WS24/W05: Bluesky, Luhmann und Fußball als Ritual

Verstehen ist praktisch immer ein Mißverstehen ohne Verstehen des Miß.
(Luhmann, Realität der Massenmedien, S. 118)

Ich habe mir Bluesky mal angesehen. Auf den ersten Blick wie Twitter, auf den zweiten auch, aber durch die relative Exklusivität (aktuell nur auf „invite“) ganz angenehm. Wenn ich die Masterarbeit prokrastinieren will, verbringe ich dort ggf. ein wenig Zeit.

Eine interessante Kritik kommt von Mareike König, die Anfang der 10er Jahre Twitter in der Geschichtswissenschafts-Welt verbreitet hat. Hierbei blieb ich hängen:

Manche von denen, die lange Twitter-Threads verfasst haben, dürften sich im Nachhinein wünschen, auf eine nachhaltigere Alternative wie ein Wissenschaftsblog gesetzt zu haben.

Ich wüsste nicht, weshalb das bei Bluesky anders sein sollte; bin aber auch Mastodon-skeptisch. Und mit Discord nie warm geworden. Ergo: Ich bleibe relativ Social-Media-avers.

Und noch eine Ankündigung: Nächste Woche erscheint das neue dpr-Magazin Bibliotheken. Stay tuned!

Luhmann-Todestag

Eine Woche zu spät, aber diese 5 Erinnerungen anlässlich Luhmanns 25. Todestag habe ich gerade erst entdeckt. Aber warum in der „Welt“ …?

Ansonsten empfehle ich nochmal schamlos meine eigenen biographischen Notizen zu Luhmann.

Workshop Studienerfolgsmonitoring

Ich hatte ja schon mal berichtet, dass ich an einem Forschungsprojekt zum Studienerfolg teilnehme. Interviewt werde ich dafür nicht mehr, aber es gab diese Woche einen dreistündigen Workshop: Wie kann sich der Studieneinstieg verbessern lassen? Wir haben nicht genau geklärt, was unter einem „guten“ Studienstart zu verstehen ist, aber nachdem wir von Personas aus gedacht haben, geht es wohl um deren subjektives Empfinden. Das größte Problem scheint Auffindbarkeit von Informationen zu sein: Es gibt eigentlich zu allem und jedem schon irgendwo ein Programm, eine Arbeitsgruppe, eine Veranstaltungsreihe, ein Gremium oder eine Website; nur findet man das nicht. Vermutlich kann man das nur schlecht technisch abfangen; für meine Motivation, das Studium anzutreten, war die Studienfachberatung essenziell. Und ohne regelmäßige Mails an Herrn O. hätte ich schon einige wichtige Dinge (Prüfungsanmeldung, Belegungen) falsch gemacht.

Erschreckt hat mich die Info, dass einige Studierende wohl erst nach Monaten begreifen, dass sie eine Uni-Mailadresse haben … kein Wunder, dass ich oft so lange auf Antwort warte. (Offenbar sind Mail-Clients auch aus der Mode gekommen — müsste ich mich in irgendwelchen Webmailern einloggen, hätte ich auch keine Lust, meine Mails zu lesen …)

Uni

Am Fr., 1.12. gibt es ein philosophisches Kolloquium zu „Sprache, Gefühle, Kritik“ (danke, Katharina, für den Tipp) — leider werde ich es da nicht hinschaffen, denn in der betreffenden Woche habe ich diverse private Termine in Franken. Schade, aber auch das ist der Preis des Pendelns …

S&G: Marx und Vysogsky

Es waren wenige Leute da, denn eigentlich wurde die Uni am Dienstag bestreikt. Und ich habe es völlig verpasst. Wir sprachen in kleiner Runde erst über Arbeitskampf, dann über materialistische Sprachbegriffe; nicht im Biologismus-Sinn („alles aus Genen/Neurologie erklären“), sondern im Sinn des historischen Materialismus („alles aus Arbeit und dem tätigen Verkehr der Menschen untereinander erklären“).

Fußball: Ritual und Religion

Hier bemerkt man nun eine deutlich reduzierte Zahl an Teilnehmys. Das war aber fast angenehmer für die Diskussion. Gefühlt ist leider auch der Frauenanteil geringer geworden (ich habe aber keine Statistiken geführt).

Insgesamt frage ich mich, wie viel man aus der Interpretation des Fußballs als Ritual oder ritualisierte Ersatzreligion gewinnen kann. Ritualisiert ist in Gesellschaft ja vieles; und ohne Ritualisierung wäre vermutlich nicht zu erklären, dass sich so viele Millionen Fans noch irgendwie kooordinieren können bzw. lassen.

Im Seminar sagte ich u.a., dass ich nicht in die Kirche gehe und auch nicht ins Stadion. In der Kirche war ich inzwischen ein paar Mal und es hat mir mal mehr, mal weniger gefallen; ich würde es nur aus musikalischen oder zwingenden sozialen Gründen empfehlen. Das mit dem Stadion könnte sich auch bald ändern, denn vermutlich machen wir eine oder mehrere Exkursionen zu Fußballspielen (Herren und Damen). Ich bin gespannt.

Was ich noch gelernt habe: Rassismus hat im Fußball eine sehr alte Tradition, u.a. war das Stadion im Norditalien der 90er der letzte (?) Hort von faschistischen Äußerungen; und offenbar spielt das auch heute noch eine Rolle. Das ist freilich eine Ähnlichkeit zur Religion — die betont ja weltweit aktuell (vielleicht schon immer) auch eher ihre Exklusions- als ihre Inklusions-Komponente.

K&Ü: Mauss, Bataille

Eingangs sprachen wir in Bezug auf Walras und Robbins vor allem viel über Knappheit: Auf welche Weise sind Dinge knapp? Von

  • häufig (Jeans, billige Markenfälschungen, Kupfer)
  • über selten (Hochzeitskleid, gute Markenfälschungen, Gold)
  • bis hin zu künstlich limitiert (Vuitton-Bags, Geldscheine)
  • und original-einzigartig (Mona Lisa).

Und was bedeutet das jeweils für die sozialen Strukturierungen und Wirkungen des Umgangs mit ihnen?

Dann diskutierten wir einige Auszüge aus Mauss‘ Buch über die Gabe: Wirtschaft entstand aus Gabensystem – Geben, Annehmen, Erwidern – und hatte schon damals eine stark agonistische und antagonistische Prägung; indem man möglichst viel gab, stieg man sozial auf; und zwar als Stamm, Clan, Phratrie gegenüber anderen Stämmen, Clans, Phratrien genauso wie als Individuum in diesen Kollektiven.

Für nächste Woche: Georges Bataille (von dem ich noch keine Zeile gelesen hatte, glaube ich) ordnet alle gesellschaftliche, jedenfalls aber alle wirtschaftliche Tätigkeit der Idee der „Verausgabung“ unter. Das meint einen gezielten Verlust, auch eine Zerstörung: von Glücksspielen und Wetten über Luxusgüter bis hin zu Kriegen und Revolutionen als „Opfer“ (mein Begriff). Liest sich gut und wie ein düsterer Zwilling Mauss‘.

Wut-Content geht immer: Dumme Deutsche Bahn!

Im Dezember wird es ungemütlich, vom 10.–16.12. wird meine Strecke saniert:

ungefähr stündliche ICE-Verbindung München/Nürnberg–Berlin über Würzburg (teilweise mit Halt dort), die Fahrzeit verlängert sich um rund 90 Minuten, die Halte in Coburg, Bamberg und Erlangen entfallen

Ich muss mir jetzt mal überlegen, ob ich dann in einer Dezember-Woche mal ca. 8 Stunden Bahnfahrt auf mich nehme (plus sehr erwartbare Verspätungen), oder ob ich einfach nochmal eine Woche schwänze. Dieses Semester war tatsächlich fast alles immer verspätet — weil Züge einfach nicht weiterfuhren, Gleise belegt waren oder auch schlicht ohne jeden wahrnehmbaren Grund. 10-20 Minuten Verspätung sind inzwischen die Regel auf meiner Strecke. Auch ohne angekündigten Warnstreik, dem ich glücklicherweise durch eine Heimfahrt am Mittwoch diese Woche entgehen konnte.

Das war allerdings nicht sehr angenehm; ein ausgesprochen voller Zug (ich erschlich mir einen Sitzplatz im Comfort-Bereich; nachdem ich schon mal ein paar Jahre BC100-Kunde war, habe ich dabei keine Gewissensbisse); und erstmal 20 Minuten Verspätung, die sich dann noch durch „technische Probleme an der Strecke“ zu 40 aufschaukelten. Dann schlug ich, braver Atheist, 3 Kreuze.

Es wird gerade generell nicht besser, auch beim ÖPNV in Jena … so schön es in Jena und im Studium ist — ich bin sehr froh, wenn ich nicht mehr so auf die Bahn(en) angewiesen bin.

Immerhin brachte mich die Zugfahrt einschließlich Lektüre von „Erkenntnis als Konstruktion“ auf den Gedanken, dass ich ja noch eine Form des Mediums Gefühle finden muss. Spontane Idee: Die Einheit der Unterscheidung von Erregung und Sinn (analog zur Sprache = Laut|Sinn). Hm…


Beitragsbild: Wie man sich die eigene Umwelt grüner macht. Eine Spätsommer-Reminiszenz.

6 Gedanken zu „WS24/W05: Bluesky, Luhmann und Fußball als Ritual“

    • Du schreibst, du seist relativ Social-Media-avers – ist ein Blog nicht schon relativ nahe dran an Social Media? Auch unter Einbeziehung der Tatsache, dass es hier auch recht regelmäßig Kommentare gibt, die du konsequent beantwortest.

      Antworten
      • Gute Frage. Zählen Blogs noch zu „Social Media“? Damit fing es irgendwie mal an, aber ich habe das Gefühl, dass selbstgehostete Blogs, die höchstens

        – nen Feed ausgeben,
        – lokale Kommentare und
        – Pingbacks

        können inzwischen eher als „statisch“ gesehen werden. Jedenfalls gegenüber schnelllebigen, interaktionsfreudigen Medien; vielleicht absteigend TikTok, Insta, FB, wordpress.com-Blogs. Ich kreiere hiermit den Terminus „slow social media“ und definiere mein Blog als solches.

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