SS23/W08: Deutschlandticket (again), Fanta und Vertragstheorie

Aus [Sicht des Studierendenwerks-Abteilungsleiters] müsse klar sein, dass es auch in der Mensa nicht gesund ist, jeden Tag Pommes zu essen.
(Akrützel)

Der Heimaturlaub war schön und entspannend. Endlich hatte ich mal Gelegenheit, „Abgrundtief“ zu spielen, wurde aber schon in der dritten Runde zum Verräter. (Spoiler: Die Menschen sind einfach auf halber Strecke nach Boston verhungert und wir Hybriden haben gewonnen.)

Das Wetter trug das seine zum Urlaubsgelingen bei, denn auch Franken hat schöne Ecken (danke, Nic!):

Longdrink-Erfindung: 50 ml Soda, 25 ml Zitronensaft, 125 ml Fanta Madness. Auf viel Eis, denn das ist immer noch ausgesprochen süß. Ich kannte Fanta Madness nicht, aber der rumänische Supermarkt um die Ecke führt die single-freundliche 2,5-Liter-Pulle. Wusstet ihr, dass es weltweit mehr als 200 (!) Geschmacksrichtungen von Fanta gibt und dass Fanta ursprünglich die Nazi-Alternative zu Coca Cola war, nachdem Coca-Produkte ab 1940 vom US-Embargo gegen Deutschland betroffen waren?

Uni

Back to Jena, back to business. Für das Montagsseminar nahm ich einen Sonntagabendzug mit lauter Sonntagsfahrys, aber was tut man nicht alles für:

Eigenes Haus

Hier durfte ich mein Thesenpapier zu zwei Texten vorstellen, die ich schon Anfang des Semesters las. Grundsätzlich ging es um die Frage, wieso Wohnen im Eigentum besser und vernünftiger wahrgenommen wird, als es vermutlich oft der Fall ist, warum Risiken und Opportunitätskosten ausgeblendet werden etc. Es ergab sich eine spannende Seminardiskussion, daher bin ich zufrieden.

Das Seminar findet nur noch 3 Mal statt: In zwei Wochen eine Einzel- und danach zwei Doppelsitzungen, dann ist’s vorbei. Ich werde in den kommenden Tagen die verbleibenden Texte vermutlich mal anlesen, dann kann ich schon einen Haken hinter das Seminar machen ✅.

Emotionsgeschichte

Bourdieus Praxen-Theorie und Körper. Spannendes Detail: Offenbar gab es das emotionale Konstrukt Liebe in Indien quasi nicht, bevor über Bollywood die Wendung „I love you“ dort eingeführt wurde (Rachel Dwyer, “Kiss and tell: expressing Love in hindi Movies“). Das ist auch ein möglicher „Beleg“ für die Theorie der Emotives, also der Konstruktion von Gefühlen durch deren Ausdruck.

Ansonsten führt diese Sichtweise dahin, Emotionen generell als Praxen (und nicht etwa als Reaktionen oder reine Erlebnisse) zu interpretieren, die inkorporiert und „habitualisiert“ stattfinden, also nicht immer bewusst gesteuert, aber immer sozial vermittelt.

Zur weiteren Auswertung des Briefwechsels von 1953/54 siehe hier. Es wird auf jeden Fall eine Hausarbeit zum Thema entstehen.

AK

Wir diskutierten über Gier und dessen strukturelle Voraussetzungen und Beförderungen (am Beispiel der Finanzspekulation). Spannend fand ich die Argumentation, dass die Grenzen der Banken als Organisationssysteme „verschwimmen“ und sich temporal der Geschwindigkeit der Markt-Umwelt anpassen (keine Selbstreferenz mehr möglich); in der Sachdimension verschwinden entsprechend die Organisationsziele; in der Sozialdimension können keine Bindungen mehr entstehen.

Weitere ausbaufähige Gedanken:

  • Geld als Medium ist das ideale Objekt der objektlosen „Gier“ (im Gegensatz zur objektabhängigen „Begierde“), weil die Gier nie durch Befriedigung eines Bedürfnisses befriedigt und damit abgestellt werden kann.
  • Man handelt im Hochfrequenzhandel (aufgrund des Bewusstseins der Zukunftslosigkeit der Märkte) so schnell wie technisch möglich, und zwar mit Produkten, die reine Zukunftserwartung sind (gehebelte Optionsscheine ftw!). Wenn das mal keine wunderschöne Paradoxie ist …

Vulgo: Ich nähere mich mental einem Prüfungsthema.

LK: 1968

Im Lektürekreis lesen wir Ernaux hinsichtlich der Frage, wie die Revolte 1968 alles veränderte – und dann verpuffte. Meine Textstelle ist eigentlich die Rahmung eines längeren Abschnitts durch zwei Textstellen. Es beginnt auf S. 113: „1968 war das erste Jahr einer neuen Zeitrechnung.“ Und S. 122: „Der Konsum löste die Ideale von 1968 ab.“

Davor und dazwischen entsteht ein Stimmungsbild dieser Zeit, das Bild einer verschwommenen Umwälzung, symbolisiert u.a. durch den Tod de Gaulles 1970: Die alte Zeit ist endgültig vorbei. Ereignisse wie der Mord (?) an dem Maoisten Pierre Overney 1972 durch die Renault-Werkspolizei (sowas gab’s?), der auch noch Terroristen in den 80ern inspirieren sollte, oder die Aktion „Wir haben abgetrieben!“ 1971 deuten diese Stimmung weiter aus. Sie werden biographisch verknüpft, aber dabei bleibt das „man“ der Autorin immer in einem seltsamen Schwebezustand zwischen kollektiven Erfahrungen und ganz individuellen, subjektiven Erlebnissen. (Etwa S. 115: „man“ liest etwas und hat dabei die hochidividuelle Erfahrung, „in einem Buch eine Wahrheit für sich entdeckt“ zu haben und „man“ empfindet dabei eine „Mischung aus Aufregung und Hilflosigkeit“.)

Oder anders: „Man“ spürt eine Veränderung, weiß sich dazu aber nicht zu verhalten, etwa die tradierten Geschlechterrollen mehr als nur verbal zu überwinden. Man individualisiert sich die Revolution (S. 117), von Kommunenleben über pastorale Idealisierungen bis hin zu esoterischen Pflanzenmitteln (Maurice Mességué wird erwähnt). Bei alldem wird „man“ (das meint jetzt mich) das Gefühl nicht los, dass hier gar nichts wirklich „ausgelebt“ wurde, sondern alles schon hier auf einer Konsumebene verweilt oder rhetorisch bleibt. Das mündet dann ins zweite Zitat.

Die eine Generation, zu der Ernaux und ihr „man“ gehören, hat 1968 erlebt, aber nicht gelebt; die nächste Generation hat 1968 nicht erlebt, aber wie selbstverständlich in den Wirkungen gelebt. Und das ist dann eine Revolution, wobei Ernaux den Begriff damals wohl nicht vernahm:

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich das Wort „Revolution“ gehört hätte. Mit einem festen Begriff das, was geschah, zu benennen war nicht nötig oder nicht möglich. Auch nicht, es zu denken. Es genügte, es zu leben. (taz)

Aber vielleicht kommt die Revolution ja auch erst:

Die Revolution, die kommen wird, wird eine Gestalt annehmen, die wir uns noch nicht vorstellen können. Denn die Herrschaftsverhältnisse sind noch dieselben, die Ungerechtigkeit nimmt zu, und der Wunsch nach einem anderen Leben lässt sich nicht ausmerzen. (ebd)

E&G: Geldverwaltung bei Paaren

Ein interessanter empirischer Punkt: Frauen managen das Geld, wenn wenig da ist, das also zur unangenehmen Care-Aufgabe wird; und Männer managen, wenn mehr da ist. Auch spannend: Die Forschung nimmt „individualised systems“ der Geldverteilung — also keine reine Gemeinschaftskasse — als potenziell emanzipatorisches Instrument wahr, weil hier mehr verhandelt werden muss, statt im Zweifel auf Normen zurückzufallen. Das passt (bzw. passt ggf. auch nicht) zu meiner Idee für ein Mündliche-Prüfungs-Thema:

Feminist Relational Contract Theory, Eheverträge und Finanz-Coops

Neulich gab es eine interessante Seminardiskussion, bei der mich überraschte, dass es meine Diskussionspartnerinnen nicht überraschte, dass 56% der Eheleute kein eigenes Konto mehr haben. Für mich ist das eher unverständlich: Ich habe es bislang immer für einen Fakt des Lebens gehalten, dass der Verzicht auf ein eigenes Konto (so wie auf den eigenen Nachnamen) nach Eheschließung ein traditionalistisches, tendenziell Unterdrückung beförderndes Moment hat.

Das kann man aber auch ganz anders sehen. Aus zwei Gründen:

  • Gemeinsames Wirtschaften ohne Anschauung der Quellen und Zielpunkte von Geldströmen hat prinzipiell antiindividualistische und gemeinschaftsstiftende Auswirkungen. Das nenne ich das „Coop-Argument“.
  • Ein Gemeinschaftskonto, auf dem alles landet und von dem alles weggeht, macht die Ressourcenverteilung während der Ehe gleicher – selbst wenn die Rahmenbedingungen von Verträgen gegen die Gleichheit gepolt sind. Das nenne ich das „relationale Argument“.

Relationales Argument

Irgendwie neige ich ja auch immer dazu, anzunehmen, dass man Menschen nur über die Auswirkungen ihrer Entscheidungen informieren muss, damit sie bessere Entscheidungen treffen. Beispiel Ehe: Wenn mehr Menschen wissen, was dieses Vertrags-Package eigentlich beinhaltet, überlegen sie sich a) ob sie heiraten wollen und b) ob es eine zusätzliche Vereinbarung (aka Ehevertrag) braucht. Das Package umfasst nämlich u.a. die Zugewinngemeinschaft – und so sehr hier das Wort „Gemeinschaft“ im Vordergrund steht, es ist doch eine Form der Gütertrennung. Eigentum bleibt individuell. Erst bei der Scheidung gibt es (eventuell) einen Ausgleich.

Ich verpacke das hier mal traditionell und empirisch, auch auf die Gefahr hin, damit Stereotype zu reproduzieren: Wenn also mehr Frauen wissen, dass sie dann während der kinderbedingten Job-Auszeit keinen Anspruch haben, über das Einkommen des Mannes zu verfügen, dann bestehen sie vielleicht auf Gütergemeinschaft oder einer modifizierten Zugewinngemeinschaft.

(Feminist) Relational Contract Theory

Das unterstellt aber beiden Unterzeichnenden – bei der Eheurkunde wie auch bei einem notariellen Ehevertrag – eine wirklich umfassende Autonomie. Und da wird es schwierig: Die Frau, die zwar um die Nachteile weiß, aber unbedingt bald heiraten und Kinder kriegen will, wird ggf. auch einem Vertrag zustimmen, den sie als problematisch erkennt.

Oder beide Partner wollen zwar eigentlich „Gleichberechtigung“, haben aber eine rosarote Brille auf. Sie unterschätzen die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung oder die Auswirkungen. Kann man dann von vertraglicher Autonomie sprechen? Und wenn wir sagen, ja, das ist die Vertragsfreiheit eines Rechtssubjekts: Worauf gründen wir diese Behauptung? Es gibt ja ganz offenbar determinierende Faktoren in der Umwelt.

Darauf reagiert die Relational Contract Theory (RCT), indem sie Veränderungen einer Beziehung im Laufe der Zeit mitbetrachtet (meistens hinterher, wenn gerichtlich um einen Vertrag gestritten wird). Die Feminist RCT (FRCT) geht noch weiter und betrachtet auch (vergeschlechtlichte) Machtgefälle während der Vertragsschließung.

Relational lösen?

Nun ist die Frage, ob man solche Probleme erst gerichtlich nach der Trennung auseinandersetzen will. Man kann sie ja auch vorher angehen. Und ein gängiges Mittel ist im oben genannten Beispiel der Vermögensverteilung, das eben nicht kontraktual, sondern einfach über ein Gemeinschaftskonto zu lösen: Beide haben dauerhaften Zugriff auf erwirtschaftete Ressourcen. Das hat seine Schwachstellen in der rechtlichen Absicherung, aber es ist ein gesellschaftlich akzeptiertes Mittel — ganz im Gegensatz zum Ehevertrag –, und es könnte auch weniger „umstritten“ sein innerhalb der Beziehung.

Coop-Argument

Nur am Rande noch das Coop-Argument: In gemeinsamen Ökonomien geht es zentral darum, dass ein jedes nach seinen Fähigkeiten in einen Topf legt und ein jedes nach seinen Bedürfnissen daraus entnimmt. Ob es dann mittels dieses Arrangements weiterhin Privateigentum (am Erworbenen oder auch neben der Gemeinschaftskasse) gibt, ist Frage der konkreten Gestaltung. Ich finde den Gedanken insgesamt sowohl faszinierend als auch abschreckend.

In diesem Podcast geht es u.a. auch um Fragen wie: „Wie geht man mit einem Erbe um?“ – „Wie geht man mit einer Immobilie um?“ – „Wie geht man mit wohlsituierten, konservativen Eltern um, die das Konzept ablehnen?“ – „Wie geht man damit um, dass es sowohl schambehaftet ist, Geld zu haben, und genauso aber anders schambehaftet, kein Geld zu haben?“ (Spoiler: Keines der Probleme wird gelöst.)

Warum ist das ein gutes Prüfungsthema?

Ich glaube, spannend ist, dass man sich hier die Neutralitätsillusion von Regelwerken, Verträgen und Abmachungen veranschaulichen kann. Die scheinbare Neutralität der „Zugewinngemeinschaft“etwa, aber auch die scheinbare Neutralität des Vertrags: Das gesellschaftliche Narrativ geht ja dahin, dass der Vertrag neutral ist, es müsse ja niemand zustimmen/unterschreiben. Und genau das blendet Zusammenhänge aus.

Gegen das Thema spricht, dass meine Gedanken dazu genauso verworren sind wie die obigen Ausführungen. Aber da müsst ihr durch, liebe Lesys – Blogs sind Kritzelhefte.

Deutschlandticket

Das DT ist nun auch über die Uni verfügbar! Dazu muss man sich bei den Jenaer Verkehrsbetrieben registrieren, ein Foto der Thoska hochladen, das Abo abschließen etc. pp. Und dann irgendwann ein neues Thoska-Foto hochladen, weil die ja ablaufen kann. Usw. usf.

Ich konnte es mir leider nicht verkneifen, per Mail an den Semesterticketausschuss (oder so ähnlich) etwas rumzuranten:

Liebes Team,

super 🙂 Danke für euren Einsatz!

Aber warum kann das Ticket nicht in der Thoska laufen – die ist doch eine e-Ticket-artige Chipkarte, die von Lesegeräten in den Bussen gelesen werden kann …?

Scheint echt mit heißer Nadel gestrickt alles, der Upload-Dialog ist richtig schlecht – es muss ein Hochformat-Foto sein, ohne, dass man rotieren kann … und die ganzen Dialoge sind völlig zerschossen:

Man fühlt sich nicht auf der Website eines seriösen Unternehmens. (Und naja … ist der Jenaer Nahverkehr seriös? ich hab bei manchen Busfahrys so meine Zweifel …) Ich sag’s ja nur ungerne, aber das Beantragen der 200-Euro-Zuschüsse war dagegen ein echter Traum – schnell, reibungslos und nur, was nötig war 😀

So, genug gerantet, mit etwas Glück klappt das alles und ich hab ein Ticket. Danke nochmal und viele Grüße
Dennis

Zeitwahrnehmung

In Jena fiel mir auf, wie weit dieses Semester schon wieder vorangeschritten ist, weil es die ersten „Zwischenresümmee“-Sitzungen gibt. Auch, dass der Mai schon wieder fast rum ist, kann ich kaum glauben. Aber beim Überfliegen dieser Zeilen vor Veröffentlichung bin ich überrascht, was diese Woche alles war … das kommt mir teils deutlich länger her vor.


Beitragsbild: Summer in the City.
PS: Leider konnte ich mich nicht zu mehr -Bashing überwinden. Das Zitat am Anfang muss genügen. All hail fries.

5 Gedanken zu „SS23/W08: Deutschlandticket (again), Fanta und Vertragstheorie“

  1. Das mit der Fanta wußte ich auch nicht, irre!

    Das mit einem Ehevertrag war zu unserer Zeit noch nicht üblich. Würde man sich heute schon überlegen. Aber wir haben ja Glück in der Beziehung.

    Antworten

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