SS23/W14: Frankreich, grüne Revolutionen und Klima-Therapie

„Die Kommunikation von Angst hat den Vorzug, immer authentisch zu sein
(denn man kann niemandem, der sagt, daß er Angst habe, bestreiten, daß dies so sei).“
Niklas Luhmann. „Protest“ (1996). S. 62

Am Wochenende war ich ja noch in Nürnberg und habe da eine kleine Ausstellung zum Thema Gender und Gaming besucht – der Bericht findet sich hier. Außerdem war Südstadtfest. Immerhin an einem Nachmittag habe ich es hingeschafft und beim Arbeiterwohlfahrts-Losstand den Hauptgewinn gezogen. Sehr nostalgisch.

Uni

Das Semester ist zu Ende. Gut so: Genug Input for now, ich merke, dass ich „voll“ bin.

Emotionsgeschichte: Mouffe und Lacan

Auf dem Programm der Abschlusssitzung stand Chantal Mouffes „Towards a Green Revolution“, ein Text, der für mehr Affektivität (und „Populismus“) in linken politischen Aktionen plädiert. Es ist aber vor allem ein Theorie-Text über Affekte, verstanden als „Leidenschaften“ (Passions), der weitreichende Bezüge zwischen Rawls und Hegel, Lacan und Spinoza aufmacht. Thesen und Themen:

  • Soziale Verbindungen sind libidinöse Verbindungen („the social link is a libidinal link“) — Gemeinschaften entstehen nur durch Affekte, Bedürfnisse, Verlangen, Begehren (affects, needs, demands, desires, …)
  • Identifikationen (im psychoanalytischen Sinn) sind wichtiger als Identitäten; man sollte also „Identifikationspolitik“ statt „Identitätspolitik“ sagen (man könnte vielleicht auch sagen: doing emotion ist wichtiger als die Frage, was Emotionen essenzialistisch „eigentlich sind“)
  • Wir übergewichten diskursiv-symbolisch-sprachliche Rationalität (vor allem in der Linken) und sehen dadurch vieles nicht — etwa die Notwendigkeit affektiv-libidinöser Motivation und die Gemachtheit von Affekten auf der Gegenseite. (Ich weiß nicht, ob mir hier ein „Übergewicht von Moral“ fehlt; der links geprägte Diskurs ist ja nicht nur ein programmatisch-rationaler, sondern auch immer ein moralischer.)

Die Affektanalyse ist lesenswert. Das Buch schwächelt dann aber bei der praktischen Vision, weil Mouffe einfach sagt: Die Klimakrise ist so krass, die kann man als affektive Motivation nutzen und „nicht-refomistisch“ den Kapitalismus reformieren! Das scheint mir wieder das Problem der Übergewichtung von subjektiv-affektiver Handlung gegenüber dem stahlharten Gehäuse der Strukturen. Und ohne strukturelle funktionale Äquivalente kann so ein Theoriegebäude ja eigentlich nur an der Praxis scheitern. Wir hatten eine über 60-minütige, sehr lebhafte Diskussion — kein Wunder, das Thema Klima affiziert.

Frankreich (ohne Uni-Bezug (?))

Nebenbei: Affekte und Widerstand – ist das gerade das Thema in Frankreich? Und warum findet man dazu in den „Qualitätsmedien“ so wenig? Mittwochabend, Startseite der SZ: Kindergeld; Russland; Maut; Wetter. FAZ: AfD; Maut; Ampel. Tagesschau: Maut; Bundes-Etat; etc.pp. Und damit meide ich „News“ wieder für ein paar Monate.

Immerhin passiert im Freitag ein bisschen was, leider halt alles hinter Paywall.

Eine marxistisch-revolutionäre Notiz zum Thema findet sich vom Techno-Labelbetreiber Achim Szepanski (Update 06/24: Offenbar ist das NON-Blog weg und umgezogen auf eine wordpress-com-Instanz, also jenseits jeder Professionalität. Die Kopfzeile begrüßt: „Der Tarif dieser Website ist abgelaufen. Schenke dem Autor ein WordPress.com-Upgrade.“ Hier dennoch der aktuelle Link, denn der alte wurde nicht weitergeleitet.)

Für weitere Leseempfehlungen, die das einordnen, bin ich dankbar. Irgendwie habe ich das Gefühl: Das wird sowohl „Kritik des affektiven Kapitalismus“ als auch „Emotionsgeschichte“ noch beschäftigen.

AK: Abschluss!

Wir versuchten, das Seminar auf einige gemeinsame Nenner zu bringen — gar nicht so leicht. Spezifisch modern und kapitalistisch ist vielleicht

a) Entgrenzung: Man ist nicht mehr nur in einzelnen Rollen (Religion/Ritus?), sondern jederzeit gezwungen, auf bestimmte Weise zu empfinden. Weder im privaten Konsum noch im öffentlichen Arbeitsleben entrinnt man emotionalen Ansprüchen. (So ein omnipräsentes Medium gab es vorher vielleicht in bestimmten „Heils“-Vorstellungen der Religion …?)
b) Emotionen dienen jederzeit als unhinterfragbare, scheinbar subjektiv-authentische Begründungen

Einen Schwerpunkt bildete die Frage, ob und wie Emotionen „widerständig“ sein können. (Sieht das dann so aus wie in Frankreich gerade?) Dazu ein Linktipp (12 Minuten): „Climate fears make Sindha feel doomed. Can eco-therapy help?“ Wenn die Klimakrise Individuen in depressionsartige Zustände führt und das „nothing special“ ist, kann man da schon eine Protest-Ressource vermuten. Bleibt abzuwarten, ob es bei einem individuellen bzw. individualisierten, pathologisierten Problem bleibt oder ob daraus mehr werden kann. Das passt ja auch ganz gut zu Mouffe. Über den Begriff „climate therapist“ musste ich allerdings irgendwie schmunzeln.

Und btw: Mein Thesenpapier für die mündliche Prüfung übernächste Woche habe ich auch eingereicht. (Danke Hanna D. und Sabine fürs Feedback!)

E&G: Abschluss!

Leider, leider die letzte Sitzung – nun folgt nur noch die mündliche Prüfung im August und dann war es das mit E&G, und vermutlich auch mit empirischen Inhalten in diesem Studium. In der Abschlussdiskussion besprachen wir noch einmal die verschiedenen Mechanismen, die auf vergeschlechtlichte Ungleichheit in Eigentumsbeziehungen wirken. Noch ein paar Take Aways:

  • Verwaltung von Einkommensströmen und Vermögensständen ist ungleich der Kontrolle darüber. Das kann man sich m.E. gut an einem Unternehmen versinnbildlichen: Die Buchhaltung verwaltet zwar das Geld, aber die Kontrolle hat die Geschäftsführung. Die Verwaltung wird oft dann von den Frauen übernommen, wenn es wenig bis nichts zu verwalten gibt, das also zur lästigen Sorgearbeit wird. Und ich wette, Männer, die verwalten, kontrollieren auch öfter als verwaltende Frauen.
  • Female Bread Winners sind selten das angestrebte Ziel, sondern aus der Not geboren (der Mann kann nicht genug verdienen). FBWs haben keinen Machtgewinn durch ihre Alleinverdienerinnenrolle, sondern bürden sich im Gegenteil oft noch zusätzlich den Großteil der Sorgearbeit auf.
  • „Work-Life-Balance“ müsste bei Frauen oft eher „Lohnarbeit-Sorgearbeit-Konflikt“ heißen.
  • Bei Paaren, in denen das Einkommen stark unterschiedlich verteilt ist, wird eher zusammen verwaltet; bei Vermögen ist es umgekehrt: Wenn es abweicht, wird es getrennt verwaltet.

Nächste Woche bringe ich vermutlich ein Ranking der Veranstaltungen. E&G wird ziemlich weit oben landen …

LK: Eine Außenperspektive

Der letzte LK für dieses Semester – und generell. Ich habe leider keinerlei Überblick mehr, wie viele Leute noch in meinem Jahrgang sind – gestartet sind wir ja mal mit 35, hier im LK und in anderen Veranstaltungen habe ich dieses Semester jedes Mal etwa 12 aus 20 Leuten gesehen. Auch in dieser letzten Sitzung war ein gutes Dutzend Leute da.

Ein Romanistik-Professor erzählte ein bisschen was zu seinen Eindrücken von Annie Ernaux und „Die Jahre“. Aus seiner Sicht ist das Einzigartige am Buch, dass es den gut gemachten Versuch darstellt, als Subjekt einer Autobiographie eben kein Individuum, sondern … etwas anderes zu nutzen. (Ein Kollektiv? Ein Milieu? Eine Generation?) Was erzählt wird – die v.a. politischen Geschicke eines Landes – wird von Außen dargestellt; das (Kollektiv-) Subjekt der Erzählung ist nicht involviert in die „große Politik“, partizipiert nur durch Erfahrungen an ihr (im Guten wie im Schlechten). Die faktische Befreiung wird ohne Pathos erzählt. Ich denke, das ist auch nötig – die Emotionen müssen bei dieser „Subjektkonstruktion“ entdramatisiert werden („man empfand …“, und dann empfand man eben nicht mehr). Gelungen ist, dass dies im Buch nicht zur Verflachung der Emotionen führt – man kann das miterleben.

Der Gastdozent war jedenfalls spürbar begeistert von „Die Jahre“, und das war trotz eines Semesters Diskussion ansteckend. Ein runder Abschluss – so eine Außenperspektive aufs gelesene Buch könnte man jedes Mal einbauen, dann vielleicht sogar in der Mitte des Semesters. Anschließend gab es noch einen Ausklang im Biergarten. Ich bin gespannt, wie viele der Leute ich nochmal wieder sehe.

Phishing

Mich erreichte eine Mail:

Zur Steigerung der Awareness hinsichtlich Phishing-Mails führen wir auf Grundlage eines Präsidiumsbeschlusses vom 7. März 2023 eine verpflichtende Schulung als präventive Maßnahme für alle Studierenden, Mitarbeitenden und Gäste ein, die einen Zugang zu den universitären IT-Systemen besitzen.

Das ist natürlich auch eine Lösung: Wenn unsere IT-Systeme angreifbar sind (Windows, Active Directory, Exchange etc.) müssen wir Schlangenöl verwenden und die Verantwortung/Haftung auf die Nutzenden abwälzen, die dafür einen Kurs brauchen. Letzte Woche habe ich auch mit einer Institution gemailt, die technisch einfach nur noch PDF-Anhänge durchlässt – was natürlich eher suboptimal ist, wenn es um Zusammenarbeit mit Externen geht … Irgendwie läuft da gerade was ganz gehörig schief mit diesem Internet.

Ich hab mich mal durch den „Kurs“ geklickt. Der Abschluss-Test war … maximal banal und latent selbstwidersprüchlich. Ich empfehle einfach, keine HTML-Mails zu nutzen. Das hab ich denen klugscheißerisch auch gemailt.

Zug

Die Hinfahrt nach Jena war wegen a) Stornierung meines Zuges und b) Personen im Gleis etwas holprig. Ich habe mein ICE-Ticket storniert und bin per RE gefahren (das Geld wurde binnen zwei Tagen anstandslos zurückerstattet). Leider hat das eine Stunde gekostet. Das war nun aber auch das erste größere Problem im ganzen Semester, sodass ich eigentlich nicht meckern kann. Trotzdem reicht es mir: Gut, wenn es jetzt mal weniger Fahrerei wird.

Props übrigens an abellio (ja, die mit dem Müntzer-Train): Steckdose an jedem Platz, komfortable ausklappbare Laptop-Tischchen und immer gut klimatisiert. Fehlt nur noch Internet per WLAN, das gibt es offenbar nur auf bestimmten abellio-Strecken.


Beitragsbild: Eine Parkgarage in Jena (Neue Mitte) – schönes Beispiel für Emotionen und Kommodifizierung.

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