Es gibt ja so Luxusprobleme, die einem dennoch schlaflose Nächte verursachen. Aktuell habe ich so eines: Wo soll ich mein Sabbatical-Masterstudium machen? Das Gefühl hängt nach wie vor am Ursprungsplan Jena, aber die Vernunft rät mehr und mehr zum benachbarten Erlangen. Und auch die Emotio zieht langsam nach.
[Alle Artikel zum Thema Sabbatical finden sich hier.]
Contents
Entscheidungskriterien
Wohnungssuche in Jena
Tatsächlich ist der Punkt Unterkunftssuche einer der Gründe, den Initialplan, nach Jena zu gehen, auf den Prüfstand zu stellen. Das ist nämlich – wie schon im Rant geschildert – ein kleiner Alptraum.
Ich habe inzwischen knappe 30 Angebote auf 4 Plattformen angeschrieben, zudem meine wenigen Kontakte nach Jena mobilisiert und mich sogar auf einen Wohnheimsplatz beworben. Allerdings kriegt man von so gut wie niemandem eine Antwort – jedes vierte Angebot ist sowieso „Send me 200 Euros via Western Union, I’ll send you key, I’m in London right now“-Scam. Oder so etwas:
Das Studierendenwerk (Betreiberin/Vermittlerin der Wohnheime) empfiehlt, den Suchradius auf Erfurt, Gera, Kahla, Stadtroda, Weimar auszudehnen, denn: „Es kann nur noch ein sehr geringer Bruchteil aller Bewerbenden [für Wohnheimszimmer] berücksichtigt werden. Prognosen zu Chancen können nicht getroffen werden.“
Nach drei Wochen macht das jedenfalls keinen Spaß mehr. Nachdem ich anfangs (etwa 20 Inserate lang) tatsächlich für so gut wie jedes halbwegs in Frage kommende Angebot eine Nachricht geschickt habe, bin ich – auch aufgrund der unten genannten Aspekte – mittlerweile etwas wählerischer geworden. Das letzte Loch am Stadtrand für 11 Euro kalt pro Quadratmeter muss es ja wirklich nicht sein.
Und während ich am Anfang vielleicht noch bereit gewesen wäre, für einen einzelnen Besichtigungstermin die Strecke auf mich zu nehmen, sinkt auch diese Bereitschaft – es scheint einfach ein statistisches Spiel zu sein, und mit nur einem Los gewinnt man nicht.
Pendelei
Hinzu kommt, dass mich nach einem ersten Ausflug nach Jena im Juni die Stadt zwar überzeugt hat, die Bahnverbindung in die fränkische Heimat aber nicht. Der RE war eine Katastrophe und hoffnungslos überfüllt, offenbar ein Dauerzustand. Denn egal, zu welcher Zeit man nach Verbindungen sucht, erwartet einen seit Monaten dieser Hinweis:
Das ist auch bei ICE-Verbindungen nicht besser, nur kriegt man da noch mehr schönes Warn-Rot gratis dazu:
Gratis ist die Fahrt freilich nicht, sie kostet (einfach) 80 Euro. Puh. Und das für eine Verbindung, die auf dem Papier nicht wirklich besser ist als die im RE: Zwar braucht man statt 3 Stunden nur 2:10, muss aber in Erfurt umsteigen.
Ich habe kein Problem mit Pendeln, aber die Kombination aus Preisen und Verbindungsqualität sind nahezu prohibitiv … Auf regelmäßige Fahrten, in denen qua Überfüllung selbst Lektüre (geschweige denn Arbeiten) schwer fällt, kann ich keine rechte Lust entwickeln. Das wöchentliche Pendeln Köln/München vor 8 Jahren war nur dank verlagsfinanzierter Bahncard 100 und meist angenehmen ICE-Verbindungen erträglich. Andererseits wäre es ja nur für drei Blöcke a 3-4 Monaten so …
Inhalte, Institute und Prestige
Es wäre natürlich cooler, in zwei Jahren von meinem „Master Gesellschaftstheorie“ zu berichten und mich als Hartmut-Rosa-Schüler bezeichnen zu können. Der Musterstudienplan stellt ja auch spannende Inhalte in Aussicht – sonst hätte ich vermutlich nie angefangen, mir ein Master-Sabbatical zurechtzuplanen.
Andererseits muss man fairerweise sagen, dass das Erlanger Master-Studium Soziologie ebenfalls nicht uninteressant klingt (Studienplan S. 7 im Modulhandbuch) … eben etwas weniger speziell, dafür mit Modulen zu Statistik und qualitativen Methoden. Mehrere Module zu sozial- und gesellschaftstheoretischen Themen sind genauso möglich wie Veranstaltungen aus anderen Fächern der philosophischen Fakultät. Und ein Freund von mir promoviert gerade an diesem Institut.
Nur bin ich am Ende eben kein resonanztheoretisch geschulter Gesellschaftstheoretiker, sondern „nur“ ein einfacher Soziologie-Masterabsolvent. Aber dann immerhin promotionsberechtigt. (Über das Promotions-Sabbatical in 10 Jahren berichte ich hier dann natürlich auch.)
Kosten
Ich lese gerade mal wieder, zur Beruhigung der Nerven, Eckhard Henscheids „Geht in Ordnung … Sowieso … Genau“. Der Protagonist macht darin eine hübsche Bildungsreise, klassisch nach Italien. Die Mutter zahlt (und als Hausbesitzer muss er sich ohnehin keine Sorgen machen). Leider muss ich meine Bildungsreise selber bezahlen. Das heißt: Kosten spielen schon auch eine Rolle.
Wie das grob und abstrakt aussieht, habe ich ja im ersten Posting zum Thema vorgerechnet. Der Plan wird sowieso fünfstellig. Und Jena allein wegen der Posten Wohnung und Pendeln nochmal deutlich teurer als Erlangen …
Ruhe vs. Abenteuer, Vertrautes vs. Tapetenwechsel
Anfang 2021, als der Plan entstand, war auch der Wunsch groß, „Mal ganz hier rauszukommen“ (das waren Lockdown-Zeiten, ein Umzug stand an und ich fühlte mich insgesamt recht gefangen). Diese Sehnsucht nach einem Tapetenwechsel war schon am Jahresende deutlich schwächer und hat sich bis heute weitgehend verzogen.
Insgesamt war das Jahr 2022 vor allem aufgrund einiger Gesundheitsthemen (Tschüss, Gallenblase!) aufreibender als gedacht. Das hängt mir seit einigen Monaten nach – wie mir vor allem aufgrund der akuten Pläne, (wenn auch temporär) nach Jena überzuwechseln, erst so richtig bewusst wurde. Vielleicht ist der Griff zum weniger aufregenden, aber auch weniger aufreibenden Plan sinnvoller …?
Werde ich den alternativen Plan bereuen? Ist es überhaupt eine Wahl?
Eine wichtige Frage, die ich mir stelle: Werde ich es bereuen, nicht nach Jena gegangen zu sein? Wahrscheinlich schon, irgendwie. Dafür würde ich es vermutlich in jedem vollen RE nach einer Stunde bereuen, nicht einfach Erlangen genommen zu haben. Insgesamt scheinen mir die Pläne gerade recht gleichwertig, mit dem großen Problem, dass eine „Entscheidung“ für Jena quasi nicht in meiner Macht liegt – siehe Thema Wohnungssuche.
Und nun?
Ich habe den Immatrikulationsantrag nach Jena gerade abgeschickt, denn die dortige Deadline ist am Mittwoch. Erlangen hat einen Monat später Einschreibefrist – daher habe ich nur mit der Immatrikulation in Jena überhaupt noch weiter Zeit, über die Entscheidung nachzudenken. (Dass ich Jena aufgrund dreier vergeblicher Wochen Suche noch nicht abgeschrieben habe, spricht ja durchaus für diesen Ort …)
Falls sich bis ca. 10.9. keine Wohnung auftut, ist die Entscheidung für mich gefallen bzw. gefällt worden. Dann lasse ich die Immatrikulation dort wieder löschen (was insgesamt ein paar Euro kostet, aber nicht weltbewegend) und schreibe mich in Erlangen ein. Das sollte noch reichen, damit ich bis Anfang Oktober meine Unterlagen habe und mich für Veranstaltungen anmelden kann.
Meine momentane emotionale Präferenz geht leicht in Richtung Erlangen, auch wenn ich die Uni schon kenne und das insgesamt der (scheinbar?) weniger aufregende Plan ist. Ich habe aber inzwischen auch das Gefühl, dass beide Orte keine verkehrten sind.
PS:
Ursprünglich war auch mal der Studiengang „aisthesis“ in der engeren Auswahl, aber in Eichstätt regierte mir dann doch zu sehr der Katholizismus. Nicht aber ohne Gegenbewegung in Form der „Galerie der Kirchenkritik“:
4 Gedanken zu „Die Qual der Wahl: Zwischennotiz zu Studienorten“