SS23/W13: Nürnberg, tote Fische und Sozialdemokratie
Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt. (Otto von Bismarck)
Nach dem zweiten Wochenendseminar in Folge – s.u. – habe ich mich erstmal nach Franken zurückgezogen. Daraus resultierten Grillabende, Spieleabende, Treffen mit langvermissten Kollegys etc. Völlig ignorieren kann ich die Uni natürlich nicht, aber es ist eine angenehme Mischung aus unterhaltsamem Arbeiten und reinem Privatvergnügen.
Schon bei meinem ersten Besuch im Stadtmuseum Jena war mir ja der tote Fisch aufgefallen, der das Logo der „Porzellanmanufaktur Burgau Ferdinand Selle in Burgau-Göschwitz“ ziert. Dazu habe ich in der Jenaer Stadtbücherei neue Erkenntnisse gewinnen können:
Der Fisch soll also ein „S“ darstellen, das wiederum für Selle bzw. für die Saale steht (was denn nun?). Leider schweigt sich auch dieses Buch (Birgit Hellmann, „Porzellanmanufaktur Burgau a.d. Saale Ferdinand Selle 1901 – 1929“) aus, wieso der Fisch so tot aussehen muss … naja …
Gefühle: Ergebnisse
Insgesamt kamen 17 Datensätze rein. Ich habe den Bogen auch ausgefüllt und alle 10 Begriffe genommen – damit war ich nicht allein, aber die meisten Teilnehmys haben 6 (Mittelwert sowie Median) Begriffe ausgewählt. Hier das Ranking:
Gefühle
Anzahl
Anteil
Humor
3
18 %
Toleranz
5
29 %
Ehre
5
29 %
Begehren
7
41 %
Sentimentalität
9
53 %
Appetit
11
65 %
Lust
13
76 %
Neugier
13
76 %
Müdigkeit
13
76 %
Wut
17
100 %
Wut war die einzige inhaltliche Konstante; alle Befragten haben „Wut“ als Gefühl eingeordnet. Am schwierigsten fand ich selber „Humor“ zu bewerten, und so ging es euch auch: Nur 3 Leute haben das als Gefühl kategorisiert. Humor kann man aber ja auch als Haltung oder Charaktereigenschaft verstehen.
Spannend fand ich, dass es bei den „Körpergefühlen“ Appetit und Müdigkeit eine Diskrepanz gab — ich hätte gedacht, wer das eine nimmt, nimmt auch das andere. Ebenfalls etwas überraschend war, dass nur ein Drittel „Ehre“ als Gefühl eingeordnet hat. Vielleicht liegt das daran, dass es auch noch das Wort „Ehrgefühl“ gibt und man „Ehre“ davon unterscheidet? Das gleiche Problem könnte bei „Toleranz“ bestehen.
Dass „Begehren“ nur 41%, „Lust“ aber fast doppelt so viele als Gefühl verstehen, erschließt sich mir nicht ganz — ich hätte Probleme, das trennscharf zu unterscheiden.
Was sagt uns das jetzt? Das mit den Gefühlen ist, wie schon oft gesagt, ziemlich schwammig. Vielleicht bekäme man präzisere Ergebnisse, wenn man hier anbieten würde, die genannten Gefühlsbegriffe in Affekt/Emotion/Stimmung einzusortieren? Vielen Dank jedenfalls für eure Antworten!
RuS
Ein sehr vorbildliches Betreuungsverhältnis von 1:2 (Tag 1) bzw. 1:1,5 (Tag 2). Vulgo: Wir waren 4 bzw 3 Leute. Hat mir irgendwie trotzdem besser gefallen als die erste Sitzung im Mai. Wir wiederholten Diverses aus dem ersten Seminar und bewegten uns von ca. 1870 bis ca. 1990 – immer entlang von Parteiprogrammen, vor allem der SPD:
Stadt
Jahr
Religionspolitik
Einordnung
Eisenach
1969
Laizismus, v.a. Bildung
marxist
Gotha
1875
Privatsache
reformist
Erfurt
1891
Privatsache, strikte Trennung
marxist
Görlitz
1921
Privatsache, Trennung, Bildung
reformist
Heidelberg
1925
kein Staatsgeld für Kirche
marxist
Godesberg
1959
Partnerschaft, Versöhnung
reformist
Die ersten Programme entstanden übrigens deshalb auf (heutigem) Thüringer Grund, weil es da a) starke Industrialisierung und b) relativ liberale Landesherren gab. Natürlich besprachen wir auch Verweise auf kommunistische Parteien, auf Freidenkerverbände etc., die meist eine unversöhnlichere Haltung gegenüber der Religion und vor allem gegenüber den Kirchen an den Tag legten.
Ein schönes Zitat, das in einem Referat erwähnt wurde:
Die Religion ist eine Art geistiger Fusel, in dem die Sklaven des Kapitals ihre Menschenwürde und ihren Anspruch auf eine halbwegs menschenwürdige Existenz ersäufen. (Lenin, „Sozialismus und Religion“, 1905)
Das ist noch abwertender als „Opium des Volkes“, finde ich; Opium klingt ja noch nach einem angenehmen Rausch, nach bunten Träumen und geistiger Anregung (vgl. de Quincey). „Fusel“ klingt nach billigem, proletenhaftem Rausch und schweren Kopfschmerzen am nächsten Tag. Opium duftet; Fusel stinkt und macht blind. Opium regt an; Fusel tötet Hirnzellen. Und aus heutiger Sicht kann man hinzufügen: Fusel ist nach wie vor legal, Religion auch. Gegen Ende des zweiten Tages hörten wir dann auch das Lied der Partei, aus dem ich immer das Lied der PARTEI heraushöre …
Insgesamt hätte man das Seminar passender „Deutsche Sozialdemokratie und die Kirchen“ benennen können, denn es ging nur sehr am Rande um andere Religionen als Protestantismus/Katholizismus und v.a. um sozialistische Parteien. Mit dem Titel hätte ich das Seminar aber vermutlich nicht belegt.
Prüfungen
Bei den Prüfungen tut sich trotz guter Vorsätze, einfach zu chillen, auch was:
Musik
Der Essay ist eingereicht – vielen Dank, Sabine, für das ausführliche Feedback! Wer Interesse an der Lektüre von „Klanglosigkeit gebiert die Töne. Zur Rolle der Musik in der chinesischen politischen Philosophie: Ordnung, Harmonie, Vollendung bei Konfuzius“ hat, melde sich vertrauensvoll.
Mündliche AK/E&G
Beide Thesenpapiere sind „fertig“ bzw. harren des Feedbacks von Kommilitonys. Für AK gibt es noch eine Gruppensprechstunde, und ich hoffe nach wie vor, dass ich die Prüfung remote ablegen kann (sonst muss ich das irgendwie mit Home Office aus Zwätzen deichseln). Die E&G-Prüfung ist erst am 10.8., sodass ich da noch viel Luft und Zeit habe.
Briefe
Hier geht es langsam voran – ich lese einige Artikel zu Spanien und Deutschland in den 50ern und müsste meine Gliederung aktualisieren. Außerdem habe ich einige hundert Zeilen Brief-Exzerpte, die geglättet und in die Arbeit eingepflegt werden müssten.
Theosophie, again
Ich bastle an einer Fragestellung: Es muss um Religion und Sozialismus gehen, und dabei um Ideengeschichte, und dabei um Theosophie, Annie Besant, die Fabian Society und ggf. die Indian Home Rule Bewegung. Eine schöne soziologische Fragestellung wäre, wie Religion als motivationale Ressource für sozialistisches Engagement wirkt; und welche unintendierten Nebenfolgen das mit sich bringt. Eine historische Fragestellung wäre, wie sich das in der Realität z.B. in Indien abgespielt hat. Aber was genau wäre eine politikphilosophische Fragestellung …?
Eine Option, die mir erst jetzt beim Schreiben dieser Zeilen einfällt (danke, Lerntagebuch Blog!): Man könnte die theosophisch motivierte Gesellschaftskritik Annie Besants auch als Religionskritik lesen. Quasi eine sozialistisch motivierte „Religionskritik mit religiös-mystischen Mitteln“. Um das zu verifizieren, muss ich allerdings einige Aufsätze lesen und vor allem zum „Handbook of the Theosophical Current“ zurückkehren …
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Gefühle sind wirklich nicht einfach zu bestimmen. Wir taten uns bei einigen Begriffen auch schwer.
Ja, man versteht schon, warum es dann feingliedrigere Konzepte wie „Stimmungen“, „Affekte“, „Emotionen“, „feelings“ etc. gibt.
Das Gemüse-Deckbuilding-Spiel heißt tatsächlich einfach „Artischocken“.
Ah. Das ist ja einfach.
Immer auf die Augen, Boo!
Hamster und Waldläufer frohlocket!