Hurra! Mein erstes Semester hat begonnen! Ich überlege, ob ich Rückblicke auf einzelne Abschnitte – einen wöchentlichen Rückblick will ich nicht versprechen – entsprechend gliedere und quasi ein loses „Template“ erstelle. Versuchen wir das mal, es dient ja auch meiner eigenen Nachbereitung.
[Alle Artikel zum Thema Sabbatical finden sich hier.]
Contents
Veranstaltungen
Diese Woche gab es
- eine einführende Vorlesung zur Ethik (Philosophie);
- eine Einführungsveranstaltung der Vorlesungsreihe zur Gesellschaftstheorie (GT);
- ein Seminar über Geschlecht und Religion (Geschichtswissenschaft, Schwerpunkt frühes Bürgertum/19. Jhd.), wobei ich den Eindruck hatte, dass besonders Themen über das Judentum für Referate sehr beliebt waren. Vielleicht finde ich noch heraus, warum. Ich selbst habe mir das Thema Theosophie/Blavatsky rausgesucht (ich liebe Okkultismus);
- ein Seminar zu Körpersoziologie (GT);
- und einen Lektürekreis (GT).
Gelesenes
Ich verspreche nicht, das immer zu machen, aber es ist an sich ja gar nicht verkehrt, festzuhalten, was man so über die Woche liest. Außerdem sollen meine Freundinnen, Kollegen und Familienmitglieder ja einen Eindruck bekommen, was man konkret alles Tolles machen darf, wenn man wieder studiert!
Kant: Vorrede und einige Seiten des ersten Kapitels der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ (GMS)
Jetzt lese ich also Kant. Das kann was werden. Hoffentlich das einzige Printbuch, das ich lesen werde, denn Bücher sind ganz schön schwer … Bislang ging es um die Frage, in welchen Bereich der Philosophie eigentlich die „Metaphysik der Sitten fällt“ (reine Philosophie mit Verstandesinhalten als Objekten, in diesem Fall natürlich“Sitten“). Lerne: Die Ethik ist die Meta-Moral, das Prinzip hinter empirischem moralischem Handeln. (Alle Interpretationen ohne Gewähr.) Außerdem um die Frage, was eigentlich das höchste Gut ist: Das macht Kant in einem „guten Willen“ zur Pflicht aus (Pflichtethik, deontologische Ethik) und untersucht, warum es eigentlich die Vernunft gibt: Ein „Instinkt“ wäre zur Handlungsleitung ja wesentlich mächtiger.
Und eine erste kontroverse Frage haben wir auch schon: Wenn ein Händler ehrlich ist, dies aber nur aus Eigennutz (etwa, um seinen Ruf nicht zu ruinieren), handelt er dann ethisch? Und wie macht man aus, dass der Händler (oder heute auch die Händlerin) sittlich gut handelt und wie trennt man das von ‚zufällig gutem‘ Handeln aus Neigungen?
Rebekka Habermas: Weibliche Religiosität
Ein spannender und anschlussfähiger Artikel über Religionsentwicklung Anfang des 19. Jhds, noch dazu mit Schwerpunkt Nürnberg! Es geht vor allem um die Frage, was das Zusammenspiel aus entstehender bzw. sich festigender bürgerlicher Identität, (sich dichotomisierender) Geschlechterrollen und Religion ausmacht. Von Herrenclubs und Hausaltären bis zur Diakonie als Lohnarbeitsoption für (protestantische) Frauen ist alles dabei.
Derrida und Benjamin
Für ein Blockseminar zur „Gastlichkeit der Sprache“ nächste Woche arbeite ich mich gerade durch „Die Einsprachigkeit des Anderen“ von Derrida (erstmal nur zwei Kapitel) sowie durch Walter Benjamins „Die Aufgabe des Übersetzers“. Wenn ich das richtig überblicke, geht es um ausgrenzende und einschließende Funktionen von (Mutter- und Fremd-) Sprache(n). Ich bin sehr gespannt, was mir dieses Seminar vermitteln wird.
Körpersoziologie
Der Seminarplan liest sich wie ein Who’s Who der Sozialwissenschaft: Marx, Norbert Elias, Bourdieu, Foucault und Butler. Bis nächste Woche kommen etwa 25 Seiten Marx dran – kein Pappenstiel. Ich war neulich beim Vormittagsprogramm des Tagesseminars der Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft und erstaunt, wie viel „Materialismus“ bei Marx von Feuerbach kommt. Mal sehen, welche Feuerbach-Spuren sich da finden lassen.
Apropos: Feuerbachs Vater, P.J. Anselm Ritter v. Feuerbach, Strafrechtsreformer und Kaspar-Hauser-Vormund, stammte aus der Nähe von Jena und studierte dort in den 1790ern Philosophie und Juristerei. Es gibt mindestens eine Büste im Fürstengraben und eine Infotafel im rechtswissenschaftlichen Institut, das dem soziologischen benachbart ist.
Lektürekreis
Diese Veranstaltung dient u.a. dazu, die GT-Studierenden eines Jahrgangs zumindest alle 2 Wochen in einem Raum zu versammeln. Ansonsten haben wir ja doch vor allem Veranstaltungen verschiedener anderer Institute, und man begegnet sich nur sporadisch. Offenbar ist es Tradition, dass der vorherige Jahrgang eine Lektüre vorschlägt; uns wurde Johannes Agnolis „Subversive Theorie“ empfohlen. Nach der 75-minütigen Diskussion von 4 Alternativen fiel die Wahl dann tatsächlich auf diesen Vorschlag – das finde ich gut, wenn es nichts taugt, haben wir Leute, denen wir die Schuld geben können.
Wie studieren? Tools und Methoden
Danke an Tobi, der mir einen Tritt in den Hintern verpasste, doch endlich mal Obsidian auszuprobieren. Das funktioniert tadellos mit Nextcloud Notes (der App in der Web-Oberfläche), wenn man den „Vault“ auf das /Nextcloud/Notes Verzeichnis setzt. Und es ist einfach ein schöner Markdown-Editor.
Ich tippe also meine Mitschriften und Vorbereitungen einfach in jeweils eine große Notiz pro Veranstaltung (jedenfalls fürs erste Semester), umgekehrt chronologisch. Von einer komplizierteren Struktur (Masternotiz pro Seminar/VL mit Links zu je einer Notiz pro Sitzung, oder gar gleich eine einfache thematische „Zettel“-Sammlung, vielleicht veranstaltungsübergreifend) sehe ich vorerst ab. Der Aufwand könnte sich lohnen, aber ganz sicher bin ich mir da nicht.
Lektüren passieren (außer bei Kant) bis auf weiteres auf dem Kindle, falls ein EPUB verfügbar ist, oder auf dem Laptop mit LiquidText, wenn es sich um ein PDF handelt. D.h., ich exzerpiere auch einfach digital und sichte die Exzerpte dann später, um Zettel/Notizen/Zitate für Arbeiten/… zu erstellen. Die Kindle-Notizen importiere ich mir einfach per Calibre. (Nebenbemerkung: Insgesamt habe ich öfter den Satz gehört, dass Leute lieber Print lesen, aber die müssen vermutlich auch nicht pendeln.)
Für die Literaturverwaltung setze ich voraussichtlich auf JabRef, weil ich es kenne. Es sei denn, jemand hat einen besseren bibliographischen Vorschlag?
Zweite Nebenbemerkung: Nun müsste ich mir nur mal an einem ruhigen Vormittag angucken, ob und wie man die Zettel aus dem (leider nicht mehr aktiv gepflegten) Zettelkasten von Daniel Lüdecke in dieses Obsidian-Markdown-System gepresst bekommt, da liegen inzwischen nämlich etwa 1200 Zettel drin.
Sonstwie Uni-Bezogenes
Von vielen spannende Events erfuhr ich erst vor Ort und eher kurzfristig — ich hätte gehofft, dass die Informationsverteilung nach den ersten Covid-Erfahrungen und Online-Lehre besser läuft, aber das ist eben partiell auch der Preis, wenn man nicht so ganz vor Ort ist (und den eigenen Semester- auf den Vorlesungsstart legen muss).
Ach, und liebe Uni: Steckdosen!!! Aber immerhin zeigt mir das, dass der Akku meines relativ neuen IdeaPads auch problemlos 3 Mal 90 Minuten durchhält.
Bezüglich des Arbeitsaufwands vermute ich, dass man das recht gut skalieren kann: Man hat so viel Aufwand, wie man haben möchte. An Studien- und Prüfungsleistungen stehen grob überschlagen an:
- 3-4 Moderationen/Referate/Stundengestaltungen
- 2 Essays
- 1-2 Hausarbeit(en)
- 1 Klausur
Pendelei
Die meisten dieser Zeilen tippe im im ICE-Sprinter von Erfurt nach Nürnberg, also auf der ersten Heimreise. Anschlüsse haben geklappt (im Gegensatz zu denen vieler Mitreisender, die sehr abgekämpft und abgehetzt noch in Erfurt in den Zug sprinteten). Nach wie vor finde ich es sehr schade, dass Jena aus dem Fernverkehr rausgekegelt wurde. Wie praktisch wäre das …
Soziales
Diverse Einführungsveranstaltungen verpasst zu haben, war im Nachhinein schon schade. Die meisten Kommilitoninnen und Kommilitonen kannten sich schon. In einem gerade mal 31 Erstis umfassenden Studiengang will man ja doch ein paar Leute kennen lernen. Nach einer Einführungsveranstaltung waren wir (geleitet) immerhin in der urigen Kneipe „Alster“.
Und Covid?
In der Ethik-Vorlesung hatte ich experimentell mal eine Maske aufgesetzt, war aber damit klar in der Minderheit (15%?). Ich war dann aber doch recht froh darum, denn Abstand halten ist in einer sehr vollen Vorlesung dann halt doch eher unmöglich. In anderen Veranstaltungen lag die Maskenquote eher bei 30%, in wenigen bei 80%. Ich habe tendenziell nur eine aufgesetzt, wenn es eng wurde. Irgendwie scheint mir der gesellschaftliche Konsens inzwischen zu sein, dass Covid vorbei ist — darauf deuten auch die leeren Desinfektionsspender in vielen öffentlichen Gebäuden.
Ein Dozent, mit dem ich am Vorabend und am Vormittag zu tun hatte, sagte am Abend eine Veranstaltung wegen eines positiven Schnelltests ab. Na, mal sehen. Die Einschläge kommen jedenfalls überall näher, und ich habe das Gefühl, dass in Verkehrsmitteln des Nah- und Fernverkehrs mehr gehustet als geredet wird. Wie lange das wohl gut geht …? Ab nächster Woche trage ich rigoroser Maske, auch wenn das keinen Spaß macht.
Und generell?
Die erste Woche hat mir gut gefallen, war aber ausgesprochen anstrengend. Gefühlt bin ich noch kaum zu Inhalten gekommen — präliminare Veranstaltungen und v.a. mentaler Aufwand für die Logistik haben die Zeit gefüllt. Der Einstieg war aber auf jeden Fall angenehm (und aufregend).
Beitragsbild: Hügel bei Jena am Morgen. Es wird kalt.
Die Maske würde ich auch konsequent tragen.
Ein schöner Überblick über deine Anfänge im Studium. Und gleich so viele Arbeiten!
Wir wünschen dir viel Erfolg!
Vielen Dank 🙂