Thüringen entdecken (1): Gera und Erfurt

Traumhafter Spätsommer bis in den November? Ja, bitte! Und wozu hat man ein Sabbatical, wenn man dann nicht auch mal das neue Bundesland erkundet. Dabei orientiere ich mich erstmal an der Thüringer Städtekette, die von Eisenach über Gotha, Erfurt, Weimar und Jena nach Gera führt. Ich starte nun also im Osten (Gera) und springe über Weimar nach Westen (Erfurt). Die Fahrten sind natürlich im Studierendenausweis enthalten! Sehr komfortabel.

[Disclaimer: Der folgende Beitrag ist ausgesprochen bildlastig. Alle Artikel zum Thema Sabbatical finden sich hier.]

Gera

Insgesamt eine sehr hübsche Stadt, kaum kleiner als Jena (ca. 95k zu 110k Einwohner) mit viel Geschichte. Wem sagt der Begriff „Volksstaat Reuß“ etwas? Außerdem ist Gera Partnerstadt Nürnbergs.

Was mich überraschte: Es gibt sehr viele Grünflächen, Freiflächen und offene Plätze im Innenstadtgebiet. Die Stadt fühlt sich sehr luftig an, man findet immer ein angenehmes Plätzchen ohne viele andere Menschen. (Vielleicht waren die aber auch einfach alle auf dem Herbstvolksfest, das gerade stattfand.)

Mehrzweckgebäude.

Eine besondere Empfehlung (Zwischen April und Oktober!): der botanische Garten. Das ist einfach ein Grünstreifen in der Stadt mit ein paar wenigen Tafeln, also nicht vergleichbar mit dem botanischen Garten in Jena, aber es gibt am höchsten Punkt eine sehr hübsche Sonnenterrasse.

Museen

Leider (?) war ich in beiden folgenden Museen jeweils allein. Im Museum für angewandte Kunst war noch eine (studentische?) Aufsicht zugegen, im Otto-Dix-Haus zwei nicht-studentische Museumswärter. Ich war in jeweils etwa einer Stunde durch, und hatte dann auch alles gesehen. Man schafft das vermutlich auch in der halben Zeit, wenn man sich keine Zeit lässt, aber ich habe Sabbatical.

Die Thoska sparte jeweils glaube ich einen Euro. Zusammen lagen die Eintritte bei 5.-.

Otto-Dix-Haus

Das, was im Nietzsche-Haus fehlte, die Einordnung und Vermittlung, fand hier ausreichend statt. Eine interessante Biografie, teilweise sehr schöne Arbeiten und auch eine spannende Rezeptionsgeschichte: In der DDR in die Staatspropaganda eingefügt (natürlich nach dem Ende der Formalismus-Debatte), in der BRD vergessen, weil sich der Geschmack dem Gegenstandslosen zuwandte. So kann’s gehen.

Zum Fluss sei noch angemerkt: Irritierenderweise fließt die Gera keineswegs durch die Stadt Gera, sondern durch Erfurt.

Museum für angewandte Kunst

Eine umfangreiche, schön präsentierte Sammlung von Mobiliar, Skulptur, Designstücken, Mode aus Gera, mit Schwerpunkt auf Art Deco/Jugendstil. Eine Sonderausstellung gab es leider gerade nicht.

Politik

Ein bisschen schlucken musste ich ob der Wahlergebnisse 2019:

Zum Vergleich Jena:

Dafür hat Jena einen FDP-Bürgermeister. Auf Erden ist halt einfach kein Paradies.

Erfurt

Erfurt ist mit 215k Einwohnern mehr als doppelt so groß wie Gera. Kein Wunder: Es handelt sich um die Landeshauptstadt von Thüringen.

Erfurt, Rostock, Erlangen und Potsdam sind übrigens Spitzenreiter bei der „Segregation“ von transferleistungsempfangenden Haushalten: In diesen vier Städten sind Wohngebiete mit vielen ALGII-Beziehenden am stärksten von der restlichen Bevölkerung getrennt, nämlich an die Peripherie verschoben.

Der Vollständigkeit halber hier die Wahlergebnisse:

(Keine) Museen

Leider fiel mein Erfurt-Besuch auf einen Montag. Ich werde aber wohl nochmal wiederkommen müssen, um mir die Kunsthalle und eine Ausstellung konkreter Kunst in der Peterskirche anzugucken. Letztere klingt interessant, allerdings ist die Website forum-konkrete-kunst-erfurt.de offenbar verkauft, gekapert oder gehackt worden: Da finden sich merkwürdige Clickbait- und Scam-Artikel wie „Trading 212 – Warum ist die App so erfolgreich?“ und „Mit Dem Baby Raus In Die Frühlingshafte Natur“. Naja.

Stadttour

Die erste andere Stadt, an die mich Erfurt erinnerte, war Augsburg – warum, kann ich gar nicht genau sagen. Vielleicht wegen der Architektur am Anger, der zentralen Tram-Verteilerstelle?

Hier am Anger klickte dann (u.a. dank der guten Übersichtskarte) auch mein Verständnis des Stadtaufbaus. Die nächste Station war die Predigerkirche (nachdem ich zwei kleinere Kirchen verschlossen vorfand: kein Wunder bei 76% Bevölkerung ohne Bekenntnis; in Gera übrigens 85%; Quelle). Mir war vollkommen unbekannt, dass Meister Ekkehard hier wirkte.

Sehr lohnenswert ist ein Aufstieg zum Dom und danach zum Petersberg. Beides belohnt mit einem grandiosen Blick über die Stadt, und die Severi-Kirche ist ein hübscher gotischer Bau.

Halloween-Programm

Warum ich ausgerechnet an Halloween nach Erfurt fuhr? Dafür gab es tatsächlich einen Anlass: René Porschen, u.a. Mit-Chefredakteur des „Lovecrafter“ der Deutschen Lovecraft Gesellschaft, lud zu einer Lesung im kleinen Theater Blaue Bühne. Zur Aufführung kam, stimmungsvoll mit Licht und Nebel unterlegt, ein Lovecraft-Medley mit Versatzstücken aus „Der Ruf des Cthulhu“, „Schatten über Innsmouth“, „Der Schatten aus der Zeit“ u.a.

Danach gab es noch einen gemütlichen Ausklang mit einigen Literaturwissenschaftstreibenden und Rollenspielenden. Ich wurde freundlich aufgenommen, sodass ich jetzt eine handvoll sympathisch-verrückter Erfurter Freunde habe. Na, wer sagt’s denn!


Beitragsbild: Auf dem Petersberg. Bei 3,50 für eine Club Mate braucht man aber vielleicht gar keinen orgiastischen Grund für Kaffee, der nur 2,50 kostet.

1 Gedanke zu „Thüringen entdecken (1): Gera und Erfurt“

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