WS24/11: Der letzte lange Jena-Abschnitt, Homöopathie und Stipendien

Die Sprache spielt nur mit sich selbst. Ihre reine Form ist das Schwatzen. […] Wenn man ihren inneren Möglichkeiten gehorcht, und nur so, erzeugt man große Gedanken. (Luhmann, GdG, Bd. II, 994f)

Insgesamt fällt es mir nicht besonders schwer, wissenschaftliche Texte zu fabrizieren. Eine der größten Herausforderungen dabei finde ich den Wechsel zwischen „Lesen“ und „Schreiben“. Das ist eigentlich verwunderlich, denn „Lesen“ bedeutet ja auch immer Notieren, Exzerpieren, Zetteln, also: Schreiben.

Über den Jahreswechsel habe ich einen ersten Rohentwurf der Masterarbeit geschrieben (zu lang, noch falsche Schwerpunkte und es fehlt noch was). So schwierig ich es fand, dafür die Lektüre zu verlassen, so schwer fällt es mir nun, mich wieder aufs Lesen zu konzentrieren. Oder anders: Ein Langtext ist etwas ganz anderes als Zettel.

Homöopathie

Schon länger hat der Bundesgesundheitsminister über diese Einsparung nachgedacht, nun macht er Ernst: Weil Globuli und vergleichbare Mittel nachweislich nicht wirken, sollen die Kassen dafür nicht mehr aufkommen. (SZ)

Es passieren noch Zeichen und Wunder (auch gegen die Wundergläubigkeit). Man muss sich den Satz aber natürlich auf der Zunge zergehen lassen: Es war immer schon klar, dass sie „nachweislich nicht wirken“, aber erst durch Sparzwänge wird mit dem Quatsch aufgehört. Das wiederum sollte aber nicht zum Wunderglauben an die ordnende Kraft der Märkte führen, denn ökonomisch ist der Schritt irrelevant: „Für Homöopathie geben die gesetzlichen Krankenkassen im Jahr nicht mehr als zehn Millionen Euro aus – ein verschwindend geringer Posten angesichts von Gesamtausgaben von knapp 300 Milliarden Euro.“ Vielleicht geht es eher um eine Mentalitätspolitik, die nach den „Schwurbeleien“ der letzten Jahre wieder verstärkt auf medizinische Evidenz führen soll, auch wenn die ökonomische Evidenz fehlt …? Wir leben in interessanten Zeiten.

Sabbatical-Logistik: Die Präsenzzeit endet bald!

Die Tage sind gezählt: Mit diesem Semester endet ja die Präsenzzeit in Jena, und dieses Semester endet in 4 Wochen. Danach muss dann die MA fertig werden. Aber das geht auch von Nürnberg aus.

Ende der Unterkunft in Zwätzen

Ende Februar endet auch mein Mietvertrag in Zwätzen. Dann muss ich noch all meine Kleinigkeiten (von Kleidung bis Monitor, aber zum Glück keine Möbel) heimbringen. Ich werde Jena auch danach noch besuchen, aber dann per Ferienwohnung o.ä. — und damit auch zentraler als Zwätzen.

Jetzt steht der letzte längere Zeitraum dort an: Dienstag, 9.1. bis einschl. Do, 18.1. Insgesamt hat sich dieses Semester nicht so richtig gelohnt, von 10 Wochen war ich 4 krank. Und nur ein Mal, bisher, übers Wochenende hier.

Traurig?

Ich würde sagen, ein lachendes und ein weinendes Auge. Ich werde den zweiten Wohnsitz und die Erlebnisse in Jena vermissen, und vor allem die Zwätzener Hügel (siehe Beitragsbild).

Aber allmählich ist es auch gut, wieder etwas weniger Geld auszugeben. Und das Pendeln fängt an, zu nerven. Selbst, wenn alles immer klappen würde, fände ich das Pendeln langsam anstrengend. Klappen tut es aber ja nicht so richtig …

GdL-Streik und Bauernaufstände

Nur, wenn was nicht funktioniert, wird einem klar, wovon man eigentlich abhängig ist. Ich bin mit diesem temporären Lebensentwurf sehr abhängig von der Bahn. Das torpediert bzw. gefährdet so ein GdL-Streik.

Zum Glück hat ein Treffen des „Deutschen Beamtenbundes“ den Streik hinreichen aufgeschoben, nämlich auf Mittwoch, dass die geplante Fahrt am Dienstag klappte. Da ich diese Woche auch eine Seminarleistung erbringen muss (s.u.), ist es schon relevant, ob ich es nach Thüringen schaffe. Außerdem habe ich Begleitung. Nach dieser Woche fände ich es zwar sehr schade, etwas zu verpassen — gerade da, wo nicht so viele Leute kommen, ist das auch ein Gewissensproblem –, aber nicht tragisch. Wir werden sehen.

Die „Bauernproteste“ waren in Zwätzen gut sichtbar. Jedenfalls scheint die Blockade der Straßen mit schweren Maschinen eine wirksamere Protestform zu sein als mit dem eigenen, wenn auch angeklebten Körper. Thomas Müntzers Bauern hatten zwar Wagenburgen, aber sonst wohl nicht viel. Die waren also eher wie die „letzte Generation“, wenn auch nominell nicht gewaltfrei. (Praktisch aber wohl doch, denn offenbar ließen sie sich ja in der Schlacht bei Frankenhausen einfach niedermachen.) Das ist bei den heutigen Bauernaufständen anders. Traktoren wiegen mehr als Dreschflegel.

Uni

Der wesentliche Anlass, mich jetzt anderthalb Wochen in Jena aufzuhalten, ist natürlich nicht das Wandern oder der Besuch von Kino, Mensa und Museen, sondern: studieren.

MA-Formalia: Obsidian, LaTeX, Zeit und Länge

Ich habe ein paar Zeilen über meinen MA-Workflow ausgelagert. Hier entlang.

S&G: Bakhtin, Voloshinov und Co.

Die Lektüren für dieses Seminar finde ich meist nicht ganz einfach, weil ich keinen wirklichen Anker in der Sprachphilosophie habe. Immer noch nicht, allen MA-Recherchen zum Trotz.

Diesmal ging es um Mikhail Bakhtin und sein Umfeld in einem Text von David McNally. Da geht es um die Rückeroberung der Sprache durch „Unterdrückte“, Subalterne; etwa im (mittelalterlichen) Karneval und dessen Bearbeitung in einem „grotesque realism“: „a direct and graphic way by bringing everything into contact with the lower stratum of the body — with eating, drinking, defecating, urinating, copulating, and birthing.“ Dieser Bruch mit den Sprachnormen der herrschenden Klassen ist subversiv. Ich frage mich nur: Geht es da vor allem um die Sprache, oder nicht eher um die geschilderten Praktiken …? Wo geht es um Sprache (des Volkes), wo um „Kultur“; wo um Literatur- und wo um Sprachkritik? Wovon unterscheiden wir hier „Sprache“ überhaupt?

In der Sitzung klärten wir einige Begriffe — und langsam, ganz langsam schält sich ein bisschen was zum thematischen Kern raus: Gibt es „Eigenschaften“ „der“ „Sprache“, die kritisches Potenzial stützen? Für meinen Essay gehe ich der Idee nach, dass (nach Luhmann) Sprache die Negationsfähigkeit in die Welt bringt; man kann verneinen, ablehnen, das Gegenteil sagen. Und das scheint mir doch die Bedingung für Kritik zu sein.

Fußball: Sozialkapital?

Eine altgediente These lautet: „Vergemeinschaftung führt zu Sozialkapital, das Individuen dann insgesamt stärker, auch politisch und zivilgesellschaftlich, involviert“. Das scheint zumindest bei Fußballfans nicht zu stimmen; Fußball führt laut einem Text von Mike Schäfer und Jochen Roose nicht zu mehr Involviertheit.

K&Ü: Luhmann-Protokoll!

Eine zweite Sitzung zu „Die Wirtschaft der Gesellschaft“, Kapitel 6: „Knappheit“ — und ich durfte protokollieren.

Die Einordnung des Arbeits-Begriffs fanden wir relativ unisono nicht ganz befriedigend, und mir fiel auf, dass der symbiotische Mechanismus der Bedürfnisse bzw. des Konsums nicht vorkommt. Nach einer kursorischen Suche im ganzen Buch glaube ich, dass er schlicht nicht behandelt wird. Irgendwo habe ich gelesen (aber nicht verzettelt), dass das Buch ein Schnellschuss war, damit Luhmann noch vor dem Erscheinen von Dirk Baeckers Dissertation (zu „Information und Risiko in der Marktwirtschaft“) damit herauskommen konnte. Würde zeitlich passen, beide Arbeiten erschienen 1988 bei Suhrkamp.

Hier abschließend ein hübscher Kerngedanken zur Arbeit: Arbeit transformiert Sklaverei in Freiheit. Aus „nur die Sklaven müssen arbeiten“ wird „jede(r) muss arbeiten“, und zudem muss jede(r) diese seine bzw. ihre Arbeit verkaufen — und daher Händler(in) werden. Das sorgt für die gesellschaftsweite Verbreitung von Händler-Eigenschaften wie „Friedlichkeit, Ehrlichkeit, zumindest Angewiesenheit auf guten Ruf, Sorgfalt, Genauigkeit usw.“ Also sind nun alle frei, Arbeitstiere zu sein.

Workshop „Promotionsstipendien“

Irgendwann promovieren wäre schon cool. Vielleicht wieder als Sabbatical in einigen Jahren. Denn von einer „klassischen“ akademischen Karriere mit all den Abhängigkeiten, merkwürdigen Beschäftigungsverhältnissen und der Gebundenheit an Präsenz fühle ich mich eher abgeschreckt.

Da bleibt dann aber die Frage, wie man ein (langes) Sabbatical bzw. eine Teilzeitpromotion finanziert. Mehrere Jahre nur einen Bruchteil des Normalen zu verdienen, würde eine Gehaltssteigerung erfordern, die ich nicht für realistisch halte. Also wäre meine grobe Idee: Teilzeit arbeiten und das Promovieren per Stipendium finanzieren; man stückelt sich ein solides Gehalt zusammen. Daher war ich bei einem Workshop zum Thema „Stipendien“ — vom Überblick über diese Finanzierungsform bis hin zum „Bewerbungstraining“.

Erkenntnisse

Erste Erkenntnis: Die meisten Stipendien großer Stiftungen (Parteien, Religionsgemeinschaften, Studienstiftung), die den Lebensunterhalt finanzieren, erlauben nur 10 Stunden (25%) „Nebentätigkeit“. Dafür gibt es dann recht viel Geld, s.u., und das steuerfrei (aber auch ohne Beiträge zur Sozialversicherung). Man kann wohl mit den Stiftungen reden, aber das ist die Regel. Also kommt eine Aufstockung eines 50- oder 70%-Gehalts eher nicht in Frage.

Zweite Erkenntnis: Diese Stiftungen sind sehr „wertegebunden“. Man muss also auch eine Ideologie oder Werte teilen. Das kann man auch, wie einige Teilnehmende, sehr unsympathisch finden. Zudem: Man muss diese Werte — ganz wichtig! — qua Engagement nachweisen. So ging es denn auch kurz darum, wie man denn zu „Engagement“ im Lebenslauf kommt. Aber die Faustregel bleibt: Ohne nachvollziehbare „Engagementbiographie“ sollte man sich eher an kleine Stiftungen halten, die man z.B. via e-fellows-Datenbank finden kann. (Da gibt es Perlen wie „Förderung bedürftiger Kinder von Zahn-, Tier- und Allgemeinärzten“.)

Dritte Erkenntnis: Das ist alles gesetzlich oder qua „AGB“ relativ klar geregelt. Deutschland will möglichst viele Promovierte, und daher werden Leute auch jeweils nur einmal gefördert. Also kann man nicht „Stipendien aneinanderstückeln“. Und man kann nicht zwei parallele (Lebenshaltungs-)Stipendien großer Stiftungen haben.

Vierte Erkenntnis, aber eigentlich klar: Man muss sich verkaufen. Die großen Stiftungen erwarten eine sehr persönliche (und „authentische“) Bewerbung, die einen positiven Ausblick liefert. Nihilismus dürfte eher kein Wert sein, den man betonen sollte. Das Ganze ist eine Bewerbung — nur dass man nicht so sehr eine Arbeitsfähigkeit, sondern eine Persönlichkeit verkauft. Aber es geht durchaus um viel Geld — bei den großen Stiftungen gibt es bis zu 3 Jahre lang 1500–1700 Euro pro Monat. D.h., da geht es um 60.000 Euro. Dafür kann man ein bisschen arbeiten.

Und die Atheisten?

Fünfte Erkenntnis: Es gibt keine volle atheistisch-agnostische Stiftung im Sinne „staatlich anerkannter und geförderter Begabtenförderungswerke“. HVD und GBS haben zwar die „Bertha von Suttner“-Stiftung, die aber kein „Begabtenförderungswerk“ ist: „Zugelassen sind Studierende aller Fachbereiche, Studienanfänger*innen wie Promovierende. Da das Bertha von Suttner-Studienwerk im Unterschied zu den religiös ausgerichteten Förderwerken noch keine staatliche Finanzierung erhält, können Promovierende und Studierende derzeit nur mit einem Förderbetrag von 300 Euro im Monat unterstützt werden.“ (Quelle)

Das könnte doch mal eine Lebensaufgabe sein: vollwertige Stipendien für Nichtreligiöse. Nachdem wir Homöopathie nicht mehr fördern, könnten wir mit restlichem Gespensterglauben ja auch mal aufhören. Wenigstens strukturell.

Fazit

Ein sehr guter Workshop mit Teilnehmys, die alle hochmotiviert und interessiert waren. Nach diesem Workshop weiß man, was man für eine Stipendienbewerbung wissen muss. Oder anders: Wer sich für ein Stipendium interessiert, sollte so einen Workshop besuchen.

Insgesamt sehe ich das Stiftungswesen danach eher kritisch. Ob nicht etwa die Anforderung „Engagement“ (das man sich ja auch leisten können muss) zur Reproduktion sozialer Ungleichheit führt? … und ob nicht vor allem Engagement geleistet wird, um es sich in Stipendien wieder auszahlen zu lassen? … und ob darüber nicht auch immer wieder kostenlose Arbeitskräfte für NGOs gewonnen werden, die eigentlich Unternehmen sind (oder Sekten)? Andererseits ist es für die gesellschaftliche Funktion ja vielleicht egal, welche Motivation für Engagement vorliegt.

Ich sehe mich jedenfalls noch nach anderen möglichen Förderungen um.

PS: Wusstet ihr, dass Host Mahler, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin zu den „Studienstiftungs“-Stipendiatys gehörten? Daraus hat man aber scheint’s gelernt, spätere Terroristen mussten sich selber finanzieren.


Beitragsbild: Zwätzen im Winter.

3 Gedanken zu „WS24/11: Der letzte lange Jena-Abschnitt, Homöopathie und Stipendien“

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