WS24/W09: Warum mögt ihr True Crime? (Plus: Die Gema und der Weihnachtsmarkt)

Die Soziologie hat immer schon gewusst, dass in ihrem Bereich wissenschaftliche Prognosen unmöglich sind.
(Luhmann, Klappentext „Die Kontrolle von Intransparenz“)

tl; dr: Warum mögt ihr True Crime? Und welche Formate genau? Schreibt es in die Kommentare, oder schreibt mir per Mail/Messenger/Brieftaube.

Wieder nicht viel Uni diese Woche — wegen der Großbaustelle zwischen Nürnberg und Bamberg bräuchte ich über 4 Stunden nach Jena, allfällige Verspätungen nicht eingerechnet. Das ist mir tatsächlich noch zu anstrengend, obwohl ich wieder einigermaßen fit bin, an einer Firmen-Weihnachtsfeier teilnehmen konnte und langsam auch wieder der Erlebnishunger wächst.

Warum guckt, hört, lest ihr True Crime?

Ich überlege, den momentanen True-Crime-Trend als emotionshistorisches Fallbeispiel in meine Masterarbeit aufzunehmen. Ob es besonders viel Platz bekommen wird, kann ich noch nicht garantieren. Aber mich interessiert in den Kommentaren: Was ist euer Grund dafür, Medienformate mit realen Kriminalfällen zu konsumieren? Und mich würde auch interessieren, welche Formate genau ihr rezipiert und was sie auszeichnet, aber das ist optional. Dankeschön!

Gema und Weihnachtsmärkte

Gema-Bashing geht ja eigentlich immer. Ich bin seit jeher nicht besonders überzeugt von unserem Urheberrecht, insbesondere nicht von der unfassbaren 70-Jahr-post-mortem-Regelung, also dass noch 3 Generationen nach dem Tod eines Urhebers oder einer Urheberin die Werke auswerten dürfen. Die Standardbehauptung, nur so werde Innovation gesichert, greift finde ich nicht; Open Source und Creative Commons stellen unter Beweis, dass „Qualität“ und „juristische Auswertungsverbote“ nicht viel miteinander zu tun haben. Und: Die allermeisten Kreativen können von ihren Werken sowieso nicht leben, da kommen sowohl per Gema als auch per Streaming Cent-Beträge im Jahr zusammen.

Aber die momentane Gema-und-Weihnachtsmärkte-Debatte kann ich auch nicht nachvollziehen. So etwa Nordbayern zum Nürnberger Christkindlesmarkt schon im Oktober:

Man sei „aus allen Wolken gefallen“, sagte Marco von Dobschütz-Dietl, Leiter des Nürnberger Marktamtes in einem Interview. Musikgebühren für den diesjährigen Christkindlesmarkt, welcher am 1. Dezember beginnt, liegen voraussichtlich bei über 29.000 Euro – bisher waren es 1500 Euro. Verzichten wolle man auf Musik deshalb aber trotzdem nicht.

Meine erste Verwunderung: Nürnberg hat für einen Monat Markt mit großem Musikprogramm bislang nur 1500 Euro bezahlt …?

Was sagen die Zahlen?

Ich habe dann mal kurz recherchiert und gerechnet (das mache ich ja gerne). Der Christkindlesmarkt hat laut einem BR-Artikel ca. 2 Millionen Gäste und bringt der Stadt einen zusätzlichen „Umsatz von 180 Millionen Euro“. Das heißt:

  • Pro Besuchy kostet die Musik nun also 1,5 Cent.
  • Die 29k Euro sind gerechnet auf den Zusatzumsatz 0,1 Promille. Also gar nichts.
  • Es nehmen ca. 200 Händler mit 180 Buden teil (Quelle). Pro Unternehmen also 145 Euro, pro Bude 160 Euro.

Bei 24 Markttagen kommt da ein Fünfer am Tag an Kosten dazu, grob gesagt. Also etwas mehr als ein Glühwein, wobei jede Bude der Stadt 1 Million an Umsatz beschert. Also egal, ob man auf Umsatz, Gewinn, Standgebühren oder was auch immer rechnet — ein Fünfer am Tag macht einfach keinen Unterschied bei achtstelligen beträgen. Daher kann ich (leider, siehe oben) der Gema an der Stelle nur zustimmen:

Nadine Remus ist GEMA-Kommunikationschefin. An der Debatte ärgert sie, dass der Eindruck erweckt werde, es handle sich bei den Weihnachtsmärkten um „karitative Veranstaltungen“. „Weihnachtsmärke sind eben auch ein starker Wirtschaftsfaktor.“ Die großen Märkte seien „wirtschaftlich relevante Events“. (tagesschau)

Und:

Was ist eigentlich mit den Musikschaffenden …?

Die Musik auf den Märkten sorge für die entsprechende Stimmung und sei deshalb ein relevanter Umsatzfaktor. „Genutzt werden dafür Songs und Musikwerke, die wiederum von Menschen komponiert, getextet, also durch Leistung erschaffen werden. Daher fragen wir: Ist die Leistung der Komponisten und Textdichter nichts wert, sollen die Urheberinnen und Urheber ihr geistiges Eigentum verschenken?“, so Remus.

Das frage ich mich auch: Was sagen Künstlys dazu, dass Besuchys jeweils 1–x Stunden Musik für 1,5 Cent hören (und währenddessen vermutlich für 10–30 Euro konsumieren)? Das ist ja Sub-Spotify-Niveau.

Offene Fragen

Ich fände mal einen richtig recherchierten Artikel dazu super.

  • Wer genau zahlt was an die Gema, und wofür genau? Entrichten Budenbetreiber mit eigener Musik nochmal extra? Oder haben die Buden alle keine Musik? Oder ist das da mit drin?
  • Wie rechnet das wer ab — aus welchem Topf der Stadt wird das bezahlt?
  • Wer bekommt dieses Geld von der Gema ausgeschüttet, also bei welchen Künstlys landet das?
  • Wie finden es Künstlys, dass einer der größten Weihnachtsmärkte der Welt bislang nur 1500 Euro pro Saison (!) für das gesamte Musikprogramm bezahlt hat?

… aber ich wette, da käme dann kein Aufreger-Artikel mehr raus.

PS: Es lohnt sich, mal wieder Eure Mütter zu hören. Nicht subtil, aber witzig. Danke, Gema!

Uni

Auch in Abwesenheit kann man ja so einiges tun.

Anmeldung der MA

Zwei Hürden waren noch zu nehmen: Es wurden trotz zweier neu verbuchter Leistungen der letzten Woche weiterhin nur 50 ECTS angezeigt, und für die Anmeldung braucht’s 60. Erst eine Mail ans Prüfungsamt schuf Abhilfe, denn „hier lag scheinbar ein technischer Fehler vor. Wir haben Ihr Konto neu generiert und die Leistungspunkte werden nun korrekt angezeigt.“

Und mir fehlte noch eine Unterschrift auf dem Anmeldebogen. Durch einiges Herummailen konnte ich einen entsprechenden Scan organisieren (ich halte schon echt viele Leute beschäftigt mit meinen Formalia). Und nun ist die Arbeit zum 15.12. angemeldet. Hooray 🙂

Sabbatical-Zeiträume

Und ein weiterer Orga-Punkt steht an: Eigentlich müsste ich ja den halben Februar und den ganzen März in meinem Hauptjob arbeiten — wie in den ersten Semesterferien https://dennisschmolk.de/tag/semesterferien/ . Insgesamt ist das aber nicht sehr sinnvoll, weil man in den 7 oder 8 Wochen nicht wirklich etwas tun kann; zwei Wochen wieder einarbeiten, zwei Wochen am Ende Übergabe, und zwischendrin kann man sich ja auch nicht wirklich um Relevantes kümmern, das potenziell länger dauert. Davon hat also weder die Firma noch das Arbeitnehmy etwas.

Daher möchte ich den SS-Zeitraum an den WS-Zeitraum einfach dranhängen, also erst wieder am Mitte Mai arbeiten. Das passt auch optimal zur Master-Arbeit. Entsprechende bürokratische Schritte habe ich nun eingeleitet, und es sieht auch so aus, als würde diese Win-Win-Situation allen Beteiligten zusagen.

Fußball: Professionalisierung und Kommerzialisierung

Mich überrascht, dass Profi-Fußball in Deutschland erst nach dem Krieg durchgesetzt wurde. Aus einem Text von Peter Czoch erfahren wir, dass sich Fußball in Deutschland lange schwer tat. Erst stand es im frisch gegründeten Reich im Schatten der Turner-Bewegung, die wesentlich eher Anerkennung und „Ehre“ verhieß. Dann wurde gegen die „dekadente Entartung“ des Professionalismus unter Arbeitern gehetzt, schließlich unterbanden die Nazis den „Materialismus proletarischer Arbeiter“ als „jüdische[n] Kommerz“. Erst 1962 gab es so etwas wie „Profitum“, ab 1970/71 dann eine international konkurrenzfähige verbandsrechtliche Lösung. Krass! Und das im Land des Fußballs!

Hier endet dann auch die lokale Treue der Spieler an ihre Vereine, und es beginnt die (Inter-) Nationalisierung: Der Verein mit dem meisten Geld bekommt auch die besten Spieler, um diese dann zu vermarkten. Und damit erstarkt die Front Fans vs. Management, Publikum vs. Veranstalter.

Diese Kommerzialisierung hat aber diverse ambivalente Seiten, auch in ihrer Kritik; etwa die Tatsache, dass die Vermarktlichung auch dazu führte, dass die Vorherrschaft weißer männlicher Zuschauer aufgeweicht wurde — damit die Zielgruppe wächst (und natürlich nicht aus diversity-Gründen). Dadurch wiederum wird alles teurer, und also sozioökonomisch neue Ungleichheit geschaffen. (Naja, aber die Plätze im Stadion sind ja nunmal auch begrenzt …)

K&Ü: Luhmann!

Für kommende Woche zu lesen: 60 Seiten aus „Die Wirtschaft der Gesellschaft“. Den Anstreichungen in meinem PDF entnehme ich, dass ich hier zumindest ein paar Passagen über die Parallelen zum Religionssystem (und zur Moral) schon einmal gelesen habe … Ich werde im Januar über eine zweite Luhmann-Sitzung Protokoll führen und dann mehr dazu schreiben.

S&G: Gendern

Nach einem eher langatmigen Text von Bourdieu über die legitime Sprache gibt es für nächste Woche einen „vermittelnden“ Aufsatz von Simon Kasper über Gendern: „Sprachideologien in der öffentlichen Debatte um geschlechtergerechte Sprache“. Der Artikel findet sich auf seiner Website und ist kurzweilig zu lesen.

Sonstige Lektüren: Flanieren!

„Flaneur“ ist eine Rolle, mit der ich mich fast immer anfreunden kann. (Ich sollte doch endlich mal eine Ausgabe des entsprechenden Magazins lesen.)

Umso schöner finde ich, dass ich jetzt — nachdem das MA-Thema in trockenen Tüchern ist — auch Zeit für flanierende Lektüren habe. Also etwa einer Randbemerkung von Helmut Staubmann im „Soziale Systeme“-Heft zu Gefühlen nachgehen kann, die mich auf die Spur eines Aufsatzes Luhmanns („Wahrnehmung und Kommunikation sexueller Interessen“) führt, den ich dann auf den Umwegen des Internets — denn die Thulb hat den zugehörigen Sammelband nicht lizenziert — finde, um in dessen Umfeld dann anderes Spannendes zu finden („Fragmente zur Eifersucht, zum Eifersuchtsmord und zur Eifersuchtstherapie“ von Ernest Bomemann).


Beitragsbild: Nightcafe zu einem „true crime“-prompt.

7 Gedanken zu „WS24/W09: Warum mögt ihr True Crime? (Plus: Die Gema und der Weihnachtsmarkt)“

  1. Ich mag auch kein True Crime und verstehe die Faszination daran nicht.

    Wie ist „Wahrnehmung und Kommunikation sexueller Interessen“, was du nebenbei erwähnst? Lohnt sich da die Lektüre?

    Antworten
    • Es geht darin v.a. um die Probleme, die kulturelle Semantiken für die Wahrnehmung von Körpern (durch Körper) bereitstellen … und es geht tatsächlich mehr um die Inkommunikabilität der Wahrnehmung als um „Sex“, insofern könnte man leicht enttäuscht sein. (Mir ging es aber darum, denn Luhmann hat ja ansonsten nicht so sehr viel zum Körper geschrieben …) Das kulminiert dann in Erkenntnissen wie: „Deshalb suchen Liebende zwar die Kommunikation – aber eigentlich nicht um der Kommunikation willen, sondern um einander beim Kommunizieren beobachten zu können.“ Wo definitiv etwas dran ist.

      Ein längerer Auszug:

      „[Hier] zwei exemplarische Überlegungen. Die erste betrifft die verbreitete Forderung nach einem Prozeß des Lernens und nach einer Art von „Leistungsverbesserung“ auf dem Gebiet der Sexualität. Man kann sich der Berechtigung dieses Gedankens kaum entziehen, und zweifellos ist auch Wahrnehmung ein Resultat vorheriger Lernprozesse. Dennoch ist ein Programm dieser Art natürlich ein kognitives Programm und suggeriert, daß man die Gegenwart unter dem Gesichtspunkt von Rückschlüssen auf Fehler und auf Verhaltensmodifikation, also im Hinblick auf eine Zukunft erlebt. Gerade dies sabotiert jedoch die Ausschöpfung dessen, was sich im aktuellen Moment bietet. Es stört die im Moment mögliche Simultaneität Wahrnehmung und Kommunikation sexueller Interessen des Erlebens, weil Lernleistungen naturgemäß auf der Verschiedenheit der Perspektiven beruhen und die Beteiligten mit dieser Intention nicht „dasselbe“ lernen können. Und vollends wird dieser Imperativ des Lernens absurd, wenn er dazu führt, daß der eine genießt, während der andere lernt.“

      (Genießen meint hierbei „wahrnehmen“ im Sinne der Unterscheidung.) Ich finde das ganz witzig, aber ob es einen in sexueller Hinsicht weiterbringt, würde Luhmann bezweifeln, und bezweifle auch ich.

      Antworten

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