Der Ortsname „Arkham“ und Studienendlektüren

Mit rasenden Schritten nähert sich das Sabbatical, und damit auch diese Blog-Kategorie, seinem Ende. Das Prüfungsamt hat inzwischen den vollständigen und erfolgreichen Eingang meiner Masterarbeit quittiert, sodass ich jetzt Däumchen drehen könnte. Das fällt mir aber unfassbar schwer, zumal ich schon jetzt dem Sabbatical, dem Studium und den Studienlektüren nachtrauere.

Dem Sabbatical voran ging ja eine umfangreichere „Lovecraft Studies“-Recherche über Mythos-Musik, und damit geht es jetzt ein bisschen weiter. Ich habe nämlich endlich den neuen „Arkham Horror LCG“-Band „Welcome to Arkham: An Illustrated Guide for Visitors“ geliefert bekommen. Das warf bei mir die Frage auf, was denn der Ortsname von Arkham eigentlich „bedeutet“. Und auch ansonsten waren die letzten Tage stark lektüregeprägt, abgesehen von einer sehr schönen Aufführung von „Lucia die Lammermoor“ in der Leipziger Oper. Ich füge ein paar Lektürenotizen an (das ist übrigens auch recht praktisch, wenn man später mal nachgucken will, wann man was gelesen hat).

Passend zur Walpurgisnacht fangen wir natürlich mit dem Thema Arkham an.

Das Oikonym „Arkham“ – der Ortsname und mögliche Etymologien

Arkham ist einhelliger Forschungsmeinung zu Folge Lovecrafts fiktionalisierte Fassung von Salem (etwa im Eintrag in Schultz/Joshis Enzyklopädie). Bei Dan Harms (Cthulhu Mythos Encyclopedia) finden wir:

Its name might derive from that of the Arkham family, who numbered among the town’s first inhabitants.

Wie aber kam Lovecraft auf den Namen „Arkham“? Das ist offenbar nicht überliefert. Aber man kann ja etwas graben und spekulieren.

Was meint das „Ark-„?

Die Endung „-ham“, wie in „Nottingham“, lässt sich eindeutig als „-heim“ übersetzen. „Ark“ ist etwas komplizierter. Hier bieten sich folgende Ansätze an:

  • von lat. arcus: Bogen. Allerdings findet sich bei Lovecraft nach meiner Erinnerung keine besondere Häufung von (architektonischen) Bögen in Arkham — Bögen erinnern mich eher an die Häuser in der Rue d’Auseil.
    • über das Dänische: (ein Bogen) Papier. Dann wäre tatsächlich „Bogenheim“ oder „Papierheim“ vor allem der Hort der mysteriösen Orne Library der Miskatonic University; allerdings ist diese Bibliothek deutlich jünger als Arkham.
  • arch-, von lat. archi.: das Erste, Beste, Vorderste, Älteste. „Ältestenheim“ klingt nicht besonders überzeugend, daher vielleicht „Heim des oder der Ältesten“?
  • von altengl. earg bzw. germanisch arg: böse, feige. Wir wären also im „Heim des oder der Bösen“ — das scheint mir etwas zu platt. (via reddit)
  • von altnordisch erg, von gälisch airigh: Bergwiese, Alm. Das ergibt für mich aber keinen Sinn — auch wenn Lovecraft schrieb, Arkham sei „more hilly“ als Salem. (via reddit bzw. einem Paper von Geoffrey Leech der Lancaster University folgend)
  • von lat. arca: eine Lade, Kiste, Truhe (Bundeslade = ark of the covenant), übertragen dann auch die „Arche Noah“ (Kasten, als Übersetzung von hebr. tēvāh = Kasten). Ich halte es aber für eher unwahrscheinlich, dass Lovecraft hier tatsächlich einen Zusammenhang mit der Bundeslade andeuten wollte – dazu war er den abrahamitischen Religionen zu fern. Natürlich könnte hier aber auch eine übertragene Bedeutung im Sinne „Die Stadt, die ein Mysterium birgt“ liegen.

Bei Schultz/Joshi lesen wir weiter:

Fictitious city in Massachusetts invented by HPL. […] Will Murray has conjectured that Arkham was at first situated in central Massachusetts and that its name and possibly its location were derived from the tiny hamlet Oakham. Research by Robert D. Marten makes this theory extremely unlikely. Marten maintains that Arkham was always located on the North Shore and (as HPL repeatedly declares) was a fictional analogue of Salem. […] Marten conjectures that the name Arkham was based upon Arkwright, a town in R.I. now consolidated into the community of Fiskville.

Vielleicht klingt’s einfach gut …

Bei der von Murray vorgeschlagenen Ableitung von Oakham in Worcester County wäre dann die Frage, wieso Lovecraft die phonetische Annäherung mit dem eher ungebräuchlichen englischen Buchstaben „k“ wählte – vielleicht als Antikisierung? Oder weil er das „k“ aus „Oak-“ übernehmen wollte? Dafür spräche, dass er dieses „k“ auch im Namen des Flusses einführt, der Arkham durchfließt, aber mit fiktiven indianischen Wurzeln: „Lovecraft described the word ‚Miskatonic‘ in a letter as ’simply a jumble of Algonquin roots‘ that he had invented.“ Bezüglich Marten: Da sich der Name von Arkwright, RI von einer Firma namens Arkwright ableitet, was wiederum „Kisten-Hersteller“ bedeutet, würde das für die Herleitung von arca sprechen (was HPL möglicherweise gar nicht wichtig oder bewusst war).

Ich neige nach dieser Sichtung dazu, anzunehmen, dass Lovecraft einfach einen altertümlich klingenden, griffigen Namen gewählt und nicht weiter über die Etymologie des Präfix „Ark-“ nachgedacht hat. Die Herleitung von „arca“ scheint mir aber am stimmigsten, wenn man denn versucht ist, den Namen zu deuten.

Welcome to Arkham: An Illustrated Guide for Visitors

Mit vollem Titel heißt der aufwendig gestaltete Band „Welcome to Arkham: An Illustrated Guide for Visitors to the Historic Town of Arkham, Massachusetts, and Environs Including Dunwich, Innsmouth and Kingsport“. Es geht also um die wesentlichen neuenglischen Schauplätze der Mythos-Geschichten und damit auch vieler AHLCG-Szenarien. Eins vorweg: Dieses Buch ist ganz klar Teil des Arkham-Horror-Files-Universums (AH) und trägt zu dessen Worldbuilding bei; wer eher nach Supplements fürs Rollenspiel sucht, wird hier fündig:

  • CoC (Chaosium): Arkham-Band oder das ältere „Arkham Unveiled“
  • Cthulhu (Pegasus): „Arkham – Hexenstadt am Miskatonic“ (vergriffen)

Interessanterwese fehlt dem Buch (bzw. seinen Kapiteln zu Arkham, der Miskatonic University, Dunwich, Kingsport und Innsmouth) übrigens etwas, was jeder Rollenspiel-Quellenband (und jeder „echte“ Reiseführer) ganz an den Anfang gerückt hätte: Stadtpläne. Es kommt tatsächlich keine Karte im ganzen Buch vor. Das finde ich bemerkenswert – es ergibt aber Sinn, weil man fürs AH-Kartenspiel keine Karte braucht und beim AH-Brettspiel ja das Spielbrett die Karte ist. Aber kommen wir zum Inhalt.

Inhalt

Das 176 Seiten starke Buch versucht mehrere Sachen parallel. Einerseits ist es ein Stadtführer, herausgegeben von der Historical Society (die schon bei Lovecraft auftaucht, aber dann bei CoC und später AH ausgebaut wurde). In diesem „Basis-Text“ finden sich Fakten zur Region, zu Organisationen, Lokalen, mysteriösen Stätten. Dieser „Basis-Text“ ist gut zu lesen, unterhaltsam, spannend und bietet ein paar neue Details und Mysterien für die AH-Welt.

„Über“ diesem Text liegt die Anreicherung durch eine Geschichte: Eine Miss Todd sucht ihren Onkel, Reginald Peabody (der Name Peabody, auch als Pabodie, spielt eine Rolle bei Lovecraft, u.a. in „At the Mountains of Madness“). Dieser ist verschwunden, wie wir ins Buch „eingehefteten“ Briefen, Notizen, Vermerken entnehmen können. Auf ihrer Suche stößt sie u.a. immer wieder in verschiedenem Umfang auf AH-Charaktere – und zwar auf ziemlich viele. Das haben die Herausgeber genutzt, bei einigen Charakteren auf schmerzlich vermisste Hintergrundgeschichten einzugehen. In unserem aktuellen Marsch durch die „The Feast of Hemlock Vale“-Kampagne spiele ich z.B. Kōhaku Narukami, der erst mit dieser Kampagne ins AH-Universum eingeführt wurde. Auf ca. 10 Seiten des „Illustrated Guide“ wird auf dessen vergleichende Folkloreforschung eingegangen, sodass ich ihm nun endlich ein bisschen näher kommen kann.

Abgerundet wird das Ganze durch Pseudo-Handouts wie Theaterkarten, Poster, Fotografien, die allesamt sehr stimmungsvoll geraten sind. Auch Querverweise auf Kampagnen und Einzelszenarios fehlen nicht. Das physische Buch ist besser gearbeitet als der Band „The Investigators of Arkham Horror“ (2016) – letzteres hatte sich bei meiner initialen Lektüre schneller den Rücken gebrochen als Batman. Dafür fehlt dem „Illustrated Guide“ leider ein Index. Naja.

Fazit

Für Arkham-Horror-Files-Enthusiasten eine unverzichtbare Lektüre.

Der König in Gelb (Levin Handschuh)

Von meiner geliebten Lovecraft Gesellschaft mitherausgegebenes „Theaterstück für daheim“. Eigentlich hatte ich 2020 die Aufführung der Studiobühne Erlangen angucken wollen; das verhinderte dann aber eine damals noch apokalyptisch anmutende Pandemie. Schade. Nun gibt es das (?) Theaterstück als Buch, mittels dessen man das berühmteste wahnsinnig machende Drama der Weltgeschichte ganz privat bei sich zu Hause inszenieren kann. Aus der Pressemitteilung:

Der König in Gelb ist ein von der Deutschen Lovecraft Gesellschaft herausgegebenes interaktives Buch, bei dem der:die Leser:in selbst zur Hauptfigur wird: Das Drama, das sich um Prinz Aldones von Alar, seine Verlobte Cassilda und den Fremden in der fahlen Maske in einer von den Wassermassen eines uralten Gottes verschlungenen Stadt entfaltet, ist nur der Anfang einer Reise in seltsame Welten, durch die zahlreiche Pfade führen. Dieses Buch verlangt ,anders gelesen zu werden. Welchen Weg wird die Handlung einschlagen, wenn man für die Figuren eine Entscheidung trifft? Welche seltsamen Geschehnisse lassen sich aus den Notizen eines wahnsinnig gewordenen Regisseurs zusammensetzen? Was für unheimliche Botschaften verstecken sich in den Illustrationen und Skizzen? Welche geheimnisvolle Musik ertönt beim Anstimmen der absurden Choräle? Und was passiert, wenn man das Buch völlig auseinandernimmt und etwas Neues daraus erschafft? Jede:r Leser:in findet einen anderen Weg durch das Buch – und es wird nie derselbe sein!

Und genau das erwartet einen dann auch: Ein Drama mit Regieanmerkungen und hermetischen Fußnoten; Anweisungen, wie man das Buch be- und misshandeln kann; eine Hintergrundgeschichte, wie Autor Levin Handschuh an das Manuskript kam und was ihm bei den Recherchen widerfuhr; Exkurse zur weeeeeeeeiiiit unterschätzten Bedeutung des Haïta-Kults für unsere Kulturgeschichte; jede Menge Partitur; und, und, und. Ich bin noch nicht fertig mit der nonlinearen Lektüre, aber es ist ein Spaß, auch wenn ich z.B. der partiellen Strukturierung des Buches anhand des kabbalistischen Baums des Lebens nicht so viel abgewinnen kann — das wirkt mir zu bemüht nach Shea/Wilson (Illuminatus!) bzw. Eco (Das Foucault’sche Pendel). Oder steckt da ein Code drin …?

Man kann und sollte das als Bundle (neudeutsch: „Bündel“) mit zwei Büchern und 3 Tarot-Karten kaufen.

Kleinere Lektüren: Agota Kristof, Ingolfur Blühdorn usw.

Ansonsten ein paar kurze Lektürehinweise:

Ágota Kristóf: „Das große Heft“

Ein harscher Kontrast von lakonischer Darstellung und brutalem Dargestelltem. Empfehlung von Gesa Lindemann in einem Soziopolis-Interview. Ich habe die Folgebände nun auf Halde liegen, der zweite fängt vielversprechend an – andere Perspektive, aber vergleichbarer Tonfall.

Unhaltbarkeit von Ingolfur Blühdorn

Ebenfalls durch Empfehlung von Soziopolis.

Der Grundgedanke ist schnell skizziert und findet sich eigentlich schon im Klappentext: Nicht unsere Lebensweise ist unhaltbar, sondern die aufklärerische und ökologisch-emanzipatorische Wertebasis, auf deren Grundlage wir diese Lebensweise kritisieren. Leider ist dieser Grundgedanke, den man in 80 Seiten umfassend ausdeuten könnte, auf 360 Seiten ausgewalzt. Und das führt zu erheblichen Redundanzen, auch wenn Blühdorn Kapitel 7.1. mit der Feststellung einleitet, man solle „unnötige Wiederholungen“ vermeiden. Alle paar Seiten bekommt man das Gefühl, einer nur unwesentlich paraphrasierten Fassung des Kerngedankens zu lauschen. Schlimmer aber ist, dass ich immer wieder das Gefühl habe, hier tänzelt die Wiederholung nur um einen heißen Brei, weil etwas Wesentliches eben noch nicht gesagt ist.

Das soll nicht schmälern, dass das Buch eine umfassende Kritik an Ulrich Becks Modernisierungstheorie liefert und auch ansonsten mit vielem ins Schwarze trifft. Aber: Was bedeutet das nun? Wenn es kein Abgesang auf die „haltlosen“ bzw. „unhaltbaren“ Werte sein soll (die ich einfach mal als „humanistische“ Werte bezeichnen würde, da sie Gleichheit, Menschenwürde und Co. expliziert mitführen) — was dann? Leider gibt es auch keine Kritik am Konzept von Werten an sich, sodass ich nach der Lektüre das Bedürfnis habe, dazu nochmal mehr zu lesen.

Empirisch ist das alles auch angreifbar (ob etwa junge Leute, wie auf S. 338 erwähnt, optimistisch sind, muss offen bleiben — andere Studien finden das Gegenteil heraus.

Fazit: Man kann das wesentliche aus diesem Youtube-Vortrag mitnehmen und sich die Lektüre sparen.

Johan Idema: How to visit an art museum

Schon vor Jahren geschenkt bekommen (Danke, S.!) und schon öfter durchgeblättert, aber erst jetzt wiederentdeckt und front to back gelesen. Das Buch wird Museumsmuffel nicht zu Dauerbesuchys machen (dafür müsste man sie vermutlich an die Hand nehmen), aber für Museums-Fans stecken ein paar nette Ideen drin — und vor allem viel Bestätigung für die Sachen, die man selber schon immer an Museen gern verändert hätte. Sollte eine Pflichtlektüre für Museumspersonal werden!

Ted Gioia: The History of Jazz

Das steht als nächstes auf der Lektüreliste, d.h., ich bin für ein paar Monate beschäftigt. Over and out.

PS: Es gibt übrigens eine Playlist mit allen (?) Songs im Buch.

Schreibe einen Kommentar

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen