Briefe – Schreiben – Briefeschreiben

„Im Brief vermag man die Abgeschiedenheit zu verleugnen und gleichwohl der Ferne, Abgeschiedene zu bleiben.“
(Adorno, „Über Walter Benjamin“, 1970, S. 83)

Ich dachte mir, ich muss hier ja auch mal ein Adorno-Zitat bringen. Obwohl ich gerade eine Luhmann-Zitatesammlung lese und entsprechend genügend schärfere Munition hätte.

Apropos Munition: Cory Doctorow hat eine sehr umfassende Analyse (u.a.) des State of the Autoindustrie geschrieben, aus der man sehr viel lernen kann. Etwa: Dinge sind selten, wie sie scheinen (die Auto-Industrie könnte dafür verantwortlich sein, dass ihr länger auf eure neue Waschmaschine warten musstet, weil Autohersteller die gekauft und wegen der Chips (!) ausgeschlachtet haben.) Oder: Die Industrie produziert digital aufgeblähte Auto-Alpträume („enshittified“), die eigentlich niemand haben will („drivers hate all the digital bullshit“). Warum? Und wieso funktioniert das? Oder: Hat Amazon mehr kapitalistische oder mehr feudalistische Strukturmerkmale? Und wie hängt das mit der Autoindustrie zusammen? Nun kann man mal wieder sagen: Toll, dass ich kein Auto habe! Aber man kann ja noch mehr lernen (über Software-Abos, Drucker, Staubsaugerroboter, Thermomixe, Insulinpumpen, Ventilatoren for instance). (via fefe)

Nun fragt sich freilich: (Wie) kann man verhindern, da reingezogen zu werden? In einer technisierten Welt vermutlich gar nicht. Auch daher passt ein Adorno-Zitat hier vielleicht ganz gut hin.

Zeitwahrnehmung

Es ist verrückt, dass jetzt schon der Juli vorbei ist. Eine Prüfung ist geschafft, die andere rückt immer näher; noch zwei Monate für die Hausarbeiten, und auch diese gehen voran. Nebenbei jede Menge Freizeitstress und wieder 4 Tage Arbeit. Wegmarken ziehen vorbei, ohne dass ich das so richtig realisiere, und gleichzeitig fühlt es sich so an, als wäre letzte Woche noch Seminar gewesen. Falls ich doch etwas über Resonanzerfahrungen und Sabbaticals mache, muss ich diese „Zeit-Stimmung“ näher analysieren.

Leider kommt das Blog zu kurz – zumal ich ein paar gute Ideen für längere Artikel habe. Ich merke aber auch, dass gerade ein bisschen die Luft raus ist und ich froh bin, mich alltagspraktischeren Themen zuwenden zu können.

Nochmal ein kurzer Rückblick

Ich will schon seit Wochen versuchen, alle meine Veranstaltungen abschließend „zusammenzudenken“. Dazu ist ein Lerntagebuch ja auch da. Leider auch ein Zeitproblem. Daher nur als Skizze:

  • Themen: Geschlecht, Gefühl, Begehren, Produktion/Konsum/Kapitalismus, Wohnen, (Normal-) Biographie/Normalisierung
  • Theorien: Praxistheorie, Performativität, Systemtheorie (, queer theories/Poststrukturalismus)

Am schönsten gehen all diese Themen eigentlich an den Beispielen aus „Eigenes Haus“ zusammen. Wohnpräferenzen gehen mit vielen Gefühlen einher, beispielhaft seien nur

  • Begehren (eines Lebensmodells, einer Ästhetik; aber auch durchaus im sexuellen Sinne: Das Einfamilienhaus ist die Reproduktionssphäre des pronatalitischen hetero-mono-normativen Modells)
  • und Angst (Abstiegsangst, Konkurrenz)

genannt. Das lässt sich schön mit Bourdieu (Praxen, Habitus) analysieren, zumal es für die Reproduktion sozialer Ungleichheit zwischen Klassen und auch zwischen den Geschlechtern (traditionelle Rollenaufteilung -> Gender Gaps) sorgt. Und es lässt sich aus feministischer, antiakapitalistischer und auch queerer Perspektive kritisieren.

Werbematerialien für dieses Einfamilienhaus betonen einerseits die Begehrenskomponente (Ästhetik), andererseits rationalisieren sie das EFH als clevere Geldanlage (unter Ausblendung diverser Dimensionen, die diese Investition weniger rational erscheinen lassen: Klumpenrisiko, Opportunitätskosten, steigende Transitkosten, Folgekosten). Auch die clevere Geldanlage wird eher affektiv beworben: Ich erinnere an „Mach Schluss mit deinem Vermieter!“ der Bausparkassen und an die Rolle der Gier beim Immobilienerwerb.

Hierbei dient Gefühlskommunikation einerseits dazu, den (Geldzahlungs-) Anschluss erfolgreicher zu machen, andererseits aber eben vor allem auch der Bestätigung des eigenen Lebensentwurfs für die Beteiligten. „Irgendwann muss man eben ins eigene Haus im Grünen ziehen, alleine der Kinder wegen“ ist eher eine gefühlte Wahrheit als eine rationale Erwägung, daher kann man sich ihr auch schlechter entziehen (sofern man selbst entsprechend geprägt ist). Gleichzeitig kann man die Verantwortung für diese Entscheidung a) auf Gefühle, b) auf etablierte Rollen verschieben – und nur so wird die an sich oft enorm irrationale Entscheidung realisierbar. Dafür braucht man auch ein starkes „Management“ der eigenen und der Familienemotionen (und ggf. der Gefühle aller anderen, um auch diese vom Plan zu überzeugen). [N.B.: Das Management von Gefühlen spielt sogar in meinem Essay für die Politische Theorie eine Rolle, insofern durch Musik (auch konfuzianistisch gedacht) Emotionen geschaffen und verändert werden können.]

Dieser Hauskaufplan verpflichtet dann natürlich auf eine recht enge, genaue Vergesellschaftung in Produktions- und Konsumtionssphären. Denn einerseits erfordert der Immobilienkredit natürlich ein dauerhaftes, nie sinkendes Einkommen; andererseits regt das Haus weitere Konsumbedürfnisse an: Auto, Carport, Einrichtung, … Und auch dabei spielen die o.g. Emotionen stets eine Rolle, genauso wie Normalitätsvorstellungen („mit zwei Kindern braucht man dann halt auch zwei Autos“). Wie das von einem Kollektivsubjekt empfunden wird, sehen wir dann z.B. in Annie Erneaux‘ „Die Jahre“: „Der Konsum löste die Ideale von 1968 ab.“

Hausarbeiten, Prüfungen, Briefe

Beim Werkeln für die Hausarbeiten fällt mir wieder die gewaltige Diskrepanz im Arbeitsaufwand für mündliche und schriftliche Prüfungsleistungen auf. Klar, ich mache mir für die Briefarbeit vermutlich deutlich mehr Aufwand als nötig, aber da wandert schon echt viel Zeit und noch mehr Hirn rein. Ich hoffe, es wird sich lohnen. Vielen Dank an Sabine für erstes umfassendes Feedback!

Aktuelles Recherchethema: Mehr Spanien! Es ist gar nicht so leicht, Literatur über das Spanien der frühen 50er Jahre zu finden. 1953 schloss Franco als ersten außenpolitischen Pakt ein „Konkordat“ mit dem Vatikan, was den Schulterschluss von Faschismus und Katholizismus endgültig besiegelte. (Ab Ende der 50er Jahre und nach dem Scheitern der faschistischen Autarkie-Politik übernahm der Opus Dei dann auch relevante Schlüsselpositionen in der Wirtschaft und etablierte eine Art „katholische Arbeitsethik“. Sehr spannend, aber leider außerhalb des Scopes meiner Hausarbeit …)

Fun facts:

  • Die Jungfrau Maria war Ehrengeneral des spanischen Militärs.
  • 1953/54, als mein Großvater in Spanien weilte, war die Inflation ausnahmsweise recht gering – zwischen 1950 und 1960 verdoppelten sich die Preise.
  • In Spanien gab es „kaum Nichtkatholiken (etwa 2000 Muslime, 6000–8000 Juden, 31.000 Protestanten“ (bei ca. 28 Millionen Menschen!!!)
  • Spanien war zunächst sehr isoliert, ehe die USA das Land als faschistisches Bollwerk gegen die Sowjetunion ausbauten.
  • Zwischen der BRD und Franco-Spanien gab es 1951 eine „Orangenkrise“: Spanien war nur bereit, Eisenerz und andere Rohstoffe zu liefern, wenn die BRD wieder so viele Orangen abnehmen würde, wie das Deutsche Reich vor dem Krieg importiert hatte. Offenbar obsiegte die spanische Orange!

Insgesamt muss da leider immer noch sehr viel raus. Da ich eine „Extended Version“ für Friends and Family erstellen will, stehe ich vor dem Problem, so zu schreiben, dass man hinterher leicht ganze Kapitel auskommentieren kann … aber es wird.

Wie sich zum Schreiben bringen?

Nachdem ich diese Woche mehrfach darüber mit Leuten sprach: Ich finde die Pomodoro-Technik sehr praktisch, um sich zu Dingen zu bewegen, vor denen man Angst hat/auf die man keine Lust hat. So geht es mir oft nach längeren Pausen mit der Arbeit an Texten. Die Technik: Man zwingt sich, 25 Minuten konzentriert an der Sache zu arbeiten; dann macht man ebenso verpflichtend 5 Minuten Pause; dann nochmal. Nach 4-5 „Pomodoros“ (so der Name der einzelnen Arbeitseinheit) macht man eine längere Pause.

Ich nehme mir immer „2 Pomodoros“, also eine Stunde, für den Wiedereinstieg vor. Meistens werden dann 4 draus. In den Pausen sollte man darauf achten, sich auch körperlich zu verändern (ein paar Liegestütze, Dampfen auf dem Balkon, …). 25 Minuten kann man das Meiste gut ertragen, das nimmt die Angst.

Magischer Honig

„Wie sich zum Schreiben bringen?“ ist auch der Titel eines Marbacher Magazins zum Thema Stimulanzien und Psychedelika im Schreibprozess, daher vielleicht die folgenden Anmerkungen: Auf dem Balkon blüht gerade wieder das Bilsenkraut (das fast mal einen eigenen Artikel verdienen würde als Sagenpflanze und Hexensalbenzutat, illegale Bier-Ingredienz und einfach schöne Pflanze). Bis dahin sei auf diesen Springer-Artikel und dieses Buch verwiesen

Nun habe ich mich gefragt, ob die Alkaloide des Bilsenkrauts eigentlich auch in Honig übergehen, und siehe da, „bienen.info“ weiß: „Tropanalkaloide wie Atropin und Scopalamin in Nachtschattengewächsen [wie] Bilsenkraut [gehen in den Honig über]. Ihr Sortenhonig verursacht Halluzinationen, Herzklopfen und Benommenheit.“ Es gibt auch einen ganzen Artikel über halluzinogene Honige (u.a. auch von Rhododendron!). Vielleicht kommt daher der eigene Topos vom magischen, gefährlichen, göttlichen Honig (den wir auch bei Walter Moers finden, mit den aleatorisch tödlichen Buchhaimer Honigbroten)?

Generell ist Honig ja sowieso spannend — ein Lebensmittel, das nicht verdirbt. Und ein Lebensmittel, das dem Honey Badger seinen Namen gab. Naja. Ich mag nur den Geschmack nicht.

BibTeX-Support

Randbemerkung zu meinem Workflow: Ich brauche alles immer auch in meinem JabRef, also muss ich für alle Literatur entsprechende BibTeX-Einträge anlegen. Das klappt auch bei Online-Quellen oft ganz gut; auf der Website der bpb versagt aber z.B. die JabRef-Browser-Extension, weil offenbar nicht die richtigen Daten zur Verfügung gestellt werden. Das finde ich irgendwie traurig.

Entsprechend würde ich mir gerne ein Beispiel nehmen und hier vernünftige Daten zur Verfügung stellen. Die Extension klappt auf WordPress-Seiten, aber als Autorenname wird der Benutzername („admin“) übernommen und man kann keine weiteren Felder beeinflussen. Besser als nichts. Ich hätte da gerne mehr Kontrolle drüber, aber ich finde keine gescheiten Plugins (die vielversprechenden haben sowas wie „10+ Installationen“). Offenbar gibt es da kein hinreichendes Interesse. Hat jemand Ideen …?


Beitragsbild: Arbeitskampfbedingt leeres Edeka-Regal. Es gab trotzdem 300g-Tafeln Milka für 1,88, also sooooo schlimm kann es um die deutsche Wirtschaft nicht stehen.

4 Gedanken zu „Briefe – Schreiben – Briefeschreiben“

  1. Glückwunsch zur ersten überstandenen Prüfung!
    Von der Arbeitstechnik mit den Pausen und folgenden Einheiten habe ich auch schon gelesen. Klingt vielversprechend.

    Antworten
  2. Zum magischen Honig:
    Im „Sherlock Holmes“-Film von 2009 gibt es auch eine interessante Szene, in der „Pontischer Honig“ aus dem Nektar des Rhododendrons eine Rolle spielt.

    Viel Erfolg für die nächste Prüfung!

    Antworten

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