Rückblick: Das Sabbatical

Als Eigentümer seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten wird jedermann zum Sklaven seiner selbst.
Die Sklaverei wird allgemein und dadurch aufgehoben.
Sie erscheint jetzt als Freiheit.

(Luhmann, „Die Wirtschaft der Gesellschaft“, S. 215)

So, nun ist es also soweit: Das Sabbatical und sein Studien-Projekt ist (fast) beendet. Leider habe ich noch keine Gesamtnote des Studiums, denn meine „Verteidigung“ der Masterarbeit fällt bereits wieder ins Arbeitsleben. Wie das ganze Studien-Abenteuer ausgegangen ist, pflege ich dann hier als Update nach.

Zur Abrundung hier die bisherigen Rückblicke:

Und hier das Archiv aller Artikel mit dem Tag „Sabbatical“.

Im Folgenden werfe ich einen Blick zurück auf das Unterfangen, ein Sabbatical zu nehmen und dieses zu nutzen, einen konsekutiven Master zu machen.

Meine Sabbatical-„Ziele“

Als Ziele hatte ich mir gesetzt:

  • Spaß haben
  • Kontrast zur Arbeit
  • Tapetenwechsel, einen neuen Ort kennenlernen
  • etwas erzählen können
  • neue Themen und vor allem Autorinnen und Autoren kennenlernen
  • ein paar interessante Texte schreiben

Sekundär:

  • einen Abschluss machen
  • neue Leute kennenlernen
  • „Gesellschaft“ und „Theorie“ besser verstehen

Inwieweit ist mir das geglückt?

Der Kontrast zur Arbeit

Ganz generell habe ich von Anfang an gemerkt, dass sich meine Zeitwahrnehmung verschiebt: Mir war so gut wie nie klar, welcher Wochentag ist, und gerade die Wochenenden hatten kaum noch Bedeutung. Das ist insofern merkwürdig, als meine Uni-Woche ja genauso getaktet war, wie es meine Arbeitswoche ist — vielleicht sogar noch mehr, weil es ja feste Veranstaltungen und auch fix gebuchte Züge gab.

Aber irgendwie fühlte es sich „fluider“ an, freiwilliger und damit flexibler. So ganz bin ich nicht dahintergekommen, wieso das so stark ausgeprägt war, aber ich habe es fast vollständig positiv erlebt. Die Arbeit selber habe ich im Übrigen nie vermisst — wohl aber Kollegys, Benefits (Geburtstagskuchen!!) und natürlich das Geld.

Was mein Studien-Erlebnis auf jeden Fall positiv beeinflusst hat, war, dass ich einen Plan für danach habe — also einen festen und ausreichend bezahlten Job. Das ist bei meinen Kommilitonys nicht der Fall. Nach Aussage unseres Studienberaters hat zwar noch jedes Gesellschaftstheorety einer wirtschaftlichen Verwendung zugeführt werden können, oft abseits der Theorie (aber natürlich in Gesellschaft), aber ich denke, es beruhigt ungemein, keine direkten Zukunftsängste haben zu müssen. Wenn ich mir vorstelle, dafür einen Studienkredit aufnehmen und dann auf ungewissen Wegen abstottern zu müssen … Aber ich bin halt auch ziemlich verbürgert.

Freue ich mich wieder auf die Arbeit?

Auch. Es ist schön, wenn dann wieder klarer Feierabend und klares Wochenende ist, man die Feiertage wieder wertzuschätzen weiß etc. Und natürlich vermisse ich einige Leute!

Studieren und Leistung

Eine Frage stellte sich von Anfang an: Ist das nun „Freizeit“ oder „Arbeit“? Schwer zu sagen. Einerseits hing ja nicht wirklich etwas am Studium oder am angestrebten Abschluss: Ein Master in GT wird meine sozioökonomische Lage gegenüber dem Bachelor wohl nicht merklich verändern. Hätte es mir keinen Spaß gemacht (womit auch beantwortet ist, ob das Ziel erreicht wurde), hätte ich einfach aufhören können, ohne irgendwelche Konsequenzen.

Andererseits war ich ja stark intrinsisch motiviert: Diskussionen machen mehr Spaß, wenn man vorbereitet ist und die Sache verstanden hat; eine ordentliche Arbeit abzuliefern ist befriedigender, als irgendwas Halbgares. Und es gab immer auch extrinsische Motivation und Außenbewertung — bis dahin, dass man abhängig ist vom Goodwill der Dozierenden; das fühlte sich teils härter an als als Arbeitnehmy. (Da kann man ja oft Verantwortungs-Aikido spielen.) Und mit einem Studium ist man, wie mit einer Selbstständigkeit, eigentlich nie fertig — man könnte immer noch weiterlesen oder vorarbeiten.

Trotzdem kam ich nicht in die Zwangslage, zwischen Leistungsansprüchen des Projekts und Erholungsansprüchen des „Urlaubs“ von der Lohnarbeit entscheiden zu müssen, weil mir eigentlich alle geforderten Leistungen eher erholsam denn anstrengend schienen.

Ich dachte mir mehrfach: Freizeit ist das, wo ich keine Kosten-Nutzen-Kalkulation anstellen muss. Während ich bei Projektchen und auch im Angestelltendasein immer wieder rechne, ob sich der Aufwand lohnt, konnte ich hier einfach Dinge tun. Zumal ja auch niemand sonst von meiner Arbeit profitierte (Stichwort: Ausbeutung, marxistisch verstanden). Insofern war „Leistung, ohne dafür bezahlt zu werden“ Voraussetzung des Erholungscharakters. Auch für sowas muss es einen Raum geben. Danke, Uni!

Zurück ins normale Leben

Insgesamt kam ich fast etwas zu glatt durch das Studium: Nach Ende des dritten Semesters war ja auch die Master-Arbeit schon sehr weit gediehen — und zusätzlich nur noch ein Essay-Doppelpack zu verfertigen, von dem die Hälfte auch schon stand. Zwar türmten sich kleine Aufgäbchen für Projekte, aber nichts Dringendes (und eigentlich auch nichts allzu Wichtiges). Daher versackte ich erstmal zwei Wochen in Jenaer Auszugsplanung, Sozialkontakten, Computerspielen und Freizeitlektüren. Diese Umstellung allerdings war nicht ganz leicht: Von Semesterpflichten zu … reiner Freiheit. Insbesondere nach der Abgabe der Masterarbeit fiel ich in eine kleine Sinnkrise: War es das jetzt? Was kommt als nächstes? Was mache ich jetzt mit der restlichen Freizeit? Droht mir, etwas zu verpassen? Wie lässt sich die Zeit „sinnvoll“ „nutzen“?

Einerseits fehlten mir hier sicherlich die Struktur und die kleinen Lektüre- und Studien-Aufgaben des Semesters. Andererseits war und bin ich auch ganz zufrieden damit, dass das Studium abgeschlossen ist: Auf weitere drei Semester hätte ich (momentan jedenfalls) keine Lust. Wenn, müsste es ein größeres Projekt wie eine Promotion sein. Ich bin jetzt recht gespannt, wie die Wiedereingliederung ins Erwerbsleben ab Ende Mai laufen wird. Vielleicht schreibe ich Ende des Jahres einen „Rückblick nach sechs Monaten lohnabhängiger Beschäftigung“.

Funktionierte das Sabbatical-Pendel-Studium?

Das Wichtigste dazu habe ich ja schon im Studienort- und im Studiengang-Rückblick geschrieben. Insgesamt würde ich sagen, so ein Projekt kann gut funktionieren, wenn man keine weiteren Verpflichtungen hat und sich alles einteilen kann, wie man will. Es ist aber sicher von Vorteil, dauerhaft am Studienort zu wohnen oder remote zu studieren (was dann wieder eigene Probleme mit sich bringen dürfte) — ich hatte schon das Gefühl, teilweise zu wenig da zu sein, um an allem teilzunehmen bzw. Beziehungen vertiefen zu können. (FOMO!)

Die Logistik war eine gewisse Herausforderung, bis hin zu Frage, wie ich mich im Alltag versorge (zumal an Wochenenden ohne Mensa). Oft war etwas nicht an dem Ort, wo ich es gebraucht hätte. Aber insgesamt: Geht, wenn man überall Puffer einbaut.

Ein paar Zahlen

Buchhaltung, Steuererklärungen und Abschlüsse sind ja auch immer eine Art Tagebuch. Daher:

Was hat das ganze Projekt denn nun gekostet?

Das ist nicht ganz leicht zu sagen. Erstens muss man definieren, welche Kosten dem Projekt zuzuordnen sind: Waren die Kosten für Ausflüge in Thüringen „Sabbatical-Kosten“, oder hätte ich ansonsten halt einen (ggf. teureren) Ausflug in Franken gemacht? Wäre ich statt in die Mensa zu Pippos Pizza gegenüber gegangen (teurer), oder hätte ich selber Pizza gemacht (viel billiger)? Wie berechnet man die Opportunitätskosten, dass ich ggf. einen besser bezahlten Job finden oder die steile Karriereleiter in meiner aufstrebenden Firma hätte erklimmen können?

Spaß beiseite. Wie schon anfangs erwähnt, muss man vor allem zwei Komponenten berechnen:

  • Gehaltsverzicht und
  • Mehrkosten.

In Sachen Gehaltsverzicht bleibe ich bei der damaligen Zahl, die am deutschen Durchschnittseinkommen bemessen ist — da bin ich hinreichend nahe dran, damit das einigermaßen realistisch ist: Rechnen wir mal mit 24.000 Euro Gehaltsverzicht, also 1.000 Euro je Monat. Das macht eindeutig den größten Posten aus.

Dann kommt die Mehrbelastung:

  • Für mein Zimmer fielen 350 Euro im Monat über 17 Monate an, also 5.950 Euro. Hinzu kommen insgesamt etwa 800 Euro für anderweitige Unterbringung (Studienfahrten und Zeiträume, wo ich mein Zimmer nicht nutzen konnte). [Anmerkung: Das bedeutet, mich hat jeder der ca. 204 Studien-Auswärtstage etwa 33 Euro an „Übernachtungsanteil“ gekostet.]
  • Die Pendelkosten fallen mit etwa 1.200 Euro dagegen recht gering aus: Ich habe halt nahezu immer Sparpreise genommen.
  • Weitere ca. 1.000 Euro fallen für 4 Semester Studienwerksbeiträge etc. an. (Um Langzeitstudiengebühren bin ich ja gerade noch einmal herumgekommen.)
  • Kleinere Anschaffungen, Studienlektüren, Mietwagen für den Auszug etc. würde ich mal mit 500 Euro veranschlagen.
  • Außerdem habe ich in Jena etwas mehr für Essen ausgegeben, als ich das in Nürnberg getan hätte. Rechnen wir hier einfach auch nochmal 500 Euro, ca. 2,50 zusätzlich pro Jena-Tag.

Damit sind wir bei:

  • 24.000 Euro Netto-Gehaltsverzicht und
  • 10.000 Euro Mehrkosten.

Das kann man weitgehend von der Steuer abziehen bzw. ist das zu versteuernde Einkommen ja schon geringer. Es war mir aber ehrlich gesagt zu kompliziert, das im konkreten Fall gegen alle Einnahmen (Vermietung, Kapitalerträge, Freiberufliches, Lohn) zu verrechnen und dabei auch noch die gemeinsame Veranlagung von Ehemenschen zu berücksichtigen — vielleicht sehe ich das nach der diesjährigen Steuererklärung klarer. Außerdem kann man berücksichtigen, dass man als Studierendes auch hier und da spart, etwa beim Deutschlandticket, in Museen und bei Zeitschtiften-Abonnement. Das fällt aber m.E. nicht wirklich ins Gewicht.

Insgesamt ist das also durchaus ein teurer Spaß.

Wie viel Geld habe ich in der Mensa gelassen?

Ich habe im Studienverlauf insgesamt 540 Euro auf meine „Thoska“ geladen. Das meiste davon ging für Mensa-Essen drauf, ein kleiner Teil für Kopien/Scans/Drucke. Wenn man annimmt, dass das durchschnittliche Essen 3 Euro kostet, sind das also ca. 170 Mahlzeiten.

Wie viel Zeit habe ich im Zug verbracht?

Wenn ich aus meiner Buchhaltung richtig entnehme, dass ich 65 Reisetage hatte (was ziemlich genau 11 Monaten Präsenzzeit mit je 3 Hin- und Rückfahrten, also 66 Fahrten entspricht), lässt sich das leicht ausrechnen: Meistens war ich von der Wohnung bis in die Uni etwas über 3 Stunden unterwegs. Mal 65 Reisetage ergibt das knapp 200 Stunden, also über 8 Tage reine Reisezeit. Nicht schlecht.

Hinzu kommen Fahrten innerhalb Jenas; zur Uni war ich 30-40 Minuten unterwegs, bei 11 Monaten und je ca. 3 Uni-Tagen pro Woche also 11 Mal 4 mal 35 Minuten sind das etwa 26 Stunden Jenaer Nahverkehr. [Zum Vergleich: Im normalen Arbeitsalltag habe ich 2 Bürotage pro Woche mit etwa 25 Minuten einfacher Anfahrt, also 100 Minuten pro Woche. Bei 46 Arbeitswochen sind das 4.600 Minuten und damit etwas mehr als 3 Tage.]

Was hat mir am besten gefallen?

Insgesamt natürlich die Gelegenheit, in einem größeren Zeitrahmen einer selbstgewählten und selbstbestimmten Aufgabe nachzugehen. Inhaltlich, und das fand ich überraschend, waren besonders die intensiven Schreib-Zeiträume toll: Man liest mit einem Ziel; es ist klar, was wichtig ist und was nicht; man hat eine Aufgabe und einen Adressatenkreis (auch wenn das nur zwei Dozentys sind); und man kann tage- und wochenlang an einem Text feilen. Das hat immer wieder erstaunlich viel Spaß gemacht.

Ohne eine „Zielgruppe“ wäre das allerdings nicht dasselbe — seit die MA abgegeben ist, reizt mich ziel- und adressatenloses Schreiben überhaupt nicht. Ich vermute auch, ich werde nach dem ganzen Sabbatical deutlich weniger bloggen: Es fehlt der Anlass. (Allerdings könnte es durchaus sein, dass ich mal wieder so etwas wie „Weird Harmonies“ schreibe, das war eine mehr oder minder anlasslose Analyse cthuloider Musik.)

Fazit

Die meisten gesetzten Ziele habe ich erreicht. Das Projekt hat mir gezeigt, dass man (unter Aufwendung von Zeit, Mühe, Geld und anderen Ressourcen) auch mal ausscheren und etwas ganz anderes machen kann. So lassen sich auch diverse Routinen durchbrechen, wenigstens temporär. Ich würde sowohl ein Sabbatical als auch ein spätes Studium auf jeden Fall weiterempfehlen.

Danksagung

Nachdem das Projekt nun zu Ende geht, ist es Zeit, einigen Leuten meinen Dank auszusprechen:

  • Sabine für die Unterstützung bei allem, von der Logistik bis zum kritischen Lektorat!
  • meinen Nürnberger Freundys, nicht nur für die Schultüte am Anfang!
  • meinen neuen Bekanntschaften in Jena, die den Aufenthalt dort spannender und angenehmer gemacht haben!
  • meinen Kollegys, die aber ja auch durch deutlich mehr Ruhe in den Meetings entschädigt wurden!
  • natürlich auch meiner Firma (sozusagen als juristischer Person), die das Sabbatical ermöglicht hat!
  • meinem Studienfachberater Jörg Oberthür, der mich seit April 2021 stets schnell und freundlich bei allerlei praktischen Fragen unterstützt hat!
  • Jannis für die (indirekte) Vermittlung meiner Unterkunft!
  • Und natürlich allen (anderen), die hier eifrig mitgelesen und -diskutiert haben!

Ich hoffe, ich habe niemanden vergessen.


Beitragsbild: Eine Bank über den Hügeln von Zwätzen.

3 Gedanken zu „Rückblick: Das Sabbatical“

  1. Ich finde super, dass du dich getraut hast, „auszuscheren“. Dein begleitendes Bloggen fand ich super, um auch aus der Ferne am Ball zu bleiben. Und vielleicht hilft es ja dem ein oder anderen spätberufenen Menschen, sich auch noch zu trauen. Das Lesen ist mir zur Gewohnheit geworden – entsprechend wird wohl auch aus dieser Perspektive die Lücke, die nach dem Erreichen deines Projektziels entsteht, offensichtlich. Auf dass du ein spannendes neues Thema findest!

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