WS24/W01: Entfällt wegen Krankheit

Man jagt sich jeden Tag durch den Wald, um gesund zu bleiben, und stürzt schließlich mit dem Flugzeug ab.
(Luhmann, Soziologie des Risikos, S. 35)

Leider bin ich krank. Es fing mit Halskratzen in Wien (s.u.) an und steigerte sich zu etwas Fiebrigem. Geht aber wohl gerade auch rum. Naja.

Stundenplan final

Nachdem nun die Platzvergabe für die Veranstaltungen durch ist, steht mein Stundenplan:

  • Dienstag „Sprache und Gesellschaft“ (S&G)
  • Mittwoch „Funktion und Bedeutung von Fußball“ (Fußball) sowie „Knappheit und Überfluss“ (K&Ü)

In „Wissenschaftstheorie und Kritik der politischen Ökonomie“ (freitags) habe ich keinen Platz bekommen; mich wundert, dass das so beliebt ist, klang mir eher fringe. Weniger verwunderlich: „Geschlechtertheorien“ war auch schon voll. Aber gut, das erleichtert die Wochenplanung.

Das Fußball-Seminar startet diese Woche sowieso noch nicht, daher verpasse ich krankheitsbedingt nur S&G sowie K&Ü, während ich mich auskuriere.

Midnight Mass

Die Bettruhe erlaubte mir, endlich mal „Midnight Mass“ zu gucken. Ohne viele Spoiler sei gesagt: Eine Horror-Miniserie, die sich mit zeitgenössischer Religiosität in nahezu allen (Schatten-) Seiten auseinandersetzt, und einen recht interessanten übernatürlichen Twist nimmt. Hauptthemen: Sucht und Kontrolle, Schuld, Vergebung (durch Familie, Gott, einen selbst, …), Sühne und ein Weiterleben nach schrecklichen Ereignissen. Alles arrangiert in einem klaustrophobischen Insel-Kammerspiel. Jede Episode ist nach einem Buch der Bibel benannt, dieser Artikel  analysiert die entsprechenden Titel und Szenen.

Einige Kritiken monieren die diversen Monologe und Predigten, aber ich fand das eigentlich recht passend: Der Priester muss natürlich Sermon geben; und alle anderen müssen sich immer mehr ihre Beteiligung an den diversen düsteren Mysterien zurechterklären … Außerdem bleibt so recht viel Zeit, den Charakteren ihre Entwicklung zuzugestehen. Ich würde eher das Finale kritisieren (aus vielen Gründen). Insgesamt sehenswert, ich fühlte mich die ganze Zeit angenehm an Abel Ferraras „The Addiction“ erinnert — mehr sei hier nicht verraten.

Das Krankenlager wird nun — auf geisterhaft synchronizitäre Empfehlung D.W.s hin — mit einer anderen Serie von Mike Flanagan weiter unterhalten: „The Fall of the House of Usher“. Offenbar kommt hier alles von Poe (Dupin, Pym, Usher) mit Pharma (Sackler/Purdue), KI und ein bisschen Schock-Mystery zusammen. Mal sehen, was das für eine Melange ist; der Anfang wirkt nach „Succession“ meets „American Horror Story“.

Uni: Lektüren

Was es in der ersten Woche schon zu lesen gab, waren zwei Einführungstexte für S&G von Charles Taylor (wie immer: dem Philosophen, nicht dem Diktator) und Sybille Krämer. Die Texte behandeln grob gesagt die Frage, wie man sich zu(r) Sprache verhalten und wie man diese verstehen oder definieren kann. „Verweist“ Sprache auf, bezeichnet sie etwas, zum Beispiel „Realität“? Oder muss man sie strukturalistisch als geschlossenes Zeichensystem werten (und was ist dann mit der Schrift — verweist die wiederum auf Sprache)? Wie verhalten sich Sprache (als, sagen wir, Struktur) und Sprechen (als Handlung, Akt, Konkretion)? Dazu gibt es tausend und eine Meinung, und ein paar davon kenne ich jetzt (besser).

Und damit hatte es sich auch schon.

Wien

Wir waren vom Kulturverein „Aktionsradius Wien“  am 12.10. zu einem Podiumsgespräch über digitalen Nachlass geladen (nicht tot zu kriegen, das Thema!) und nutzten den Aufenthalt für ein bisschen Sightseeing. U.a. waren wir im Ingeborg-Bachmann-Film — sehenswert und unterhaltsam — sowie auf verschiedensten Friedhöfen.

Friedhöfe passen nicht nur zum Vortragsthema, sondern auch zur Stadt: Wien gilt ja nicht umsonst als „Metropole des Morbiden“. Wen das näher interessiert, dem sei dieses Deutschlandfunk-Feature inkl. Liedmaterial empfohlen.

Letztes aus den Semesterferien

Mitte September passierte hier noch ein bisschen was, seitdem war ich mit Leben beschäftigt. Daher hier noch zwei kurze Nachträge aus den Semesterferien.

Ghosting

Das ist kein neues Phänomen, begegnete mir aber in der letzten Zeit häufiger:

  • Privatleben: Ich hörte von mehreren Leuten unabhängig voneinander, dass vielversprechende, teils wochenlange intensive Dating-Ansätze nicht nur einfach im Sande verliefen, sondern plötzlich und abrupt abbrachen.
  • Berufleben: Ich hörte von mehreren Leuten, dass ihnen Bewerbys nicht mehr antworteten und sie nie mehr von ihnen hörten, teils schon relativ schnell nach Beginn des Bewerbungsverfahrens, teils, nachdem schon viel Arbeit in die „Beziehung“ gesteckt worden war. Vergleichbares berichtet eine Personalerin in diesem tagesschau-Interview.
  • Berufsleben: Außerdem habe ich von einem Fall gehört, in dem ein Mitarbeiter langsam aus dem Unternehmen und aus dem Kontakt mit Kollegys geisterhaft „ausgefaded“ ist; und eines Tages war er dann ganz weg.
  • Ich: Ich wurde nun zum zweiten Mal von jemandem, mit dem ich wegen eines nebenberuflichen Projekts mailte, irgendwann einfach ignoriert. Meine Mails blieben unbeantwortet (und möglicherweise ungelesen).

Die erste Frage: Lassen sich diese Phänomene tatsächlich alle als „Ghosting“ fassen und bezeichnen? Vermutlich ja, weil es jeweils der Ausstieg aus einer mehr oder weniger etablierten Beziehung ist, der dem Gegenüber jegliche Anschlüsse verweigert und ihn mit allerlei Fragen allein lässt. (Etwa: Ist der Person etwas passiert? Ist sie depressiv? Habe ich mich falsch verhalten? Wieso haben wir die Beziehung offenbar vollkommen anders erlebt und gedeutet?)

Kommunikationstheoretisch kann man einwenden, dass das Sozialsystem eben aufgehört hat, zu existieren; es finden keine Anschlüsse mehr statt. Das aber belässt Ego (in unseren Fällen also die Datenden, Personalys, mich) mit einer unerwartet gebrochenen Erwartung — und entsprechenden Enttäuschungsgefühlen, die — vielleicht aufgrund von etablierten Kommunikationsnormen — auch nicht einfach zu einer Anpassung der Erwartung führen können. Kommunikations-ethisch wäre die Erwartung, dass Alter den Abbruch entsprechend kommuniziert; die Hoffnung: dass man dann leichter abschließen könnte. (Ich weiß gar nicht, wie viel an der Erwartung dran ist, aber als solche ist sie ja erstmal legitim.)

Im Falle der Bewerbungen mag es schlicht sein, dass sich die andere Partei gar nicht in einer vollwertigen, interaktiven Sozialbeziehung gefühlt haben mag. Ich kenne das aus eigenen Bewerbungszeiten; da kommt man sich leicht als Nummer in einem Aktenstapel vor, selbst wenn der Interaktionskontakt nett war. Oder man denkt sich, man müsste telefonisch absagen, traut sich das aber nicht; und anstatt mit einer behelfsweisen Mail die eigene Hilflosigkeit einzugestehen, tut man — gar nichts. (Habe ich noch nicht getan, kann ich mir aber vorstellen.) Aber in etablierten, physischen oder anderweitig „realen“ Beziehungen …?

Vermutlich führt uns Ghosting als Phänomen vor Augen, dass wir in den anderen oder die andere eben einfach nicht hineinsehen können, dass wir keine Kontrolle haben und es vielleicht vollkommen egal ist, was wir selbst tun. Wir verstehen, dass wir in Kommunikation manchmal machtlos sind. Das verunsichert Erwartungsstrukturen, und es verhindert Resonanz (weder wird uns geantwortet noch werden wir selbst gehört).

Meine Vermutung ist aber: Wir sollten uns einen Modus des Umgangs mit Ghosting überlegen, denn in Zeiten

  • dauerüberlasteter Aufmerksamkeit,
  • Verlagerung von Kommunikation auf elektronische Kanäle (damit aus physischen Interaktionssystemen und z.B. Organisationen heraus)
  • und allgegenwärtiger Kommunikationsalternativen

könnte das Phänomen tatsächlich noch wesentlich stärker um sich greifen.

[Update: Zum Thema Ghosting siehe auch die Kommentare.]

Verschwörungstheorien, über die man nichts findet: Die Star Trek-NWO

Die Idee einer New World Order ist nicht neu. Ich kam aber letzthin mit einer Verschwörungstheorie (oder -Ideologie?) in Berührung, die grob gesagt eine kurzfristige Zukunftsprognose der Ersetzung der Menschheit durch künstliche Intelligenzen vorhersagt und dabei allerlei Spannendes amalgamiert:

  • Unsere Welt geht von 3D in die fünfte Dimension, was immer das heißen mag.
  • Star Trek sagt das alles voraus.
  • Kronzeuge neben Star Trek ist Yuval Harari (den man ja tatsächlich als reichlich unwissenschaftlich kritisieren kann, ein Beispiel ist diese Dekonstruktion von Darshana Narayanan), der zusammen mit Klaus Schwab (den man ebenfalls kritisieren kann) zur NWO gehört, aber auch irgendwie alles ausplaudert.

Das ist erstmal alles nichts „Neues“ in Verschwörungskreisen, aber man findet im Web quasi nichts dazu. Stammen die neuen Verschwörungs-Narrative alle aus Telegram und TikTok, sodass man die im Klar-Netz nicht mehr findet? Oder suche ich falsch?

N.B.: Vielleicht wäre ein bisschen mehr künstliche intelligenz ja auch gar nicht verkehrt. Die natürliche hat sich — wie man anhand solcher Verschwörungsmythen sieht — nicht unbedingt bewährt …


Beitragsbild: Der Friedhof der Namenlosen in Wien ist einen Besuch wert, auch wenn man sich durch geisterhafte Hafenviertel bewegen muss. Zusammenhang mit dem Beitragstitel nicht beabsichtigt.

9 Gedanken zu „WS24/W01: Entfällt wegen Krankheit“

  1. Ghosting im Berufsleben finde ich schwierig/heikel. Selbst wenn man im „netten“ Kontakt war und man eigentlich telefonisch absagen müsste, ist es immer noch besser eine Mail zu schreiben als gar nicht zu antworten. Außerdem muss man damit rechnen, dann angerufen zu werden. Sich dann zu wegducken zu müssen, um der unangenehmen Situation aus dem Weg zu gehen (oder sich dieser dann doch zu stellen), finde ich noch anstrengender als kurz die Mail zu schicken. Da schadet man sich selber am meisten, schätze ich.

    Grundsätzlich kann ich aber voll nachvollziehen, dass es nicht einfach ist jemanden abzusagen (oder zurückzuweisen). Damit tue ich mich immer wieder schwer. Erfahrungsgemäß belastet mich so eine ungeklärte Situation aber länger als es notwendig wäre und eine Antwort zu schicken hilft damit abzuschließen anstatt es zu ignorieren und mit sich herum zutragen.

    Ich denke, dass so eine Situation vielleicht dann entsteht, wenn man Unangenehmes vor sich herschiebt/prokrastiniert. Ich würde es als Ghosting-Spirale bezeichnen: man will vielleicht antworten und macht sich mental Gedanken, aber schiebt es auf später, weil es unangenehm ist, nur um dann erneut wieder damit konfrontiert zu sein bis es irgendwann gefühlt zu spät ist um zu antworten…)

    Depressionen u.ä. als Ursache sind nochmal was anderes bzw. möchte ich mir da nichts anmaßen zu mutmaßen.

    Die Frage ist, ob es wirklich an der eigenen Stimmungslage liegt oder ob nicht doch andere Gründe vorliegen können (Bequemlichkeit, Egal-Mentalität, etc.)? Insb. weil es ja anscheinend inzwischen doch recht häufig passiert?

    Bei Freundschaften kenne ich das insofern, dass man irgendwann einfach den Kontakt verliert (vielleicht ist das dann aber kein Ghosting).

    Antworten
    • Ob das mit dem „Kontakt zu Freundys verlieren“ unter Ghosting fällt, weiß ich auch nicht. Falls das beiderseitig ist – also beide nicht mehr weiter anschließen -, dann eher nicht. Falls einer nach mehrmaligem Versuch nicht reagiert und der andere sich deswegen wundert, schon eher. Aber was hier vor allem fehlt ist das „Überraschende“: Diese soziale Form – Freunde leben sich auseinander – ist gewohnt und bekannt; beim Dating erwartet man es vielleicht weniger (jedenfalls, wenn es „gut lief“), im Beruflichen sowieso nicht. Die mir bekannten Ghosting-Stories haben fast alle immer den Twist: „Ok, das ist komisch, damit konnte man echt nicht rechnen“.

      Und ich teile dein Misstrauen, dass es hier primär um „Stimmungslagen“ o.ä. geht. Das steckt schon irgendwo im Sozialen; es ist vielleicht

      – akzeptierter,
      – technisch leichter möglich,
      – inzwischen auch als „Form des Abbruchs“ bekannter,

      zu ghosten, und kommt daher öfter vor (oder wird öfter bemerkt/thematisiert). Die Psychen der Beteiligten, deren Stimmungen und Gedanken sehe ich eher da beteiligt, wo es um Überforderung (durch zu vieles, was Aufmerksamkeit beansprucht; durch Unangenehmes; etc.) geht.

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  2. Ich komme nicht ganz umhin, Ghostenden zu unterstellen, dass sie sich der Verantwortung, die sie Gesprächspartnern oder Beziehungpartnern gegenüber haben, entweder nicht bewusst sind oder nicht bewusst sein wollen. Verantwortung scheint nur noch als etwas Verstaubtes, Sperriges wahrgenommen zu werden. Und ja: Sie ist unbequem, verbindlich und sie braucht Mut. Aber sie ist auch Fürsorge, Respekt und Wohlwollen.

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    • Ich stimme dir zu, dass unsere soziale Erwartungshaltung (Normen) eigentlich eine Pflicht vorschreibt, sich nicht klanglos aus Kommunikationen zu verabschieden; jetzt ist die Frage, ob wir an der Norm erfahrungswidrig festhalten oder uns irgendwie auf das Ghosting einstellen …? Aber wie sollte das gehen?

      Ich finde es auch ganz spannend, deine beiden Fälle zu unterscheiden:

      – wenn die Verantwortung bewusst ist: Dann ist Ghosting „unmoralisch“. Das macht es vermutlich gleichzeitig wahrscheinlicher und schwieriger/schmerzhafter; dann gerät man in die Spirale Unlust/Angst/Veranwortung/Prokrastination/Schuldgefühl/mehr Angst, die im Ghosting endet.
      – wenn sie nicht bewusst ist: Dann kann man sich fragen, ob das als Verantwortung/moralisches Versagen zurechenbar ist; und wir haben das unangenehme Phänomen, dass es Ghosting geben kann, das gar keines ist — gehört da nicht immer auch Intention dazu (und nicht nur das negative Gefühl eines Ego, weil es von Alter keine Aufmerksamkeit mehr bekommt)?

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