Like all the good stuff, the Cthulhu Mythos belongs to “unpopular culture” rather than “popular culture,” and its adherents probably would not want it any other way.
[Brian Stableford, Vorwort zu „The Legacy of Erich Zann“]
Was passiert so? Ich warte auf das finale Korrektorat meiner Masterarbeit (danke, Sabine!) und lese dieses und jenes. Außerdem spiele ich mich mal wieder durch Teile meiner Steam-Library, vor allem durch einige Horror-Titel. Daher ist das Folgende eher eine kurze Empfehlungsliste.
Contents
Transcript: Videospiel-Kritik
Es gibt einen neuen Reader rund um „kritische“ Dimensionen von (digitalen) Spielen: Spiel*Kritik. Am Anfang steht ein Vorwort, das sich mit verschiedenen Fundierungen und Verwendungen von „Kritik“ befasst; naturgemäß bleibt das etwas abstrakt. Danach folgen 4 Abschnitte mit je 4 Einzelbeiträgen:
1. „Erinnern“
Erstens „Erinnern“, lose um historische Themen und Mythen in Spielen kreisend — von einer Geschlechtergeschichte des Gamens über Geschichtsdarstellungen bis hin zur „Geschichte der Computerspielgeschichtsschreibung“. Insgesamt der lohnenswerteste Abschnitt, vor allem deswegen:
Horror und (politische) Mythen
Der m.E. lesenswerteste Beitrag, „Geschichte politischer Ideen in digitalen Spielen analysieren“ von E. Pfister und A. Görgen, behandelt einen Mythenkatalog, der in Horror-Games nachgewiesen wird; und ich habe diverse der dort analysierten Spiele in meiner Steam-Library. (Vor allem die Indie-Titel.) Da könnte man freilich überall noch weiter gehen und etwa auch (pseudo-) politische Mythen (z.B. Degenerationsideen) in Cthulhu-Mythos-Stories analysieren. Diese Mythen oder „Mytheme“ sind übrigens nicht generell und normativ als „Ideologien“ negativ konnotiert, es finden sich etwa auch „M6/3: Die Gefahren der Religion (Dead Space: Extraction, The Evil Within 2, BioShock 2)“.
Es gibt ein Blog zum Projekt. Zu diversen Spielen finden sich dort auch Besprechungen, die immer nach dem Schema Produktions-/Produkt-/Rezeptions-Analyse vorgehen und Hintergründe, Inhalte, Spielmechaniken und Rezeptionen verfolgen und einordnen. Ich empfehle einfach mal den Beitrag zu „LIMBO“ und den zu „Darkwood“; wobei mir bei letzterem nicht klar war, ob die analysierten „Mythen“ nicht vielleicht besser als „Themen“ verstanden wären. Ich weiß nicht, was „Nostalgie“ zum „Mythos“ macht, die Lichtsymbolik (Licht suggeriert die Sicherheit des Tages, aber auch das Offenbare und Klare gegenüber dem Dunklen, Verborgenen, Okkulten, Diffusen) aber nicht. Zumal dieser „Nostalgie“-Mythos eher aus reaktionären Narrativen herausgelöst wird; diese Nostalgie beschwört keine verlorene Gemeinschaft o.ä..
Einiges hat mich übrigens an die Spieleausstellung in Nürnberg erinnert, die sich aber fokussierter dem Thema Gender, dafür breiter allen „Spiel“-nahen Medien widmete. „Weibliche Monsterdarstellungen“ spielen aber auch bei den diskutierten Mythemen eine Rolle, etwa in
- M4/3: Die zerstörerische/wahnsinnige Mutter (Resident Evil 7, Bioshock 2, The Evil Within 2) und
- M4/4: Die gefährliche Frau – Hexe / Verführerin (Cursed Mountain).
Weiterlesen: Hintergründe zu diversen Horror-Spielen
Von Eugen Pfister gibt’s noch ein Blog „SpielKult“. Am übersichtlichsten kommt man per TOC rein — viel spannender Content.
2. „Arbeiten“
Zweitens „Arbeiten“, sowohl in als auch an Spielen — also diegetisch und „real“, wobei das Reale sowohl Produktion als auch Rezeption betrifft. Auch Spielen ist schließlich eine Form von „Arbeit“, Rezeption ist aktiv.
Hier scheint es, wie auch z.B. bei der Musikproduktion, einige Erkenntnisgrenzen zu geben; weder den Major Labels noch den großen Studios kann man so richtig dabei zusehen, wie sie (teils fragwürdige) Entscheidungen treffen oder auch, wie ihre Produkte zu Stande kommen. Umso interessanter sind dann Beiträge wie Lies van Rössels „Pay-to-Skip statt Pay-to-Win“, ein Blick hinter die Kulissen von Microtransaction-Spielelementen. (Ich hatte ja schon mal erwähnt, dass die den Löwenanteil der gewaltigen Umsätze ausmachen).
Unbedingt lesen: die kurze „Notiz über Ökonomie in Computerspielen“ von J. Schröter, die untersucht, wie WiSis und Strategiespiele eher ein plan- als ein marktwirtschaftliches Paradigma verbreiten. Take that, „Kapitalismus“!
Leider fehlt mir in diesem Abschnitt etwas zu den Zusammenhängen virtueller und realer Ökonomien (Stichwort: „Axie Infinity“) und auch die Frage, unter welchen Bedingungen Spiele heute geschaffen werden — zwischen Crunchtimeausbeutung im Major Studio und jahrelanger Indie-Entwicklung in der gesamten Freizeit.
3. „Ermächtigen“ und 4. „Agitieren“
Drittens „Ermächtigen“, rund um Agency durch und in Spielen. Es geht um das „Hocharbeiten“ in Survival Games vom nackten Überleben zu einer (begrenzten) Autonomie und Autarkie, einen subjektiven-queeren Blick auf Games, Mütter in Spielen und „folk mechanics“ zur spielmechanischen Dekolonisierung von Games. Insgesamt hat mir das alles recht wenig gesagt.
Viertens „Agi(ti)eren“, ein Abschnitt, dessen Zusammenhang mir nicht ganz klar wurde. Den Auftakt macht ein etwas wirres Gedicht (?), danach geht es um die Ausdeutung eines Glitchs in Pokémon (MissingNo.) als
Symptom eines räumlichen Kollapses: des Zusammenbrechens einer binärlogischen kolonialen Raumordnung der Trennung von Land und Wasser, Stadt und Natur, Zivilisation und Barbarei.
Es folgt ein Abriss über die (Be-) Deutung und (Wirkungs-) Geschichte von Sim City, spezifisch aus anti-kolonialer Perspektive und mit einer wichtigen Einsicht, die man vor jeder Haustür beobachten kann:
SimCity ignoriert ein fundamentales Problem, dem sich verkehrsgerechte Städte seit der Motorisierung stellen müssen: Wohin mit den vielen Autos,wenn sie nicht verkehren?
(S. Varatharajah: „Grenzen des Spielfelds“, S. 303)
Den Abschluss macht ein Beitrag zu Spielen in der Bildung.
Fazit
Ganz einfach scheint es nicht zu sein, die verschiedenen Ebenen Produktionsbedingungen, Produkt und Rezeption/Wirkung zu trennen bzw. zu verbinden; vielleicht wäre da ein anderes Schema geeigneter gewesen. Geht es nun um Kritik an Spielen, durch Spiele, an Spielenden, an Produktionen?
Insofern ist das wieder mal ein ausgesprochen „polyperspektivischer“ Reader, und ich bin nie sicher, ob ein Fundamentalbegriff wie „Kritik“ als Klammer reicht. Aber einige Beiträge sind interessant und erhellend; bei den anderen merkt man das schnell. Daher: Reinlesen! Ist Open Access.
All your base are belong to us: Wer hat das damals übersetzt?
Vor Kurzem sah ich ein Flick Flack über die legendäre Zeile „ALL YOUR BASE ARE BELONG TO US“, nur einem der zahlreichen Übersetzungsfehler in „Zero Wing“. Leider blieb die Frage unbeantwortet, wer das damals zu verantworten hatte, und die Spur führt zu einem Mitarbeiter des Studios (Toaplan):
Tatsuya Uemura (programmer and music composer of Zero Wing and Toaplan founding member) […] stated that the poor English translation in the Mega Drive version was handled by a member of Toaplan in charge of export and overseas business. (Wikipedia)
Also wurde das von jemandem aus dem Sales-Bereich übersetzt …? Kein Wunder. Ein Interviewauszug wird in diesem Forum zitiert:
Yuge: It may have been this guy who was in charge of our exports at the time. He was always having business meetings with people from overseas, and I went to a few of them myself, and his English was really terrible (laughs).
Man wüsste ja doch gerne mehr über den Mann … und wie er damit umgeht, dieses Meme durch Inkompetenz geboren zu haben.
Lovecraftian Days bei Steam
Ich sagte ja neulich schon, dass der Mythos inzwischen omnipräsent ist — ganz im Gegensatz zum einleitenden Zitat von Brian Stableford. Darauf deuten auch die von Fulqrum Publishing ausgerufenen „Lovecraftian Days“ bei Steam hin. Trotz dieser Ubiquisierung des Mythos gibt es da ja vielleicht bis 8.4. das eine oder andere Schnäppchen, etwa „SOMA“.