Rückblick: Das Sabbatical-Blog („Lerntagebuch“)

Nam June Paik used to say that if we do not get the tools of creation in our own hands, it will be ‘1984’, under total surveillance. Big Brother will rule our lives. And now, because of the mobile phone, people can do their own little videos and music – this is the big change in our culture at the moment. (Emil Schult)

Meine Zeit zwischen Oktober 2022 und jetzt war ja vor allem von zwei Beschäftigungen geprägt: a) studieren; b) bloggen. Ob man das so richtig trennen kann, weiß ich gar nicht. Trotzdem dachte ich mir, ich werfe einen separaten Blick zurück auf das Thema „Lerntagebuch“. Zumal ich nun nach dem Ende der Präsenzzeit ein bisschen verloren bin; auch da soll Reflexion ja helfen.

[Alle Rückblicke finden sich hier.]

Wie viel ist entstanden?

Ich habe hier eine Liste aller Blog-Artikel mit dem Tag „Sabbatical“ erstellt. Zum jetzigen Zeitpunkt umfasst sie über 95 Einträge — u.a. je ca. 15 Artikel pro Semester, in denen ich die jeweilige Veranstaltungs-Woche beschrieben habe; eine handvoll Artikel pro Semesterferien; ein paar Umfragen und Ergebnisse; und die Rückblicke. Die Artikel hatten durchschnittlich 9.000 Zeichen, zusammen etwa 850.000. Das ist also etwa 6 Mal so viel wie meine Masterarbeit, oder 20 Hausarbeiten. Im Normseitenverhältnis meines Institus wären das ca. 425 Seiten.

Ich bin mir nicht ganz sicher, wie man das alles „übersichtlich“ halten kann, und will da nicht zu viel Zeit reinstecken … daher bleibt es erstmal so. Die Liste wächst natürlich noch, wenn weitere „Sabbatical“-Artikel dazu kommen.

Wie viel Zeit floss da rein?

Das ist schwer zu sagen. Die meisten Veranstaltungsrückblicke entstanden während der Woche, also z.B. noch im Seminar oder kurz danach. Da hätte ich ja sowieso mitgeschrieben. Und Lektürebeschreibungen entstanden logischerweise beim Lesen. Aber etwa eine Stunde zusätzlicher Aufwand für

  • die Verschriftlichung von Gedanken,
  • das Glätten von Zetteln hin zur Publikationsreife,
  • das Suchen & Finden eines Beitragsbilds,
  • Korrekturlesen
  • etc.

fiel pro Woche sicherlich an.

Hat sich der Aufwand gelohnt?

Ja. Das Bloggen war eigentlich unverzichtbar, sowohl während des Studiums als auch aus heutiger Sicht.

Erstens hätte ich sonst ein „nichtöffentliches“ Lerntagebuch führen müssen. Denn wenn man Gelesenes, Gedachtes, Gesehenes nicht in einen einigermaßen kohärenten Text bringt (also nicht nur Stichpunkte, sondern eine kommunikative Argumentation!), merkt man sich das nicht gut. Ob man etwas verstanden hat, merkt man erst, wenn man es jemandem zu erklären versucht (und der „jemand“ kann ein mehr oder minder anonymes Blogpublikum sein).

Zweitens hätte ich dann jetzt kein hübsches Album der Erinnerungen an diesen Zeitraum. So ein Blog bietet einen Raum für Erlebnisse (und Rants), und dadurch wird auch eine Zugverspätung erträglicher: immerhin hat man dann dem Tagebuch etwas anzuvertrauen.

Drittens hat das kontinuierliche Bloggen dafür gesorgt, dass mir der Übergang vom Lesen zum Schreiben (hinsichtlich der Studienarbeiten) leichter fiel. Denn so kam ich nie ganz aus dem Schreiben raus.

Und viertens bot das Bloggen immer eine schöne Prokrastinationsmöglichkeit. Für nahezu alle Tätigkeiten muss ich in der passenden Stimmung sein, sonst fallen sie mir unglaublich schwer. Beim Warten auf diese Stimmung konnte ich mir zumindest einreden, dass das Bloggen eine sinnvolle Tätigkeit ist, mit der ich die Zeit herumbringe …

Wurde das irgendwann mal lästig?

Ich glaube, zwei oder drei Mal hatte ich das Gefühl, unter einem gewissen Druck zu stehen und „abliefern“ zu müssen. (Was natürlich lächerlich ist, nachdem hier nur ca. ein Dutzend Menschen mitliest; und diese Menschen hätten vermutlich alle Verständnis dafür gehabt oder es gar nicht bemerkt, wenn mal eine Woche nichts passiert wäre.)

In den restlichen ca. 43 Wochen war das Bloggen eigentlich eine völlig natürliche und normale „Studienbeschäftigung“, so wie Texte lesen oder Uni besuchen. Und in manchen Wochen (gerade in denen mit frustrierendem Verkehr) hat es mehr Spaß gemacht als der Uni-Studien-Pendel-Alltag. Bloggen ist zu einem richtigen Hobby geworden, das ich (in verminderter Intensität) auf jeden Fall beibehalten werden. (Nicht, dass ich vorher nicht gebloggt hätte.)

Warum nicht per „Social Media“?

Das habe ich mich dann auch irgendwann gefragt. Ich hätte ja auch Threads auf Twitter, Mastodon oder (später) Bluesky machen können. Oder Bilder auf Insta teilen. Vermutlich hätte es da auch mehr Kommentare gegeben — das war hier im Blog ja eher die Ausnahme. Feedback gab es fast jede Woche, am häufigsten per Signal oder Whatsapp. Überrascht hat mich, dass mehrere Leute dankbar waren, dass ich die Links in meinen „Whatsapp Status“ stellte — ich gucke da fast nie rein … Und teilweise kam das Feedback auch ganz real in leiblicher Kopräsenz. Nur ist das inzwischen natürlich nicht mehr den einzelnen Wochen zuordenbar. Per Social Media wäre das leichter.

Andererseits würde ich mich in den Hintern beißen, hätte ich auf Twitter mit dem Kram angefangen und inzwischen mein gesamtes Publikum verloren, weil da nur noch Nazis abhängen. Da ich zusammenhängende Gedanken publizieren wollte, wäre das auch sehr aufwändig gewesen. Außerdem hätte ich dann dort aktiver sein müssen, als mir lieb ist (ich konsumiere aktuell wenig bis keine „News“, ob klassisch oder „sozialmedial“). Für Instagram hätte ich nicht genug visuellen Content gehabt. Und von Kram wie Facebook, LinkedIn, Mastodon, Discord wollen wir mal gar nicht anfangen … Es gab also eigentlich keine Alternative zum Bloggen. Oder mit den Worten von Marc Weidenbaum:

Social media is “social.” Blogs are “web logs.” Social media expects feedback (not just comments, but likes and follows). Blogs are you getting your ideas down; feedback is a byproduct, not a goal. (aus „Q: Why Blog? A: Blogs Are Great“ – dort auch: „Bring Out Your Blogs“)

Außerdem zwingt ein Blog dazu, die Sachen zumindest ansatzweise „rund“ zu machen. Und man behält die Kontrolle — egal, was mit der Plattform passiert. (Deswegen bin ich nach wie vor ein Fan selbst gehosteter Blogs; kein WordPress.com, kein Medium.com, keine „Social-Network“-Blogging-Plattformen, kein Substack etc.) Deswegen lieber Slow Social Media, und deswegen lieber selbstständig.

Learnings fürs nächste Mal?

Gerade am Anfang waren die Wochenschauen schon sehr lang. Ich hatte überlegt, ob sich ein Umstieg auf Themen statt Zweitabschnitte lohnen könnte … aber das wäre vermutlich zu viel Arbeit gewesen, und ich hätte jetzt kein so schönes Erinnerungsalbum.


Beitragsbild: Die wichtigsten Print-Bücher des Studiums in der Gesamtschau.

10 Gedanken zu „Rückblick: Das Sabbatical-Blog („Lerntagebuch“)“

  1. Das Bloggen war sicher gut für dich, aber auch für deine „Follower“. So war man erstens auf dem Laufenden und zweitens ging es ja auch etwas in die Tiefe.

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  2. Danke fürs Mitnehmen auf deine Sabbaticals! Ich lese hier immer wieder gerne mit und freu mich für dich – es sieht ja zumindest hier so aus als wäre das mit dem Master die richtige Entscheidung gewesen 🙂

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