Solange man die Soziologie nicht zurate zieht, neigt man dazu,
Attributionsambivalenzen für das Ergebnis von Gefühlslagen zu halten.
(Dirk Baecker, „Wozu Gefühle“)
Diese Woche ist sehr voll. Und das, obwohl es Sommer ist und aufs Ende des Semesters zugeht. Ja, mei … Immerhin gibt es dann einige Prokrastinationsmöglichkeiten, um den ganzen Prüfungsvorbereitungen und -arbeiten aus dem Weg zu gehen.
Contents
Arbeitsbuch
Im Zuge meiner Recherche zu den Briefen sichte ich auch alte Familiendokumente. Dabei fielen mir die „Arbeitsbücher“ meiner Großmutter und ihres Vaters (wieder) in die Hände. Ich hatte mich immer gefragt, was das eigentlich für eine merkwürdige Idee ist: ein Buch mit allen Arbeitsstätten, das man offenbar gewissenhaft pflegen musste. Für meinen Urgroßvater, der sehr viele teils sehr kurze Beschäftigungsverhältnisse hatte, dürfte das eher hinderlich gewesen sein.
Es stellt sich heraus: Das war ein Nazi-Instrument, um Arbeitnehmy-Rechte einzuschränken. „Ziel war es, die berufliche Mobilität von Arbeitnehmern zu kontrollieren und von der Zusage durch den früheren Arbeitgeber abhängig zu machen. Damit sollte es Arbeitnehmern unmöglich gemacht werden, Lohnunterschiede zwischen Unternehmen oder Branchen mittels eines Firmenwechsels auszunutzen. Das Arbeitsbuch war somit ein Mittel, die Berufsfreiheit grundsätzlich einzuschränken.“ (Wikipedia)
Interessant finde ich, dass das teils noch in die 50er fortgeführt wurde – mit Hakenkreuz 10 Jahre nach Gründung der BRD …
Ist das ein Gefühl?
Mal wieder eine Umfrage unter meinen Lesys: Findet ihr, die folgenden „Sachen“ sind Gefühle — oder eher nicht? Wählt alles an, was eurer Meinung nach ein „Gefühl“ ist.
[wpforms id=“4687″ title=“false“]
Update 05/2024: Leider zieht WP Forms eine Menge Spam, daher wurde diese Umfrage nach einem knappen Jahr deaktiviert.
(Ich wollte das quick and dirty mit WP Polls basteln, aber da hätte man lediglich Teilnehmys und Antorthäufigkeiten separat speichern können … Das hülfe ja der Forschung dann auch nicht. Daher nun mit WPForms und ohne Anzeige der Ergebnisse. Diese folgen natürlich. Vielleicht finde ich auch noch einen schnellen Weg, Nextcloud-Umfragen hier hübsch einzubinden.)
Briefe: Lektüren und Urheberrecht
Die Briefe sind fast fertig gelesen — 700 Seiten sind kein Pappenstiel. Das „Lesen“ ist zudem weit mehr als passives Rezipieren, weil ich dazu übergegangen bin, direkt Notizen zu machen und dann erstmal ins PDF einzupflegen sowie die wichtigsten Zitate schon mal rauszuschreiben, zu clustern und ggf. gleich auszudeuten. Das erleichtert später das Schreiben der Hausarbeit erheblich (genauer gesagt: ich habe eigentlich schon mehr Material rausgeschrieben, als für eine Hausarbeit nötig, und werde wie immer vor allem kürzen müssen). Das sieht dann z.B. so aus:
Ehe (Werner, Brief vom 2.4.54, fehldatiert auf den 2.3.) = „Das ist ja irgendwie der Sinn einer Ehe, daß man das unbedingte Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens zum Partner hat. Ist das nicht der Fall, so ist es keine Ehe mehr und ich würde mich bedanken.“ (Kontrastfolie Heinz und Hilde gegen ihre gute Ehe; Beschreibung der Gefühle!)
Oder:
Andererseits fallen den beiden die Verwandten auch seit Längerem auf die Nerven. Gerade nach der Geburt sieht Charlotte in einer Auswanderung (oder zumindest einer Abkehr von Berlin) die einzige Möglichkeit, ihren Sohn selbst zu erziehen — sonst erledigt dies „die Familie für uns“ (20.3.).
Was ich mich gefragt habe: Wie sieht es eigentlich mit dem Urheberrecht an den Briefen aus? Die Briefe meines Großvaters, gestorben 28.10.1989, müssten folglich ab 2060 gemeinfrei sein. Die Briefe meiner Großmutter, gestorben 19.05.2020, wären erst 2091 (!) gemeinfrei. Das werde ich (geboren 1987) vermutlich nicht mehr erleben.
Uni
Schon wieder was am Wochenende, diesmal rutscht das aber in die Folgewoche. Wie gesagt, es gibt da keine zwingende Logik.
Eigenes Haus: Doppelsitzung Wohneigentum & Klasse
Die vorletzte Sitzung! In sehr kleiner Runde (zu fünft bzw. viert plus Dozent) diskutierten wir einen Vorschlag, wie man eine neue Klassenstruktur unter Einbeziehung von Vermögenswerten — und darin v.a. von Wohneigentum — skizzieren könnte. Wir fanden das insgesamt not convincing. (Beobachtung: Da ein Kommilitone im Seminar zwar sehr gut Deutsch versteht, aber Englisch spricht, wechsle ich je nach Vorrednerin oder Vorredner für meine Seminarbeiträge zwischen den Sprachen — und ich speichere das Diskutierte dann auch in der jeweiligen Sprache ab …)
Highlight wie immer ein Stück qualitative Empirie – ein Interview mit einem Paar, das mehrere Immobilien irgendwo zwischen Kredit-Zockerei und Business-Investment vermietet. Sehr spannend!
Emotionsgeschichte
Es ging einen gut Teil der Sitzung um Eva Illouz‘ Warenform-der-Gefühle-These, und danach um den Krebs-Text. Und kurz um historische Kontingenzen: Wenn Friedrich III. nicht an Krebs gestorben wäre, wäre vermutlich das 20. Jahrhundert vollkommen anders verlaufen …
AK
Noch einmal Illouz über Online-Dating, leider aus dem Jahr 2007. Ich finde Illouz irgendwie selten in Deckung mit der von mir beobachteten Realität, aber exemplarische qualitative Forschung ist halt schwer zu widerlegen. Daher etwas Quanti: Laut Statista nutzten 2019 ca. 10% der deutschen Bevölkerung Online-Dating, und in „einer Umfrage gaben 23 Prozent der Deutschen an, bereits auf Online-Dating-Plattformen aktiv gewesen zu sein“ (2023). Das muss man natürlich auf Altergruppen zurückrechnen, vermutlich ist die Verbreitung zwischen 18 und 40 deutlich größer als darüber. Ich hätte offen gestanden höhere Zahlen erwartet. Einen unterhaltsamen Einblick (und jede Menge Werbung) enthält diese Doku.
RuS: Noch keine Texte!
Ich habe die beiden Dozenten des Seminars mal angemailt, weil bislang keine Texte für die zweite Sitzung bereitstehen. Da das Seminar schon Ende kommender Woche ist, wird es langsam etwas knapp …
[Nachtrag: Die Mail wirkte! Mittwochabend kam der neue Reader — u.a. 8 Seiten in Fraktur.]
Ideengeschichte: Keine Videos! (Und Fanon)
Auch ansonsten schwächelt das Politik-Modul ein wenig; es gibt seit über einem Monat keine neue Vorlesung mehr auf Moodle! Dafür kam ich in den Genuss, Frantz Fanon für das Kolloquium zu lesen, ein Kapitel aus „Die Verdammten dieser Erde“. Das passt als antikolonialistischer Text auch gut zum jetzt am WE anstehenden Blockseminar KGB. Preisfrage: Weiß jemand, was „Cartierismus“ ist? Das geht offenbar auf Entkolonialisierungs-Debatten in der Mitte des 20. Jhd. zurück und scheint mir eine Position zu bezeichnen, die für das Ende von Entwicklungshilfen aus dem Zentrum plädiert. Mehr kriege ich aber nicht heraus.
Was mir bei der (kurzen) Recherche auffiel: Viele Google-Treffer verweisen auf Verlagsseiten, wo man den gecrawlten Text dann gar nicht finden — der ist hinter eine Paywall. Danke, Kapitalismus!
[Nachtrag: Inzwischen ist die VL vom 18.5. online! Trotzdem noch eine gewisse Lücke zum heutigen Datum …]
KGB: Reification, again
Das Seminar-Referat ist vorbereitet. Und ich habe zur Illustration der Folien mal wieder mit KI-Art rumgespielt.
Wie schon angedeutet, über das Seminar berichte ich dann nächste Woche.
Ortsnamen
Ich frage mich seit längerem, warum es hier
- Löbdergraben (Jena)
- Löbstedt (Jena) und
- Lobstädt (Leipzig)
- Lobeda (Jena)
- Löberschütz (Richtung Camburg)
- Lobdeburg (Jena)
- Löbnitz (Sachsen)
gibt, nicht zuletzt, weil ich einige dieser Namen anfangs immer verwechselte.
Der Löbdergraben ist klärbar, das kommt vom „Loh-Gerben“, einer Gerbetechnik, die laut Wikipedia „die Rinderhäute durch Vegetabil-Gerbung zu strapazierfähigen, kräftigen Ledern verarbeitete“. Das erklärt aber die Etymologien der anderen Namen nicht; vielleicht ist das Lob-/Löb- ja auch einfach zufällig in all diesen Namen enthalten und bedeuten jeweils was anderes …?
Zur Wortherkunft von Lobeda findet sich noch: „Auch die Herkunft des Namens Lobeda liegt im Dunklen. Einige Historiker versuchen eine Ableitung von louba (Waldgebirge, wahrscheinlich auf die Wöllmisse bezogen), andere glauben, dass das Adelsgeschlecht von Auhausen, das sich seit 1166 von Lobdeburg nannte, den Namen von ihrem früheren Stammsitz, der Ladenburg am Neckar, ableitete. Dies ist allerdings unwahrscheinlich, da die Stadt dann auch Lobdeburg heißen und der die vorstädtische Siedlung vor 1166 einen anderen Namen getragen haben müsste.“ (Wikipedia)
Insgesamt also eher unbefriedigend, aber die Herkunft von „Jena“ ist offenbar auch seit jeher strittig. Recherchefund dabei: Bei onomastik.com finden sich viele häufige Bestandteile von Ortsnamen (Toponymen) erklärt. Leider ist Lob-/Löb nicht dabei.
Beitragsbild: Fassade gegenüber dem UHG mit Schiller-Zitat: „Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten.“ Motto für meine Hausarbeiten.
Bin mal gespannt, was bei der Statistik zu den Gefühlen rauskommt.
Die Ortsnamen sind schon lustig.