Rückblick: Der Studienort Jena

Das ganze Elend der Menschheit rührt daher, dass die Menschen nicht einfach ruhig in einem Zimmer bleiben können. (Pascal)

Nachdem ich nun über knapp 20 Monate insgesamt ca. 200 Tage ganz oder teilweise in Jena verbracht habe — also etwa ein Drittel der letzten anderthalb Jahre –, dachte ich mir, ich werfe mal einen Blick zurück auf die Stadt.

[Alle Rückblicke finden sich hier.]

Größe und Lage

Jena ist sehr schnuckelig: 110.000 Menschen, etwa so groß wie Erlangen. Erlangen ist laut Wikipedia aber dichter besiedelt: Dort gibt es 1500 E/qm, in Jena nur 970. Komischerweise wirkte mir Jena aber voller — vielleicht, weil sich mehr im Zentrum ballt. Gerade im Winter waren fast alle Öffis und Cafés (und auch die Thulb) ziemlich voll, natürlich vor allem mit Studys. Das macht sich auch in der Wohnsituation bemerkbar (s.u.) — so eine schlimme, erfolglose Wohnungssuche wie hier hatte ich noch nirgends.

Leider hat man von Jena dann relativ schnell alles gesehen. Aber man kann (zumindest, wenn man zentral wohnt) immer in einer Viertelstunde nach Weimar oder einer halben nach Erfurt fahren und sich dort umtun. Und zumindest im Sommer bietet es sich an, die Jena begrenzenden Hügel zu erkunden: ein echtes Wanderparadies.

Insbesondere meine Ausflüge in umliegende Städte (Gera, Merseburg, Apolda) haben mir auch gezeigt, was ich an Jena habe: Die Stadt fühlt sich offen und freundlich an (außer im ÖPNV, s.u.). Ein internationales Klima, das sehr von Studentys geprägt ist. Bestnote in der Atmosphäre!

Geschichte

In Jena kann man sich mit verschiedenen Epochen befassen, aber natürlich sticht die Romantik um 1800 heraus. Vorher gab es hier die Reformation, die Uni-Gründung (1558, damit 20 Jahre älter als Altdorf!), eine Blüte nach dem 30jährigen Krieg und dann einen erheblichen Niedergang im 18. Jahrhundert. Mit Goethe wurde es dann wieder besser. Und dann gastierten hier u.a.

  • Schiller
  • Fichte
  • Schelling
  • Hegel
  • August Wilhelm und Caroline Schlegel
  • Friedrich Schlegel
  • Tieck
  • Brentano
  • Friedrich von Hardenberg
  • und natürlich Napoleon.

Das kann man alles bei Safranski nachlesen und eingeschränkt auch vor Ort nachvollziehen, womit wir zum nächsten Thema kommen:

Kultur

Es gibt in Jena ein paar Kultureinrichtungen: ein Theater, zwei Indie-Kinos, das Stadtmuseum, das Romantikerhaus, das phyletische Museum und das leider bis 2027 geschlossene optische Museum.

Das klingt nach viel, aber leider hatte z.B. das Stadtmuseum „Göhre“ nur wenige interessante Ausstellungen (George Grosz war sehr gut), viel Umbauzeit und dann auch eher Langweiliges (Steinscherben). Man kann da höchstens zwei Mal im Jahr rein, um die jeweilige Sonderausstellung zu inspizieren. Die Aufbereitung ist okay, aber schon auch etwas altbacken. Das Gleiche gilt fürs Romantikerhaus: Man beguckt sich ein Mal die Dauerausstellung und kann dann 2-3 Mal pro Jahr eine halbstündige Visite zur Sonderausstellung in den zweiten Stock machen. Ins phyletische Museum muss man nur ein Mal gehen (das ist aber ganz interessant).

Das Theater (das ich nur zwei Mal besucht habe) bietet eher experimentell-avantgardistische Stücke und Inszenierungen an, „gefühlt“ eher auf Kleinstadtniveau. Die Konzerte, die ich im Volkshaus und St. Michael gehört habe, waren dagegen sehr gelungen. Und genial ist, dass man als Studierendes nun kostenlos in die beiden Kinos am Markt und am Schillerhof darf. Chapeau.

Ebenfalls „Kultur“ ist, dass der örtliche Thalia in der Neuen Mitte ein Regalbrett „Kapitalismuskritik“ hat. Mit einigen Büchern meiner Dozentys.

Verkehr nach Jena

Einer der größten Wermutstropfen ist die Anbindung. Eigentlich ist Jena von nirgendwo gut erreichbar, weil kein ICE-Halt mehr. Wer sich noch daran erinnert, dass man früher auf dem Weg nach Berlin oder Leipzig immer neben den lustigen Fernwärmeleitungen am Paradiesbahnhof vorbeikam, weiß, dass das schon mal besser war. Aber heute ist Jena zur Provinz verdammt.

Zur Illustration ein etwas lächerlicher Fakt: Von Nürnberg aus bin ich per Direktverbindung genauso schnell in Berlin (2h 41min) wie in Jena (2h 36min). Mit Umstieg in Erfurt ist Jena in 2h 12 min erreichbar, aber gerade im Wintersemester hat das eigentlich nie geklappt, sondern endete auch mit 2h 45 min. Naja.

In Sachen Komfort ist durch die neue IC-Verbindung (seit Dezember 23, also 2 Monate vor meinem Präsenz-Ende) aber trotzdem einiges gewonnen. Ich sitze lieber 2,5h im IC als nach einer Stunde umsteigen zu müssen. Und wie schon öfter erwähnt: Dieser IC ist bislang immer gähnend leer! Auf noch drei weitere Semester Pendelei hätte ich aber wahrlich keine Lust.

Verkehr in Jena

Lasst euch nicht beirren. Diese Stadt gehört vielerorts den Autos. Mitten durchs schmucke Zentrum rast der Verkehr (etwa durch den Leutragraben, der mal einen Zebrastreifen verdient hätte — das würde vielleicht auch den Verkehr etwas beruhigen).

Der Nahverkehr ist so mittelprächtig. Die Fahrplanauskunft ist unzuverlässig und der Takt zumindest am Wochenende grenzwertig weit. Zudem fahren die Busse und Bahnen inzwischen seit November (!) nach dem Ferienfahrplan, also seltener; Grund: Personalmangel, offiziell krankheitsbedingt. Dass aber seit nunmehr fast vier Monaten der Krankenstand so hoch ist, scheint mir nicht ganz plausibel.

Außerdem habe ich noch nirgendwo so unfreundliche Busfahrerinnen und Busfahrer erlebt. Dazu eine Anekdote vom Abreisetag: Die Tram ist relativ leer, am Spittelplatz möchte ein junger Mann mit mannshoher Garderobe einsteigen. Der Tramfahrer klaubt sich aus seinem Führerstand und blökt ihn an: „Wir sind doch kein Möbelunternehmen!“ Zu Stoßzeiten hätte ich das ja verstanden, aber in einer Samstagmorgenbahn …? Naja. Man könnte es jedenfalls anders sagen.

Über den Nahverkehr hatte ich mich ja auch schon an ein paar Stellen beschwert,

Sowas habe ich jedenfalls in Nürnberg, München und Köln jeweils noch nicht in der Intensität erlebt. Und noch ein Datenpunkt zum Thema „Fußgängerfreundlichkeit“ der Stadt: Mein Wohnviertel hatte an vielen Stellen noch nicht einmal Bürgersteige. Und dabei sind wir auch schon beim Thema …

Wohnen in Zwätzen

Die Unterkunft am Nordrand Jenas war ein zweischneidiges Schwert. Einerseits war sie unverzichtbar — etwas anderes hatte ich ja einfach nicht gefunden — und als „Wohnung“ auch genau das richtige:

  • Möbliert, daher musste ich keine größeren Dinge anschaffen und konnte mir auch eine echte Auszugs-Orga wie damals in Köln sparen. (Da hatte ich mehrere Wochen damit zugebracht, IKEA-Möbel per Kleinanzeigen zu verkloppen und musste einiges dem Sperrmüll übergeben.)
  • „Inhaltlich“ lustig: Da es sich um das „Wohnheim“ einer Go-Schule handelt, wo vor allem Doktoranden der (Bio-) Informatik unterkommen, lernte man immer mal wieder Leute aus allen Teilen der Welt kennen. Pakistan, Frankreich, Kuba, Levante, USA usw.
  • Gut eingerichtet — eben ein moderner Reihenhaus-Neubau mit gehobener Ausstattung. Ein wohnzimmergroßes Bad etc.

Leider war die Lage ein echter Killer. Ein Mal pro Stunde ein Bus vorm Haus; in 12 Minuten Entfernung eine Tram, die die halbe Zeit Schienenersatzverkehr-Schmerzen hatte; in 18 Minuten Entfernung ein Regio-Bahnhof mit stündlichem Takt. Insgesamt brauchte ich immer eher 40 Minuten zur Uni bzw. wieder heim, und eine direkte Anreise aus Nürnberg dauert 3–4 Stunden. Zum nächsten Supermarkt braucht man auch eine knappe Viertelstunde — meist kaufte ich im Zentrum ein und trug es heim. Insofern werde ich diese Lage nicht vermissen — höchstens den in zwei Fußminuten erreichbaren Waldrand mit Saale-Horizontale.

[Ergänzung aufgrund berechtigten Kommentars] 
Denn die Hügel zwischen „Himmelreich“ und Zwätzen boten mir an vielen freien Nachmittagen ein kostenfreies, optisch ansprechendes Kardio-Training. Ob im Schnee oder in der Sommerhitze, die Treppchen und Wiesen hinterm Haus stieg ich sehr oft hoch.

Fazit

Eine sehr hübsche, historische, wanderfreundlich gelegene und schnuckelige Stadt, aber auf Dauer wäre sie mir zu klein. Und leider ist sie einfach sehr, sehr schlecht angebunden.

Das ändert aber nichts daran, dass ich die Stadt in Herz geschlossen habe und definitiv wiederkommen werde.

8 Gedanken zu „Rückblick: Der Studienort Jena“

  1. Danke für den Blick auf Jena! Mir fällt in Bezug auf Zwäzen auf, dass du auf Haus, Leute und Anbindung eingehst, die Naturnähe aber nicht ansprichst – war der Ort nicht auch ein Stück weit Einfallstor für eine romantische Naturnähe ala 1800? Der Blick auf die Kunitzburg, der Aufstieg in die Hügel bei jeder Jahreszeit, der Blick auf die Stadt im Talkessel?

    Antworten
    • Absolut, da hast du völlig recht! Die Wandermöglichkeiten ab Zwätzen waren wirklich herrlich und prägend, vor allem der Weg über die Hügel hinterm Haus, die ich fast an jedem freien Nachmittag nutzte. Ich füge noch einen entsprechenden Absatz ein.

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen