SS23/W13: Nürnberg, tote Fische und Sozialdemokratie

Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen,
die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt. (Otto von Bismarck)

Nach dem zweiten Wochenendseminar in Folge – s.u. – habe ich mich erstmal nach Franken zurückgezogen. Daraus resultierten Grillabende, Spieleabende, Treffen mit langvermissten Kollegys etc. Völlig ignorieren kann ich die Uni natürlich nicht, aber es ist eine angenehme Mischung aus unterhaltsamem Arbeiten und reinem Privatvergnügen.

Nürnberg

Am besten kann man diese Nürnberg-Woche eigentlich anhand der gespielten Spiele charakterisieren:

  • Talisman (very retro!)
  • Baldurs Gate II: SoA (ein paar Stunden, weil wir nach der Runde „Talisman“ über DnD-Klassen sprachen)
  • Cthulhu Wars: Duel
  • DSA (wir kommen inzwischen leider nur noch durchschnittlich alle 3 Monate dazu, an unserer Kampagne weiterzuspielen …)
  • Rats in The Wall (kurzweilig, wenn man Bluff-Spiele mag)
  • Scout
  • Dorfromantik (euphemistisch gesagt: ziemlich entspannend.)
  • ein Deckbuilding-Spiel, wo man die eigene Gemüsekiste von Artischocken befreien muss – den Namen habe ich vergessen
  • Nova Luna (hübsch gemacht und taktisch tief, ich frage mich, wie zufallsabhängig das ist)

Fotos siehe ganz unten.

Ansonsten: Uni, Lektüren, Freundys treffen und erste Vorarbeiten am nächsten dpr-Sonderheft Bibliotheken.

Ferdinand Salle und der tote Fisch

Schon bei meinem ersten Besuch im Stadtmuseum Jena war mir ja der tote Fisch aufgefallen, der das Logo der „Porzellanmanufaktur Burgau Ferdinand Selle in Burgau-Göschwitz“ ziert. Dazu habe ich in der Jenaer Stadtbücherei neue Erkenntnisse gewinnen können:

Der Fisch soll also ein „S“ darstellen, das wiederum für Selle bzw. für die Saale steht (was denn nun?). Leider schweigt sich auch dieses Buch (Birgit Hellmann, „Porzellanmanufaktur Burgau a.d. Saale Ferdinand Selle 1901 – 1929“) aus, wieso der Fisch so tot aussehen muss … naja …

Gefühle: Ergebnisse

Insgesamt kamen 17 Datensätze rein. Ich habe den Bogen auch ausgefüllt und alle 10 Begriffe genommen – damit war ich nicht allein, aber die meisten Teilnehmys haben 6 (Mittelwert sowie Median) Begriffe ausgewählt. Hier das Ranking:

GefühleAnzahlAnteil
Humor318 %
Toleranz529 %
Ehre529 %
Begehren741 %
Sentimentalität953 %
Appetit1165 %
Lust1376 %
Neugier1376 %
Müdigkeit1376 %
Wut17100 %

Wut war die einzige inhaltliche Konstante; alle Befragten haben „Wut“ als Gefühl eingeordnet. Am schwierigsten fand ich selber „Humor“ zu bewerten, und so ging es euch auch: Nur 3 Leute haben das als Gefühl kategorisiert. Humor kann man aber ja auch als Haltung oder Charaktereigenschaft verstehen.

Spannend fand ich, dass es bei den „Körpergefühlen“ Appetit und Müdigkeit eine Diskrepanz gab — ich hätte gedacht, wer das eine nimmt, nimmt auch das andere. Ebenfalls etwas überraschend war, dass nur ein Drittel „Ehre“ als Gefühl eingeordnet hat. Vielleicht liegt das daran, dass es auch noch das Wort „Ehrgefühl“ gibt und man „Ehre“ davon unterscheidet? Das gleiche Problem könnte bei „Toleranz“ bestehen.

Dass „Begehren“ nur 41%, „Lust“ aber fast doppelt so viele als Gefühl verstehen, erschließt sich mir nicht ganz — ich hätte Probleme, das trennscharf zu unterscheiden.

Was sagt uns das jetzt? Das mit den Gefühlen ist, wie schon oft gesagt, ziemlich schwammig. Vielleicht bekäme man präzisere Ergebnisse, wenn man hier anbieten würde, die genannten Gefühlsbegriffe in Affekt/Emotion/Stimmung einzusortieren? Vielen Dank jedenfalls für eure Antworten!

RuS

Ein sehr vorbildliches Betreuungsverhältnis von 1:2 (Tag 1) bzw. 1:1,5 (Tag 2). Vulgo: Wir waren 4 bzw 3 Leute. Hat mir irgendwie trotzdem besser gefallen als die erste Sitzung im Mai. Wir wiederholten Diverses aus dem ersten Seminar und bewegten uns von ca. 1870 bis ca. 1990 – immer entlang von Parteiprogrammen, vor allem der SPD:

StadtJahrReligionspolitikEinordnung
Eisenach1969Laizismus, v.a. Bildungmarxist
Gotha1875Privatsachereformist
Erfurt1891Privatsache, strikte Trennungmarxist
Görlitz1921Privatsache, Trennung, Bildungreformist
Heidelberg1925kein Staatsgeld für Kirchemarxist
Godesberg1959Partnerschaft, Versöhnungreformist

Die ersten Programme entstanden übrigens deshalb auf (heutigem) Thüringer Grund, weil es da a) starke Industrialisierung und b) relativ liberale Landesherren gab. Natürlich besprachen wir auch Verweise auf kommunistische Parteien, auf Freidenkerverbände etc., die meist eine unversöhnlichere Haltung gegenüber der Religion und vor allem gegenüber den Kirchen an den Tag legten.

Ein schönes Zitat, das in einem Referat erwähnt wurde:

Die Religion ist eine Art geistiger Fusel, in dem die Sklaven des Kapitals ihre Menschenwürde und ihren Anspruch auf eine halbwegs menschenwürdige Existenz ersäufen. (Lenin, „Sozialismus und Religion“, 1905)

Das ist noch abwertender als „Opium des Volkes“, finde ich; Opium klingt ja noch nach einem angenehmen Rausch, nach bunten Träumen und geistiger Anregung (vgl. de Quincey). „Fusel“ klingt nach billigem, proletenhaftem Rausch und schweren Kopfschmerzen am nächsten Tag. Opium duftet; Fusel stinkt und macht blind. Opium regt an; Fusel tötet Hirnzellen. Und aus heutiger Sicht kann man hinzufügen: Fusel ist nach wie vor legal, Religion auch. Gegen Ende des zweiten Tages hörten wir dann auch das Lied der Partei, aus dem ich immer das Lied der PARTEI heraushöre …

Insgesamt hätte man das Seminar passender „Deutsche Sozialdemokratie und die Kirchen“ benennen können, denn es ging nur sehr am Rande um andere Religionen als Protestantismus/Katholizismus und v.a. um sozialistische Parteien. Mit dem Titel hätte ich das Seminar aber vermutlich nicht belegt.

Prüfungen

Bei den Prüfungen tut sich trotz guter Vorsätze, einfach zu chillen, auch was:

Musik

Der Essay ist eingereicht – vielen Dank, Sabine, für das ausführliche Feedback! Wer Interesse an der Lektüre von „Klanglosigkeit gebiert die Töne. Zur Rolle der Musik in der chinesischen politischen Philosophie: Ordnung, Harmonie, Vollendung bei Konfuzius“ hat, melde sich vertrauensvoll.

Mündliche AK/E&G

Beide Thesenpapiere sind „fertig“ bzw. harren des Feedbacks von Kommilitonys. Für AK gibt es noch eine Gruppensprechstunde, und ich hoffe nach wie vor, dass ich die Prüfung remote ablegen kann (sonst muss ich das irgendwie mit Home Office aus Zwätzen deichseln). Die E&G-Prüfung ist erst am 10.8., sodass ich da noch viel Luft und Zeit habe.

Briefe

Hier geht es langsam voran – ich lese einige Artikel zu Spanien und Deutschland in den 50ern und müsste meine Gliederung aktualisieren. Außerdem habe ich einige hundert Zeilen Brief-Exzerpte, die geglättet und in die Arbeit eingepflegt werden müssten.

Theosophie, again

Ich bastle an einer Fragestellung: Es muss um Religion und Sozialismus gehen, und dabei um Ideengeschichte, und dabei um Theosophie, Annie Besant, die Fabian Society und ggf. die Indian Home Rule Bewegung. Eine schöne soziologische Fragestellung wäre, wie Religion als motivationale Ressource für sozialistisches Engagement wirkt; und welche unintendierten Nebenfolgen das mit sich bringt. Eine historische Fragestellung wäre, wie sich das in der Realität z.B. in Indien abgespielt hat. Aber was genau wäre eine politikphilosophische Fragestellung …?

Eine Option, die mir erst jetzt beim Schreiben dieser Zeilen einfällt (danke, Lerntagebuch Blog!): Man könnte die theosophisch motivierte Gesellschaftskritik Annie Besants auch als Religionskritik lesen. Quasi eine sozialistisch motivierte „Religionskritik mit religiös-mystischen Mitteln“. Um das zu verifizieren, muss ich allerdings einige Aufsätze lesen und vor allem zum „Handbook of the Theosophical Current“ zurückkehren …

Nun wäre es auch spannend, ein kleines Feedback zu meiner Arbeit „Mythen, Mystik und Emanzipation. Über die Ambivalenzen der Theosophie“ zu bekommen, bevor ich wieder über die Theosophie schreibe. Vielleicht muss ich doch die Professorin mal nerven.


Beitragsbild: Spieleabend mit dem nostalgischen „Talisman“ von ca. 1995. Ich habe natürlich Monk gespielt.

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