Die verflixte 7. Woche

Da gibt’s weder nen Mann noch ne Frau da oben, so viel is ja sicher.
Hartmut Rosa über Gott

Das Wochenende hatte mich zu multiplen Geburtstagsverrichtungen nach Nürnberg geführt (ich gratuliere nochmal herzlich allen, die kürzlich Geburtstag hatten: Emmi, Hans, Sabine, …!). Nun geht es für den bislang längsten Abschnitt nach Thüringen: Ich fahre erst zur Weihnachts-Semesterunterbrechung wieder in die fränkische Heimat, also am 16.12.

In dieser siebten Woche wartete tatsächlich ein ziemlicher Berg Uni auf mich. Und irgendwie geht es im Folgenden recht viel um Religion.

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Zeitgemäße Betrachtungen: Krankenstand

Ein Unterschied, der mir zur angestellten Erwerbsarbeit immer wieder auffällt: Plötzlich ist Krankheit mein Problem; fast wie bei Selbstständigen. Klar, ich freue mich auch normalerweise nicht, wenn ich mal an einem Dienstagmorgen Kopfschmerzen habe und mich dann krankmelden muss (was ziemlich selten vorkommt). Aber es hat für gewöhnlich, außer zu irgendwelchen superwichtigen Deadlines (wo man dann eh nicht krank wird), keinen großen Einfluss auf mein Leben, und auch selten auf das anderer.

Das fühlt sich jetzt anders an: Ich befürchte mehr als sonst, dass ich mich an den überlappenden Covid-, Erkältungs- und Grippe-Wellen, von denen man überall husten hört, anstecke. Und dann eine Vorlesungswoche verpasse, oder ein Blockseminar, oder etwas Soziales. Oder einfach in der Fremde krank daniederliege.

Die Bahn

Am Wochenende habe ich gelernt: Man kann auch Super-Duper-Hyper-Sparpreis-Tickets stornieren, wenn man sich „verbucht“ hat. Das geht vor dem ersten Geltungstag, und höchstens 720 Minuten nach Buchung (das sind 12 Stunden). Ich hatte vor lauter Zugbucherei zweimal die gleiche Strecke gebucht, statt Hin- und Rückfahrt. Zum Glück entdeckte ich den etwas versteckten Button Auftrag noch rechtzeitig. So langsam werde ich (wieder) zum Bahn-Profi.

Auf der Rück(?)fahrt nach Jena kam es dann zum Ausfall (genau) meines Zuges, was aber eigentlich nicht weiter ins Gewicht fiel; ich wollte ohnehin, dank wegen Leiferde entfallender Zugbindung, etwas früher fahren. Was genau mir aber die Bahn mit dieser folgenden Meldung sagen wollte, entzieht sich meinem Verständnis: Erst hieß es, der Zug falle aus; nachdem ich bereits per anderem ICE in Erfurt war, weist mich eine Push-Notification darauf hin, die Verbindung sei doch wieder möglich; aber ein Klick auf die Benachrichtigung produziert dann wieder den bekannten Zustand, dass die Fahrt ausfalle. Schließlich meldete die App nicht ohne stolz, dass ich nun pünktlich mein Ziel erreicht hätte. Muss man wohl nicht unbedingt verstehen.

Alles in allem verlief die Reise aber recht regulär, auch wenn die halbe Stunde frühere Abfahrt leider nicht zu einer halben Stunde früherer Ankunft führte.

Die Discounter, Staffel 2

Mein Prime-Probemonat läuft noch und es gibt genug zu prokrastinieren, daher konnte ich mir die zweite Staffel der „Discounter“ zu Gemüte führen. Prinzipiell passiert nicht allzuviel Neues und ich würde meine erste Rezension eigentlich nahtlos übernehmen. Mir fiel auf, dass die Serie vor tiefgreifenden Veränderungen dann doch immer zurückschreckt: Thorsten sieht schnell ein, dass er mit einem 0%-Fangquoten-Ladendetektiv Jonas besser beraten ist als mit einem fähigen Security, Bodybuilder – und selbstbewussten Arbeitsrechts-Enthusiasten. Sehr unterhaltsam, aber nicht mehr. Das Fazit ist wie bei Staffel 1: Ja, irgendwie ist das hier die Hölle auf Erden, aber wir machen es uns halt nett; und wir sind inklusiv und nehmen alle auf, solange sie sich irgendwie ausbeuten lassen.

Damit kann ich Prime nun guten Gewissens kündigen.

Jung und Naiv-Interview mit Hartmut Rosa

Nachdem ich dieses Semester nichts bei HR habe, muss ich ihm auf Youtube zugucken: Er war bei Jung & Naiv zu Gast, über 2 Stunden geballte Resonanz. Wer sich den Diözesanempfangs-Vortrag, der zu dem Kösel-Buch „Demokratie braucht Religion“ geführt hat, angucken will: Auch den gibt’s bei Youtube (ab Minute 18:05). HR distanziert sich übrigens im J&N-Interview deutlich vom Buchtitel, den offenbar Kösel gewählt hat.

Rosa und Religion

Ich bleibe ja bei Religion grundskeptisch, bei Kirchen erst recht. Rosa votiert, verkürzt gesagt, für eine gesellschaftliche Rolle der Religion(en) und ihrer Institutionen, um der Krisenphänomene der Gegenwart Herr zu werden, und flicht auch Energie- und Resonanztheorie ein. Der Diözesan-Vortrag scheint mir aber eher eine (wie immer anregende) Krisendiagnose gefolgt von einem (leider nicht ganz überzeugenden) Lösungsvorschlag.

Nicht ganz überzeugend vor allem, weil Religion und Kirche leicht auch für Zwecke abseits der demokratisch-resonanten Stoßrichtung zu instrumentalisieren sind, etwa für Exklusion. (Vielleicht ist das sogar wahrscheinlicher, wenn z.B. Pastoren in Schleswig-Holstein fast alle Nazis waren). Und auch, weil ich vermute, dass die Resonanzachse Religion (und insbesondere über kirchliche Vermittlung!) für die meisten Menschen nicht mehr belastbar ist. Auch wenn Rosa Gott weltlich oder „immanent“ versteht (siehe das Zitat am Anfang dieses Artikels).

Rosa erwähnt im J&N-Interview übrigens auch einige Details seines Aufwachsens: Die Eltern waren aus der Kirche ausgetreten und danach spirituell auf der Suche; zwischen Rosenkreuzern, Anthroposophie, Buddhismus, Hinduismus. Rosa kam dann in den protestantischen Religionsunterricht, ließ sich konfirmieren und spielt heute bekanntlich gerne Kirchenorgel. (Bei sakraler Musik kann ich mich dann wieder anschließen.)

Systemtheorie und Energie

Ab 2:10:55 geht es um den Wandel von der Hegemonie der Systemtheorie in den 90ern zur heutigen Vorherrschaft kritischer Theorie; und anschließend um die Interpretation von Rosas Theorien als Körpersoziologie und wieso Luhmann an Fragen wie denen nach Steigerungslogiken und vom Subjekt ausgehenden Energien schwächelt. (Was ich bestreiten würde: Ich denke, das könnte man mit Ausdifferenzierung, Semantiken und Medien vermutlich ganz gut erklären; denn auch die „Energie-Reservoirs“ sind ja sozial gemacht und kommen nicht umstandslos aus „dem Subjekt“. Eine normative Bewertung wäre aber vermutlich schwieriger als bei einer Resonanztheorie.)

Uni

Veranstaltungen

Es wirkt alles etwas ausgedünnt, und anscheinend sind auch die Institute und deren Mitarbeitende ausgedünnt. Ich frage mich, wie das bis Weihnachten noch wird, glaube aber nicht, dass es eine Maskenpflicht an der Uni oder einen Umschwung auf Remote-Unterricht geben wird. Brav mit Maske bewaffnet gab es diese Woche:

  • Kant-Vorlesung: Wir befassten uns u.a. mit Rassismus bei Kant. Unser Tutor empfahl dieses Video: Is Philosophy Just White Guys Jerking Off?
  • Gesellschaftstheorie-Vorlesung: „Applied Ethics“. Der GT-Bezug ist mir, wie beim vorherigen Vortrag, nicht ganz klar, was auch zur Diskussion führte, ob man sich noch ein anderes Format für die Einführung in die GT vorstellen könne.
  • Religion und Geschlecht zu Brentano. Sehr fremd, siehe auch unten.
  • Körpersoziologie zu Macht.
  • Lektürekreis mit Schwerpunkt auf antiker Philosophie.
  • Ein Ethik-Tutorium, für das ich Fragen vorbereiten durfte, u.a.: Gegen welche Maxime(n) verstößt Kant mit seinem Südsee-Rassismus? Welche Maxime könnte man ihm entgegenhalten? Ist das vorgestellte „Leben der Südsee-Einwohner“ in Faulheit abzulehnen?
  • Und dann noch:

2 Tage Derrida

Es geht weiter mit dem Blockseminar zur „Gastlichkeit der Sprache“, Benjamin und Derrida (Lektüren und Dokus, erstes Seminar). Meine Zusammenfassung der „Einsprachigkeit des Anderen“:

„Die Einsprachigkeit des Anderen“ drückt D.s Fremdheit mit der „eigenen“ Sprache aus, eine Fremdheit, die er dann generalisiert (jedermanns/-fraus Sprachen sind „Kolonialisierungen“) und universalisiert („alle Sprache, Heimat, Kultur ist Kolonialisierung“). Wonach er sich vielleicht andeutungsweise sehnt, ist eine (pluralistische?) Universalsprache, die dieses Problem umgeht; oder vielleicht auch einfach eine positive Beziehung zu „seiner“ Sprache (wobei das auch genau das zu sein scheint, wovor er warnt).

Formal bedient er sich eines sporadisch durch eine Gegenstimme unterbrochenen Monologs. Das Buch enthält viele biographische Bezüge (Konzept „franko-maghrebinischer Jude“, …) – und er scheint mir stilistisch insgesamt absichtlich „ungastlich“ zu schreiben, nicht auf den Punkt zu kommen und nicht klar sagen zu wollen, was er sagen will; die schwere Zusammenfassbarkeit ist also Methode.

Mir gefällt die generelle Verunsicherung bzgl. Sprache, die der Text hervorruft.

Insgesamt hilft das Seminar deutlich, Anschlüsse bei Derrida zu finden. Es ist ein mühsames Geschäft, aber es gibt Hinweise darauf, dass es sich lohnt. In jedem Fall bin ich Derrida näher gekommen.

Lektüren

Beim Geschlecht-und-Religions-Seminar bleibt es katholisch: Es geht um die „Marienerscheinungen in Marpingen“ – ein Phänomen, das mir irgendwie wahnsinnig fremd erscheint (Aufsatz von David Blackbourne zum Thema). Generell hatte ich im ersten, dem Protestantismus gewidmeten Abschnitt des Seminars eher das Gefühl, dass das aus „meiner Welt“ kommt und da rein passt; was vermutlich die starke Prägung unseres Lebens durch den Protestantismus aufzeigt, selbst wenn man sich wie ich als Atheist versteht.

Zu weiteren Lektüren bin ich wegen des o.g. Uni-Workloads kaum gekommen, aber ich empfehle Armin Nassehis „Wie weiter mit Luhmann?“ – eine Lektüre, auf die ich durch den immer empfehlenswerten Podcast „Zwischen zwei Deckeln“ stieß (danke wiederum Vince!).

Arbeiten und Prüfungsanmeldung

Für die Körpersoziologie habe ich nun einen ersten, aber noch etwas zu langen Essay-Entwurf. Ich würde die Essays gerne während des Semesters schreiben, damit ich dann in den „Semesterferien“ – also wenn ich wieder arbeiten muss – nur zwei Hausarbeiten zu erledigen habe. Im ersten Essay geht’s um einen systemtheoretischen Körperbegriff, grob orientiert an der Idee einer „Interventions-Schnittfläche“ zwischen psychischem, organischem und sozialem System.

Außerdem steht die Prüfungsanmeldung auf dem Plan, und das heißt, man muss sich durch einen merkwürdigen Katalog klicken, der nur anhand des eigenen Studiengangs, nicht anhand der belegten Module vorgefiltert ist … Dabei stellen sich auch Fragen wie: Belege ich diese Prüfung jetzt in MA-Phi 1.1b oder MA-Phi 1.1c? Mein Studienplan erfordert nur „MA-Phi 1.1“. Man hat wieder mal das Gefühl, viel falsch machen zu können – das Design ginge besser. (Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wie das in meinem ersten Studium war.)

Schon wieder so lang!?

Ja, das liegt daran, dass ich während der Woche einfach hier reinschreibe, was mir einfällt, und das dann eben viel ist. Ein straffer, kurzer Artikel kostet zu viel Zeit. Sorry!

(Full disclosure zum Titel: Die Woche war gar nicht verflixt, das ist nur Clickbait.)

8 Gedanken zu „Die verflixte 7. Woche“

  1. Ich finde es interessant, wie stark dein Studiengang mit Religion verknüpft ist.
    Die Einsprachigkeit des anderen ist nicht so mein Ding, klingt aber sehr anspruchsvoll.
    Mögest du von sämtlichen Infektionen verschont bleiben!

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  2. Das Bahnmysterium kann ich entzaubern, nachdem ich kürzlich selbst darauf reingefallen bin ;-). Dein Zug bestand aus zwei Zugteilen und wenn da groß und irreführend „Zug fällt aus“ steht, heißt das erst einmal nur, dass ein Zugteil ausfällt … steht angeblich irgendwo klein ganz unten. Wie gesagt, ich bin ebenfalls voll drauf reingefallen – einigen wir uns darauf, dass die Usability der Bahn-App an dieser Stelle ausbaufähig ist!

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