 [Alle Artikel zum Thema Sabbatical finden sich hier.] Frohes neues Jahr allerseits! Nun ist die Weihnachtspause also vorüber und es geht wieder nach Thüringen. Thema Zeitwahrnehmung: Die 17 Tage Heimaturlaub kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Das liegt vermutlich vor allem am vollen Programm inkl. Neuem Museum Nürnberg, Lenbachhaus, mehreren Kurztrips, viel Zeit vor Kochtöpfen und ausufernder Lektüre. Außerdem scheint der Szenenwechsel nach Nürnberg (zumindest retrospektiv) die Zeit immer stark zu ... Mehr

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[Alle Artikel zum Thema Sabbatical finden sich hier.]

Frohes neues Jahr allerseits!

Nun ist die Weihnachtspause also vorüber und es geht wieder nach Thüringen. Thema Zeitwahrnehmung: Die 17 Tage Heimaturlaub kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Das liegt vermutlich vor allem am vollen Programm inkl. Neuem Museum Nürnberg, Lenbachhaus, mehreren Kurztrips, viel Zeit vor Kochtöpfen und ausufernder Lektüre. Außerdem scheint der Szenenwechsel nach Nürnberg (zumindest retrospektiv) die Zeit immer stark zu strecken, ohne, dass sie lang wird. Ich vermute, das ist eine gute Erkenntnis.

Außerdem habe ich inzwischen jede innere Verbindung zu Wochentagen verloren. Dazu trägt auch bei, dass hier in Thüringen Heiligdreikönige kein Feiertag ist – während die meisten Kommunikationen, in die ich ‚remote‘ eingebunden bin, von einem langen Wochenende ausgehen.

Die Museumspädagogik des Lenbachhauses bietet ein kritisches Glossar zur Ausstellung „Gruppendynamik/Blauer Reiter“. Da kann man dann etwas zu „Eurozentrismus“ und dem „I-Wort“ nachlesen.

Uni

Eher irrelevante Beobachtung: Das merkwürdige, Client-basierte Eduroam-WLAN geht nicht nur an der eigenen Uni. So hatte ich z.B. auch in den o.g. Museen WLAN. Ich frage mich ja, ob das auch im Ausland funktioniert. Jedenfalls: so verstehe ich den Mehrwert eines Netzwerks, das einen eigenen Client erfordert, ein bisschen besser.

Lektüren

Weihnachtszeit ist Lesezeit! Da hätten wir zum einen „private“ Lektüre:

  • Eine ehemalige Nachbarin, die wir über die Feiertage besuchten, stammt aus Zeiden in Siebenbürgen. Da ich von den Siebenbürger Sachsen keinerlei Ahnung hatte, führte ich mir den Siebenbürgen-Roman „Zeiden im Januar“ von Ursula Ackrill zu Gemüte. Nun weiß ich mehr, auch wenn der Roman m.E. unnötig durch verschobene Zeitebenen verkompliziert wird.
  • Feiertagslektüre war auch der Band „Luhmann Lektüren“ von Kadmos. Der Beitrag von Peter Sloterdijk ist zwar unnötig schwer verständlich, birgt aber viele gute Gedanken zur Frage, warum man eigentlich Soziologie und insbesondere Systemtheorie betreiben sollte: als subversive, verfremdende, ironisierende, verunsichernde Folie, die einen darauf stößt, dass Realitäten auch immer Konstruktionen sind, und man zwar vielleicht nicht die Realitäten, aber deren Konstruktionen = Beschreibungen anpassen kann. Gleichzeitig ein Loblied auf Ironie und Humor.
  • Der Band „Beziehungskünstler: Wie kreative Paare die Liebe meistern“ liefert interessante biographische Fakten. Die Einordnung bleibt aber leider meist recht oberflächlich, psychologisierend und unnötig ratgeberhaft (denn man kann ja eigentlich weder aus den positiven noch aus den fürchterlichen Biographien wirklich etwas lernen).
  • Uta Störmer-Caysas „Einführung in die mittelalterliche Mystik“ gewinnt noch rasch den 2022er-Preis für das beste Preis-Leistungs-Verhältnis. Viel fundierter Stoff im 5-Euro-Reclam-Bändchen. Eine Zeitleiste oder Übersichtstabelle wäre sehr hilfreich gewesen, weil die Autorin ein bisschen in den Jahrhunderten herumspringt – und dass Plotin vor Ekkehart kam, ist ja vielleicht mancher oder manchem klar, aber war Bernhard von Clairvaux vor oder nach Hildegard von Bingen? (Spoiler: quasi zeitgleich.) Überraschend: Die Beginen nehmen eine emanzipative Funktion vorweg, die später auch z.B. Kongregationen erfüllen, nämlich ein weder nonnenhaftes noch auf die Ehefrau reduziertes Rollenangebot für Frauen.

Und dann mehr oder minder direkt Veranstaltungsbezogenes:

  • Geschlecht und Religion zum Thema „Muskeljuden“: Ich bin überrascht, wie viel Rassentheorie, Degenenerations- und Entartungs-Propaganda im Zionismus um die Jahrhundertwende zu finden ist, und wie sehr die utopischen Gegenentwürfe (der Muscle Jew) zu den rassischen Reinheitsidealen der Nazis zu passen scheinen. Der weibliche Körper soll auch ‚fit‘ sein, aber vor allem als Gebärmaschine für das neue Volk in einem neu zu kolonisierenden Land. Das war mir alles vollkommen unbekannt. Und interessant ist auch, dass in diesen Diskursen Religion keine große Rolle spielt – sondern die gesamte Argumentation, wie im Antisemitismus, biologistisch verläuft. (Eher noch werden hellenische als abrahamitische Bilder gebraucht.) Wer weiterlesen will: Wikipedia zum Muscular Judaism.
  • Kant-VL: Ein Text von Geert Keil über die Frage, ob das Gehirn das Bewusstsein steuert oder umgekehrt oder ganz anders (PDF bei der HU Berlin). Die Lösung u.a. des Willensfreiheits-Problems findet er in einem m.E. soziologischen Konzept, nämlich der Person und den kommunikativen Zuschreibungen an diese, ohne, dass er auf Soziologie Bezug nimmt.
  • Agnoli-Vorbereitungen: Am 12.1. moderiere ich zusammen mit einer Kommilitonin die Sitzung des Lektürekreises. Dafür stehen drei Kapitel an, das für mich zentrale handelt von Thomas Müntzer. Nachdem ich eine komplette Müntzer-Biographie gelesen habe, kann ich einige der Zuschreibungen Agnolis nicht mehr so ganz teilen. Aber mal sehen, zu welchem Schluss wir in der Vorbereitung und der Seminardiskussion kommen.

Veranstaltungen

Die Ethik-Vorlesung wurde diese Woche durch „Selbststudium“ ersetzt, vielleicht einem problematischen hypothetischen Imperativ folgend: „Wenn du nicht vor einer handvoll Leute deine Vorlesung halten willst, lasse sie in der ersten Januarwoche ausfallen.“ Eigentlich müsste ich diese VL ja gar nicht mehr so richtig besuchen, nachdem klar wurde, dass man da als GT-Studierendes sowieso keine Prüfungsleistung erbringen muss. Aber nachdem ich mit Kant angefangen habe, werde ich mit Kant nun auch fertig. Also gab es eine kurze Essay-Übung zu kategorischen und hypothetischen Imperativen. Hier das Resultat.

Das GT-Tutorium lohnte sich – eine anregende Diskussionsrunde über die Frage, wie sich die Geschichtswissenschaft (und insbesondere die Zeitgeschichte) für Gesellschaftstheorie nutzen lässt. Beste Anregung: Von einem Kommilitonen wurde der Film „THE PERVERT’S GUIDE TO IDEOLOGY“ mit Slavoj Žižek (gibt’s bei archive.org) empfohlen. Gleich am Anfang wird einer meiner Jugend-Lieblingsfilme, John Carpenters „They Live„, besprochen. Und auch ansonsten ist das ein spannender Ritt durch die Popkultur- und v.a. Filmgeschichte mit vielen ideologieanalytischen Einwürfen. Wahrscheinlich sollte man alles cum grano salis nehmen, aber unterhaltsam ist es.

In der Körpersoziologie musste ich eine stark umherschweifende Diskussion um die weiteren Inhalte und Formate des Seminars protokollieren. Zum Glück herrschte Zeitdruck, sodass ich Formfehler einfach darauf schieben kann … Es bleibt jedenfalls weiterhin spannend in diesem Seminar!

Transit

Jena und das Fahrrad

Im Akrützel geht es um den Nicht-PKW-Verkehr in Jena. Mit eher verhaltenem Ergebnis und ein paar Skandälchen:

Gegenwind zur Verkehrswende weht jedoch auch aus einer anderen unerwarteten Ecke. Der Behindertenbeirat der Stadt lehnt den Ausbau des Fahrradverkehrs ab. „Für behinderte Menschen ist vor allem der nicht motorisierte Verkehr eine Gefahr“, findet Michael Schubert von der FDP, Vorsitzender des Behindertenbeirates. […] Die Grünen erheben deshalb den Vorwurf: „Die FDP nutzt den Vorsitz in diesem Beirat dazu, die Verkehrswende hin zur autofreien Stadt zu sabotieren.“ (H. v. mir)

Amüsant, wäre es nicht so traurig.

Die Bahn

Vielleicht werden die Tickets teurer: Wo ich bislang für 14-18 Euro mit BC25 von Nürnberg nach Erfurt kam, findet sich jetzt keine Verbindung mehr unter 27, eher 30 Euro. Ich werde daher demnächst mal wieder die Regio-Verbindung ausprobieren (müssen). Ob ich für den Zeitraum Januar/Februar nur zu spät dran bin oder ob die Supersparpreise generell angehoben wurden, kann ich noch nicht sagen. Leider ist das ja reichlich intransparent.

Masken

Im Fernverkehr, wo ja noch eine bundesweite Maskenpflicht gilt, tragen immer weniger Leute eine. Immerhin gibt es hier aber sporadisch Durchsagen und (teils eher halbherzige) Kontrollen.

Aus bayerischer Sicht überraschend: In Thüringen gilt auch im ÖPNV Maskenpflicht. Finde ich beruhigend, zumal an allen Ecken und Enden reichlich gehustet wird. Und nun zur relevanten Frage: Wie sehr hängt meine Pro-Masken-Mentalität am Habitus, an meiner Verortung im sozioökonomischen Raum etc.?

PS: Das Schicksal von Frostis Nase

(Hintergrund: Beitragsbild dieses Artikels.)


Beitragsbild: Fassade des NMN. Der schwarzweiße Zyklus, der sich durch die Fronten zieht, ist Sebastian Trögers „Am Hebel der Welt„.

Der Beitrag Woche 10: Subversive Systeme, teurere Tickets erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

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Woche acht: Erste Prüfung, eine Hörsaal-Besetzung und – was ist eigentlich ‚Ethik‘? https://dennisschmolk.de/2022/12/08/woche-acht-erste-pruefung-eine-hoersaal-besetzung-und-was-ist-eigentlich-ethik/ https://dennisschmolk.de/2022/12/08/woche-acht-erste-pruefung-eine-hoersaal-besetzung-und-was-ist-eigentlich-ethik/#comments Thu, 08 Dec 2022 14:07:19 +0000 https://dennisschmolk.de/?p=3798 tl;dr: Schreib mir oder in die Kommentare, was du unter „Ethik“ verstehst. Es gibt keine falschen Antworten. („Des, was die immer ham, die net in Reli gehn“ ist eine akzeptable Meinung.) [Alle Artikel zum Thema Sabbatical finden sich hier.] Hörsaalbesetzung Ich berichte ja oft von meinem „Geschlecht und Religion“-Seminar bei Prof. Gisela Mettele. Ihr Lehrstuhl ist derjenige für „Geschlechtergeschichte“, und genau dieser ihr Lehrstuhl soll nun abgeschafft werden. Was da ... Mehr

Der Beitrag Woche acht: Erste Prüfung, eine Hörsaal-Besetzung und – was ist eigentlich ‚Ethik‘? erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

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tl;dr: Schreib mir oder in die Kommentare, was du unter „Ethik“ verstehst. Es gibt keine falschen Antworten. („Des, was die immer ham, die net in Reli gehn“ ist eine akzeptable Meinung.)

[Alle Artikel zum Thema Sabbatical finden sich hier.]

Hörsaalbesetzung

Ich berichte ja oft von meinem „Geschlecht und Religion“-Seminar bei Prof. Gisela Mettele. Ihr Lehrstuhl ist derjenige für „Geschlechtergeschichte“, und genau dieser ihr Lehrstuhl soll nun abgeschafft werden. Was da genau dahintersteckt, weiß vermutlich niemand: Eine politische Absicht? Eine Abwägung von Lehr- und Forschungsinteressen? Budgetzwänge? Oder alles zusammen, also sozusagen Strukturprobleme der funktionalen Differenzierung? Fakt ist, dass der Beschluss der Abschaffung recht anders verlaufen ist, als man es sich für ein demokratisches System wünscht, nämlich intransparent und hinter verschlossenen Türen. Nun kann man fragen, wie weit die Forderung nach Demokratie in Organisationen reichen kann, deren Strukturmerkmal ja vor allem Exklusion ist; und inwieweit man eine Universität als Organisation begreifen muss.

Wie auch immer: Es hat sich sofort eine Protestbewegung gebildet (bzw. eine schon bestehende sich des Themas angenommen). So wurde der größte Hörsaal in der Carl-Zeiss-Straße besetzt. Protest hat ja oft das Problem, keine (hinreichend verantwortlich zu machende) Adresse zu finden; und entsprechend fällt auch die Reaktion der Uni-Leitung aus, die es auf wirtschaftliche Gründe schiebt und ansonsten der Protestbewegung keine wirkliche Angriffsfläche bietet – also keinen Skandal produziert, der massenmedial auszuschlachten wäre.

Gisela Mettele nimmt in diesem Interview mit dem Neuen Deutschland Stellung, falls sich jemand für weitere Hintergründe interessiert, und die neue Ausgabe des Akrützel ist natürlich voll mit dem Thema (incl. Einordnung). Ansonsten empfehle ich die Lektüre des Sammelbands „Protest“ mit Aufsätzen von Niklas Luhmann.

Meine unmaßgebliche Meinung übrigens: Nachdem ich sowohl das Seminar als auch dessen Dozentin sehr schätze und zudem die Kategorie Geschlecht bei Geschichtsbetrachtungen unterrepräsentiert finde, bin ich eher für die Beibehaltung des Lehrstuhls.

Was ist „Ethik“?

Nachdem ich nun dieses Semester an vielen Punkten mit dem Thema Ethik in Berührung komme, stellt sich mir die Frage: Was ist das eigentlich, Ethik? Dazu interessieren mich allerdings vor allem erstmal eure Meinungen. Schreibt mir was in die Kommentare, per Signal, Telegram oder Mail. Oder erzählt es mir persönlich. (Ruft mich bloß nicht an, ich hasse telefonieren!) Ich weise da nächste Woche nochmal prominenter drauf hin.

Update: Ergebnisse hier.

Zeitwahrnehmung

Ich will seit einiger Zeit hier die Kategorie „Sabbatical und Resonanz“ oder „Sabbatical und Weltbeziehung“ einführen, aber mir fällt beim Nachdenken über das In-die-Welt-Gestelltsein meistens direkt eine Zeitwahrnehmung ein. Also bleiben wir dabei. (Interessant auch, dass ich mich hier von Anfang an eher gestellt als geworfen fühlte.)

Diesmal kam die (Reflexion der) Zeiterfahrung beim Sichten aller Folien der Ethik-Vorlesung, denn diese Woche steht die Zwischenklausur an. (Zeit-Disclaimer: Ich tippe das vor der Klausur, veröffentlicht wird es danach.) Bei der Präsentation zur ersten Sitzung fühlte ich mich sofort in den etwas düsteren, alten und zu kleinen Hörsaal der ersten Sitzung zurückversetzt (inzwischen haben wir ja gewechselt). Und die begleitende Erinnerung war, dass ich mich vom plötzlichen Sprung in einen neuen Inhalt (Ethik) und eine neue Form (das war die allererste Uni-Veranstaltung nach fast 11 Jahren Pause!) reichlich überfordert fühlte.

Jedenfalls: Diese Erinnerung fühlt sich an, als läge sie ein halbes Jahr zurück. Der Besuch dieser und anderer Veranstaltungen ist inzwischen ganz anders markiert, löst andere Gefühle aus und wirkt schon ein bisschen nach Routine; aber nicht so stark routiniert wie ein wöchentliches Arbeitsmeeting 7 Wochen nach Einführung. Das liegt vermutlich daran, dass die Umwelt in der Arbeit (auch über Einzelevents hinaus) viel homogener vertraut wirkt …? Schließlich verbringt man 28-45 Stunden pro Woche mit den gleichen Personen in den gleichen (ggf. virtuellen) Räumen?

Ein Adventskonzert und Thomas Müntzer

Am Niklasabend musst‘ es sein (Kontext): In der Stadtkirche St. Michael gab es ein Adventskonzert mit verschiedenen Chören und Orgel, für uns drei Thoska-Inhabende natürlich kostenlos. Mein Highlight, weil quasi mein liebstes Weihnachtslied, war Carol of the Bells, dicht gefolgt von einer Neuentdeckung – „Nun komm, der Heiden Heiland“ (Spotify). Laut Wikipedia hat übrigens auch Thomas Müntzer eine Übersetzung des zugrundeliegenden Hymnus angefertigt.

Der lässt mich gerade nicht los: In der Thulb fand ich zufällig prominent auf einem Büchertisch Arnulf Zitelmanns Müntzer-Biografie „Ich will donnern über sie!“. Eine spannende Kristallisationsfigur ihrer Zeit; vielleicht eher zufällig auf der peinvollen Suche nach dem göttlichen Heil zum Sozialrevolutionär geworden. Allemal sympathischer als Luther, der ja nicht nur glühender Antisemit war (während Müntzer jüdischen und muslimischen Menschen zumindest eine Heilshoffnung einräumte), sondern nach den Bauernkriegen auch zugeben musste: „Ich habe im Aufruhr alle Bauern erschlagen; denn ich hab sie heißen totschlagen; all ihr Blut ist auf meinem Hals.“ (Quelle)

Aber in einem Müntzer-Staat möchte ich auch nicht leben. (Mehr zu Müntzer gibt es vermutlich gegen Jahresanfang, weil ich da im Rahmen des Agnoli-Lektürekreises eine Mitmoderation u.a. über das Müntzer-Kapitel vor mir habe.)

Der Hanfried und die Kränze

Hanfried, frisch bekranzt.

Vor dem Konzert suchten wir noch den zentralen Jenaer Weihnachtsmarkt auf, der Weihnachtsstimmung Gelegenheit zur Resonanz zu bieten. Dabei beobachteten wir ein merkwürdiges Ritual: Jemand warf einen Kranz über den Hanfried, die Statue des Universitätsgründers Johann Friedrich I. von Sachsen. (Fun fact: Ein Formulartool der Uni heißt ebenfalls HanFRIED.) Mir war das Ritual völlig unbekannt, meinen Begleitenden nicht, aber erklären konnte es auch niemand. Also bekam ich den Auftrag, das für einen Blogartikel zu recherchieren. Nun hätte ich ein Grundlagenwerk der anthropologischen Beobachtung studieren und mich auf die Lauer legen können, um das im Rahmen einer Feldstudie zu erforschen. Googlen schien mir angesichts der aktuellen Temperaturen aber praktikabler.

Also, snare roll für die Ostthüringer Zeitung:

In den letzten Jahren geriet es immer wieder in die Schlagzeilen, etwa wenn Doktoranden der Uni zur Feier der bestandenen Dissertation einen Kranz über das Schwert des Unigründers warfen[.]

Das ist also ein Abschlussritual. Finde ich irgendwie gerechtfertigt. Allerdings sorgt das laut diesem FB-Post von Jenakultur auch für gewisse Kosten für die Instandhaltung. Dem Post kann man auch entnehmen, dass das Ritual wohl nicht „historisch“, sondern eher ein jüngerer Brauch ist.

Übrigens weiß die OTZ noch weitere mehr oder minder unterhaltsame Details zum Hanfried:

Unbekannte [erlaubten sich] einen Scherz […], indem sie einen Aufkleber „Jenaer Bier“ in die offenen Bibel klebten. Nicht zuletzt wurde 2016 durch einen Betrunkenen das Schwert heruntergerissen, übrigens nicht zum ersten Mal. Aus demselben Grund verlor der Herrscher bereits 1968 seine Waffe. In den vergangenen Jahren musste dieser stumme Zeuge dann auch mehrfach gereinigt und restauriert werden.

Falls jemandem noch weitere sachdienliche Hinweise zu diesem Phänomen bekannt sind, freue ich mich!

Adventskalender

  • Pegasus hat wieder einen mit Gewinnspiel (da muss ich ja schon aus alter Tradition mitmachen)
  • Unsere Lernplattform moodle hat auch einen AK: Da muss man sich für einen „Kurs“ „einschreiben“ und kann dann jeden Tag ein Türchen mit Infos oder Tipps öffnen. Am Adventssonntag gab es das Gedicht „Advent“ von Rilke. Ich bin gespannt, was da noch kommt!
  • Jena hat einen musikalischen Weihnachtskalender, der jeden Tag irgendwo zur Aufführung kommt. (Danke für den Tipp, Anne!) Am Mittwoch lag das für mich terminlich sehr passend im Innenhof des Uni-Hauptgebäudes:
Unterbelichteter Schnappschuss vom Muweika. Es gab „Jingle Bells“.

Uni

Den Uni-Abschnitt halten wir heute mal kurz und stichpunktartig, schließlich ist bald Weihnachtspause:

Zwischen-Klausur Ethik

Ich habe versucht, zu rekonstruieren, wann ich zuletzt einen Test geschrieben habe, und ich denke, das war die „Statistik 2“-Klausur im Sommersemester 2011. Das ist also 11,5 Jahre her. Diese Zwischen-Klausur fand online statt, man konnte theoretisch cheaten (aber wer würde das ausgerechnet in einer Ethik-Klausur tun!?) und man musste sie noch nicht mal bestehen – nur die Teilnahme ist Voraussetzung für die Zulassung zur „richtigen“ Klausur am Ende des Semesters. (Da wird man dann wohl auch in Präsenz ohne Hilfsmittel sitzen und daher nicht unterschleifen können.)

Theoretisch hatten wir 30 Minuten für das Beantworten von 5 einfachen und 5 komplexeren Multiple-Choice-Fragen; ich war nach 8 Minuten fertig. Die Endklausur wird allerdings auch „Essay-Fragen“ beinhalten, da kommt man also nicht so schnell durch. Ich hatte ja gehofft, dass man die Ergebnisse direkt oder zumindest nach Ende des Prüfungszeitraums bekommt, aber das war leider nicht der Fall.

Veranstaltungen

  • Geschlecht und Religion (G&R): die letzte Woche erwähnten Marienerscheinungen in Marpingen; Eindruck nach der Diskussion: Es ist faszinierend, wie hier allen alles entglitten zu sein scheint. Den Kindern die Hoheit über ihre Vision, den lokalen Behörden die Kontrolle über den Fortgang und die Pilgernden, dem fernen preußischen Staat die Kontrolle über sein entsandtes Heer, dem lokalen Klerus die Kontrolle über ihre Herde, dem ultramontanen Klerus die Deutungshoheit über Wahrheit und Göttlichkeit, …
  • GT-Ringvorlesung: Wir haben diskutiert, wie man die jeweiligen Selbstvorstellungen der Disziplinen (politische Theorie, Philosophie, Zeitgeschichte, Sozialpsychologie, …)
    • a) etwas „einführungsorientierter“ gestalten und
    • b) etwas besser in einen „roten Faden Gesellschaftstheorie“ integrieren kann. Gerade das finde ich sehr sinnvoll. Wir haben eigentlich keinen anderen Ort, um uns darüber zu verständigen, mittels welcher Methoden und Modelle wir uns Phänomenen und Disziplinen nähern.
  • Körper: Von Phänomenologie bis Plessner – und zum Start gab es ein kleines Fühl-Experiment.

Lektüren

  • G&R: Ein Text über die Emanzipation des Judentums und den Wandel der Frauenrolle im 19. Jhd.; lies: die Anpassung an (eher protestantisch-) bürgerliche Vorstellungen
  • Kant: Es geht wohl um Zwecke, leider kam ich noch nicht zur Lektüre. Zwanzig Seiten in der Akademie-Ausgabe!
  • Körper: „Posthumanistische Performativität“ als Gegenentwurf zu „habits of mind that grant language and other forms of representation more power in determining our ontologies than they deserve“. Puh.
  • Ringvorlesung: Zwei geschichtswissenschaftliche Texte über die Probleme von Zeitgeschichte.

Ich habe diese Woche mal versucht, mein Lese-Pensum zu überschlagen, aber ich scheitere an der schweren Vergleichbarkeit der Texte. 20 Seiten Kant sind anspruchsvoller als 20 Seiten manches Aufsatzes über Religionsgeschichte. Eine Journal-PDF-Seite hat mehr Anschläge als eine gescannte Seite aus einem groß gesetzten Buch. Und je nachdem, ob man die Fußnoten mitliest oder übergeht, können aus 20 gesetzten Zeichen schnell 15 oder 25 werden.

Ich würde aber grob sagen, das Pensum liegt irgendwo Richtung 120-150 Seiten pro Woche – Blockseminar- und Lektürekreistexte anteilig einberechnet. Das bedeutet dann etwa 20 Seiten je belegter Veranstaltung und Woche.


Beitragsbild: Nein, das war ich nicht, das habe ich schon so vorgefunden.

Der Beitrag Woche acht: Erste Prüfung, eine Hörsaal-Besetzung und – was ist eigentlich ‚Ethik‘? erschien zuerst auf Dennis Schmolk.

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